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Albert Pesendorfer (Hagen), Jaclyn Bermudez (Gutrune) und Hansung Yoo (Gunther). Foto: N. Klinger
Albert Pesendorfer (Hagen), Jaclyn Bermudez (Gutrune) und Hansung Yoo (Gunther). Foto: N. Klinger
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W wie Wiederholung – Kassels „Ring“ mit einer packenden „Götterdämmerung“ vollendet

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Es ist vollbracht! In Kassel, dieser Wagner- bzw. Ring-Hochburg ganz eigenen Rechts, mitten in Deutschland, gibt es wieder einen kompletten Nibelungen-Ring. Mit dem bereits fünften seit 1961 ist der Wagnernormalzustand in der documenta-Stadt damit wiederhergestellt. GMD Francesco Angelico und Oberspielleiter Markus Dietz haben ihn jetzt mit der „Götterdämmerung“ komplettiert und ihrem Publikum übergeben. Im übertragenen Sinne und am Ende sogar ganz wortwörtlich.

Da kommt nämlich die wiederauferstandene Brünnhilde mit dem kleinen, noch keines Verbrechens schuldigen Jung-Hagen an der Hand ganz an die Rampe, steigt hinab in den Saal und übergibt einem Zuschauer in der ersten Reihe den Ring. Jetzt seid Ihr dran in Sachen Welt – soll das wohl heißen.

Damit könnte das große Ringlogo im Hintergrund auch W wie Welt oder W wie Wiederholung heißen. Denn das Ende ist bekanntlich offen. Der Streit zwischen der Utopie der Liebe und der rumorenden Realität von Geld und Gier, Mord und Totschlag ist ja keineswegs ausgestanden. Die vielen Stunden, die man für Wagners Tetralogie im Theater zubringt, sind eh nur eine Atempause und eine Möglichkeit fürs Nachdenken über den Gang der Welt und die Reflexion über das, was der Einzelne damit zu tun haben könnte. Auf der Bühne und im Saal. Auch, dass sich der Intendant vor der Vorstellung beim Gesundheitsamt der Stadt bedankte, dass man (trotz Virengefahr) spielen dürfe, gehört irgendwie zu diesem Stück Welttheater, bei dem es bekanntlich um den Versuch geht, das was sein wird, aus dem zu erklären, was war.

Francesco Angelico und das Staatsorchester Kassel sind ganz entscheidend für das Gelingen dieser „Götterdämmerung“ und des gesamten Rings verantwortlich. Hier spielt ein Orchester seine in den letzten Jahrzehnten nie wirklich abreißende Ring-Praxis quasi als Teil seiner Kernkompetenz voll aus. Sieht man mal von ein paar Premierenpatzern bei den Hörnern ab, ist der Orchesterklang ein Hochgenuss. Süffig suggestiv in den reinen Orchesterpassagen mit ihren bildmächtigen Imaginationen, klar in den immer wieder auftauchenden Leitmotiven und klug dosiert in den auf die Sänger zugeschnittenen Parlandopassagen. Dabei hat Angelico immer das Ganze im Blick, verkneift es sich, aus dem Trauermarsch einen Solitär zu machen. Hier leuchtet die Musik allemal von Innen und ist doch konstituierender Teil des Ganzen!  

Ein „Ring“ aus einem Guss

Dem GMD und dem Regisseur Markus Dietz ist ein „Ring“ aus einem Guss gelungen, der auf jede unmittelbar politisch platte Überschreibung verzichtet und dennoch hochaktuell ist. Der ästhetische Grundeinfall für den optischen Rahmen ist so einfach wie prägend, bleibt jenseits aller verstaubten Folklore und ist doch so assozationsoffen, dass fast jede Szene mit ihrer exemplarischen Gedankenschärfe mitten im Hier und Heute landet. Dietz, Mayke Hegger (sie war als Bühnenbildnerin schon bei der „Walküre“ mit von der Partie) und der für alle Ring-Kostüme zuständigen Henrike Bromber gelingt es, selbst dem ersten Aufzug jeden Eindruck von Überlänge auszutreiben. Das Walhall-, Wotan-, Walküre- oder was auch immer übermächtige Neon-W im Hintergrund, das wir aus allen Teilen kennen, bleibt zunächst angedeutetes Gerüst. Eine Aussichtsplattform von der aus der alte Gott und die noch ältere Erda nur mit Schrecken und Resignation auf das Chaos von Welt blicken, das sich in der Ferne zu ihren Füßen bietet. Hier warten die Nornen mit ihrer großen Zusammenfassung auf. Marta Herman (neben der 1. Norn, auch Floßhilde), Vero Miller (2. Norn und Wellgunde) sowie Doris Niedig (die Chorsolistin ist die 3. Norn) orakeln ganz großartig und verständlich.

Da der Orchestergraben umbaut ist, rücken uns die drei, aber dann auch die anderen Akteure, ziemlich oft ganz nah auf die Pelle. Der grimmig dreinblickende und so kultiviert wie überwältigend machtvolle Albert Pesendorfer als Extraklasse-Hagen wirkt dort ganz vorn auf seinem Stuhl mit seiner „Wacht am Rhein“ optisch noch machtvoller als in all seinen anderen Auftritten eh schon. Wer ein Lehrbeispiel sehen möchte, wie man ohne jede gestische Übertreibung das Charisma des Bösen leuchten lassen kann, hier wäre eins! Aus der Begegnung mit Alberich (kurz aber eindrucksvoll: Thomas Gazheli) „Schläfst du, Hagen mein Sohn?“ wird eine atemberaubende psychologische Szene über das gestörte Verhältnis von Vater und Sohn, die er als einen Alptraum erlebt. Da sieht er sich als Kind der manipulierenden Zudringlichkeit des Vaters ausgesetzt und flüchtet sich als Knabe in die Obhut seines erwachsenen Ichs. …  

Die in allen Ring-Teilen bewährte Praxis, die Hubpodien für schnelle Szenenwechsel oder Auf- und Abtritte zu nutzen, funktioniert auch in der „Götterdämmerung“ fabelhaft. Brünnhildes Felsenloft – mit Bett und (vor allem mit allzu Gesundem bestückten) Kühlschrank – lassen den langhaarig, tumben Siegfried in seinem Drachen T-Shirt als unbedarften Waldmenschen erscheinen. Der schüttelt die Espressomaschine, statt sie zu bedienen und hält den Kühl- eher für einen Schmuckschrank, denn er hat dort den Ring abgelegt und fast vergessen.  

Vorstellung des großen Untergangs

Für die große Halle der Gibichungen schweben fünf mal fünf gewaltige, nach unten leuchtende Säulen aus dem Schnürboden ein. Die wirken auch dann machtvoll, wenn sie in halber Höhe verharren und sich selbst mit Lichtspott vervollständigen. Als die leicht aus der Senkrechten kippen, vermitteln sie allein damit eine Vorstellung des großen Untergangs. Wenn Gunther in dieser Halle für Siegfried eine üppige Tafel auftischen lässt, dann landet der mit den Füßen zwischen den Speisen und greift mit der Hand in die Torte. Das hat Witz, dient aber vor allem dazu, diesen Siegfried in seiner ganzen Unbedarftheit, sprich Manipulierbarkeit, vorzuführen. Der Held mit den Superkräften ohne eine Ahnung über deren Wirkungen. Und den Schaden, den er anzurichten vermag. Gegen Hagens Intrige hat der keine Chance. Der Vergessensdroge, die Hagen einsetzt und bei der Siegfried hier sogar für einen Moment aus den Latschen kippt, hätte es da vielleicht nicht mal bedurft.   

Daniel Frank ist ein wunderbarer Siegfried der Spitzenklasse. Er wirkt mühelos strahlend, vermag sich zu steigern, hat ein einnehmendes Timbre. Er hat sich vom Bariton zum Heldentenor entwickelt und dabei eine angenehm baratonale Grundierung seiner Stimme beibehalten. Er ist einer der besten Siegfriede, die man derzeit live erleben kann.

In der „Götterdämmerung" folgen zunächst alle vor allem den Visionen an ihrem eigenen, persönlichen Horizont. Die Gibichungen-Geschwister wollen Ehepartner, die was hermachen. Hagen die Macht des Rings. Brünnhilde die Liebe. Waltraude sozusagen die Staatsraison. Wotan nur noch den Untergang. Siegfried ist einer, der der Stimme eines Waldvogels folgt. Oder sich von Hagen leimen lässt. Mit seinem Enkel ist dem Gott Wotan eine Wunderwaffe zugewachsen, dem eigene Ziele und Visionen fehlen. Dass das auf eine große Katastrophe zuläuft, sieht man schon im ersten Bild, wenn alle in einen lodernden Abgrund blicken, einige hineinspringen und ein veritables Feuer nach oben steigt. Das Ende vorweggenommen. Die Flammenzeichen an der Wand.

Diese Hinzufügung von human capital, diese gelegentliche Präsenz realer Menschenmassen, ist neben dem W-Logo der zweite leitmotivische Grundeinfall, der sich durch diese Inszenierung zieht. Mit diesem Bürgerchor, Marke „Menschen-wie-Du-und-Ich“ in Unterwäsche, gelingen beeindruckende Szenen. 

Die wunderbare Ulrike Schneider meldet sich als besorgte Waltraude zunächst aus der Ferne des Walhall-Ws, schwingt sich (im Video die „Walküre" zitierend) aufs Motorrad und versucht jetzt, vorn an der Rampe, Brünnhilde vom Verzicht auf den Ring zu überzeugen. Wenn sie das Bild, das den schweigenden Wotan in Mitten seiner in „endloser Angst“ erstarrten Umgebung in Wahlhall zeigt, eindringlich und mit ihrem warmen, markanten Mezzo ausmalt, dann sieht man das als eindrucksvolle Massenszene nachgestellt.

Der gut dosierte Einsatz von David Worms‘ Videos (mit passend erinnernden Aufnahmen) kulminiert, wenn sich Siegfried in Gunthers Gestalt über Brünnhilde hermacht. Hier singt die konditionsstarke, intensiv spielende und immer ohne Schärfe leuchtend aufstrahlende Kelly Cae Hogan als Brünnhilde mit dem Rücken zur Projektionswand. Dort erleben wir im Film und mit der Perspektive des übergriffigen falschen Brautwerbers eine Vergewaltigung mit. Bis der durchweg imponierend markante Hansung Yoo als Gunther ganz real durch die Leinwand platzt und Brünnhilde wie ein gebundenes Wild heimführt.

Dort bereitet Hagen einen machtvollen Empfang vor. Trotz der Verteilung über die ganze Bühnenbreite gelingt es Hagen auf der Bühne und dem Dirigenten im Graben, dass der von Marco Zeiser Celesti einstudierte fabelhaft auftrumpfende Mannenchor beieinander bleibt und den Raum füllt. Für die erwartungsfrohe Gutrune geht Jaclyn Bermudez in Sachen Durchschlagskraft mit bewundernswertem Einsatz vokal bis an ihre Grenzen. Das Brautkleid hat sie immer griffbereit, für Hagen nur Verachtung und für Gunther wohl mehr als nur schwesterliche Zuneigung übrig. Diese Szene endet in einem so üppigen wie „falschen" Einsatz jubelnder Konfettikanonen. Im dritten Aufzug dann gibt es szenische Glitzervorhang- und human-capital Reminiszenzen ans „Rheingold“ und eine die Massen ergreifende Trauer über Siegfrieds Tod. Der wird für Momente wie ein erlegtes Wild an den Füßen aufgehängt und aus der Versenkung in die Höhe gezogen. Die Männer bedecken dann aber seine Leiche allesamt ergriffen mit ihren Jackets. Für das große Ende wird dann zwar nicht allzu lange, aber „richtig“ gefackelt und der Untergang illuminiert. Bis schließlich doch alle wieder aufstehen, zu den letzten Takten dieses großartigen neuen „Rings“ die imaginäre Wiederholungstaste gedrückt und der Neustart in die Hände des Publikums gelegt wird.  Viel Jubel nach einem anstrengenden, aber beglückenden Wagner-Abend in Kassel! 

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