Boris Gruhl besuchte für nmz-online die Premiere von Richard Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ und erlebte eine umjubelte Aufführung. Ein wunderbares Ensemble präsentierte sich in einer Inszenierung, die auf „vordergründige Aktualisierungen“ verzichtete, im Vertrauen darauf, „dass die Geschichte um drei Menschen, die in ihren Lebensentwürfen ihrer Zeit weit voraus sind sich kraft der Musik und der klaren Bildsprache im Wagnerischen Zeitkolorit auch einem Publikum fast 170 Jahre nach der Uraufführung vermittelt.“
Es war im Jahre 1842, Wagner bereiste Böhmen und unternahm lange Wanderungen. Er hatte eine Oper im Kopf, alles was er über den Wettstreit der Sänger auf der Wartburg wusste, was ihn an der Gestalt der Heiligen Elisabeth von Thüringen faszinierte, an den Sammlungen der Sagen Ludwig Bechsteins und deren Motive um das Geschehen am und im Hörselberg, floss jetzt ein in einen großen Prosaentwurf zu einer dreiaktigen Oper, die „Der Venusberg“ heißen sollte. Die Wartburg hatte Wagner kurz zuvor gesehen. Jetzt faszinierte ihn die Landschaft Böhmens, ein Madonnenbild in der Kirche auf Burg Schreckenstein, hoch über der Elbe bei Aussig, soll ihn dazu bewogen haben der Gestalt Elisabeths größere Bedeutung zu geben. Das Werk beginnt dann zwar im Venusberg, aber am 19. Oktober 1845 wurde an der Dresdner Hofoper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ uraufgeführt.
Der erste Sänger der Titelpartie kam aus Prag: Der Tenor Joseph Tichatschek enttäuschte Wagner allerdings gewaltig. Sein außerordentliches Gesangstalent stellte er nicht infrage, im Gegenteil, später bescheinigte er ihm „männlich schönen Stimmklang“. Allerdings hatte er große Probleme mit dessen Fähigkeiten das Charakteristische dieser Partie zu erfassen. Zudem heißt es dass die Dresdner Aufführung insgesamt „mißglückt“ war.
Jetzt feierte Wagners „Tannhäuser“ in der Dresdner Fassung eine bejubelte Premiere am Prager Nationaltheater in der Staatsoper, dem ehemals Deutschen Theater in Prag. An dieser Inszenierung des lettischen Regisseurs Andrejs Žagars, im Bühnenbild von Reinis Suhanovs mit den Kostümen von Kristine Pasternaka und im Licht von Kevin Wyn Jones ist nichts missglückt. Im Gegenteil. Žagars beschränkt sich bei genauer Personenführung aufs Wesentliche. Er verzichtet auf vordergründige Aktualisierungen, vertraut darauf, dass die Geschichte um drei Menschen, die in ihren Lebensentwürfen ihrer Zeit weit voraus sind und daher jeweils gewaltig aus ihren Zeiten herausgefallen oder gedrängt worden sind, sich kraft der Musik und der klaren Bildsprache im Wagnerischen Zeitkolorit auch einem Publikum fast 170 Jahre nach der Uraufführung vermittelt.
Ohne mit erhobenem Zeigefinger darauf zu verweisen ist gut erkennbar, dass Wagner in der Person des unangepassten Tannhäuser, in der Spannung zwischen zwei starken Frauen und in der Revolte gegen so erstarrte wie angepasste und verklemmte Formen der Kunst, die zudem in religiöser Verbrämung daherkommen, sich selbst gemeint haben muss.
Für diesen Tannhäuser ist die Welt zu eng geworden, das gilt für die erotischen Fesseln im flirrenden Zauberreich der Venus und erst Recht im Reich der Etikette mit den Männern in der Militanz verklemmter Frackkulturen und der Frauen mit einem Teil ihrer Körper unterm Gitterwerk des Reifrockes. Passend dazu der Raum für den „Krieg der Sänger“ zwischen den Schmuckwänden aus falschem Marmor und unter jeder Menge an Gipsköpfen der Vergangenheit. Trügerisch das auf Illusion und Täuschung zielende gemalte Kunstgrün deutscher oder böhmischer Waldlandschaft in der am Ende doch kein Zeichen der Erlösung grünen kann. Der Wald verfinstert sich. Wie ein Donnerschlag von vernichtender Kraft mit gellender Ironie schmettern die Herren des Chores ihren finalen, drohenden Gesang von der „Gnade“ gnadenlos dem längst am Boden liegenden Tannhäuser entgegen.
Mit dem schwedischen Tenor Daniel Frank konnte das Prager Nationaltheater einen vorzüglichen Protagonisten verpflichten. Klug im Spiel, weniger ist mehr, Genauigkeit schafft Stärke der Präsenz, dazu höchst beeindruckender Gesang. Die Stimme klingt jung, wenn nötig zart und immer mit dem Gestus schutzloser Wahrhaftigkeit. Wenn nötig allerdings vernimmt man den schneidenden Ton der Verzweiflung, etwa im Finale des zweiten Aktes, wenn im „Erbarm dich mein“ eine mögliche, und im gleichen Augenblick vergebliche Hoffnung beschworen wird. Ob Wagner hier etwas davon vernommen hätte, was er meinte, wenn er schrieb, dass die Töne aus der Brust „herausgeschleudert“ werden müssten, dass er dabei an ein „Schwert“ dachte, „mit dem Tannhäuser sich ermorden will“.
Und dieser Tannhäuser steht und fällt zwischen starken Frauen. Da ist die höchst attraktive Venus der Jolana Fogašová mit ihren starken, vibrierenden Tönen. Und vor allem mit Dana Burešová eine Elisabeth, wie man sie selten erleben kann. Klar die Haltung, zum Bersten die Spannung in der Darstellung des Widerspruches zwischen Vision und Möglichkeit angesichts ihrer Zuneigung zu diesem Sänger „ihrer“ Töne. Und der verzweifelte Versuch im Schutz des Mantels religiöser Rituale den Aufschub zu erwirken angesichts drohender Gefahren inmitten einer sich religiös gebärdenden antireligiösen Gesellschaft.
Dazu kommt bei Dana Burešová die ungebrochene Kraft ihres intensiven Gesanges. Faszinierend spannt sich der Bogen von dem fast trügerischen, fiebernd und übereilt gestalteten Aufbruch in ihrem ersten Auftritt mit der berühmten „Hallenarie“ bis zum verlöschenden Abschied im Gebet des dritten Aufzuges.
Mit kräftiger Stimme und klarer Darstellung überzeugen Svatopluk Sem als Wolfram von Eschenbach, Jiří Sulženko als Hermann, Landgraf von Thüringen in einem Ensemble dessen Gesang insgesamt keine Wünsche offen lässt.
Hilary Griffiths, als Dirigent bestens vertraut mit den Möglichkeiten des Orchesters der Staatsoper Prag, weiß um die Chancen straffer Tempi und bereitet den Sängern weite Räume für den Klang der Stimmen.
Am Ende: Großer Jubel für das Ensemble und das Inszenierungsteam. Ein gelungener Beginn des Prager Opernjahres, das sich anschließend der tschechischen Musik widmen wird, mit einer Neuinszenierung von Leoš Janáčeks Oper „Das schlaue Füchslein“ und einem Ballettabend „Tschechische Ballettsymphonien“ zu Kompositionen von Bohuslav Martinů, Antonín Dvořák und Jan Jirásek.
Boris Gruhl