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Foto: Marek Grotowski
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Wagner in Wroclaw: „Der fliegende Holländer“ als Megaopernevent open air

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Wer sich für Polens Opernleben interessiert, kommt an Wroclaw nicht vorbei. Neben herausragenden Produktionen im zauberhaften Opernhaus zählen seit einigen Jahren sommerliche „Megaproduktionen“ zu den festen Offerten.

Wenn ein Opernhaus seit zwanzig Jahren von ein und derselben Künstlerpersönlichkeit geleitet wird, dann dürfte es längst ein festes Profil entwickelt und in gut ausgelotetem Fahrwasser zu Hause sein. Ewa Michnick, aus Kraków stammende Dirigentin, ist bereits seit 2005 Intendantin und Künstlerische Direktorin der Oper Wroclaw. Sie hat das Haus zu einem gesellschaftlichen Zentrum von Stadt und Region reifen lassen, das inzwischen weit über schlesische und auch polnische Grenzen hinaus strahlt. Alljährlich im Sommer zählt auch eine sogenannte Megaproduktion zu den künstlerischen Anziehungspunkten. Ein Jahr vor Wroclaws Debüt als Kulturhauptstadt Europas wird einmal mehr auf Richard Wagner gesetzt. Diesmal auf seine 1843 in Dresden uraufgeführte und zehn Jahre später erstmals im damaligen Breslau gespielte Oper „Der fliegende Holländer“.

Diese ganz bewusst mit Event-Charakter ausgestatteten Megaproduktionen finden regelmäßig nicht im historischen Opernhaus statt, sondern zumeist an der 1913 errichteten Jahrhunderthalle, mal in ihr, mal in den Parkanlagen davor. „Der fliegende Holländer“ nun wurde als Open-Air-Spektakel mit reichlich Schauwert an einer Art Seebühne konzipiert, die Teile der prächtigen Wasserkunst nutzt und das vorhandene Ambiente ins künstlerische Gesamtwerk wirkungsvoll mit einbezieht.

Zwei gewaltige Schiffskulissen rahmen die großräumige Bühne, hinter der sich beleuchtete Fontänen erstrecken, die das eigentliche Areal schier zu sprengen scheinen. Natürlich hat das Holländer-Schiff rechts mächtig Schieflage, während Dalands Kahn majestätisch am linken Bühnenrand thront. Zentral davor ist das Orchester positioniert, das von der Hausherrin geleitet wird, die einst als erste Frau Europas und weltweit zweite Wagners kompletten „Ring“ dirigiert hatte. Für ihre Ambitionen um das Werk des Dichter-Komponisten wurde sie voriges Jahr mit dem Leipziger Richard-Wagner-Preis ausgezeichnet. Wie sehr sie sich den verdient hat, konnte sie auch mit dem aktuellen „Holländer“ nachdrücklich beweisen. Denn die akustischen Umstände sind keineswegs einfach gewesen, der Klangkörper, sämtliche Solisten und der Opernchor mussten für das Spektakel verstärkt werden – trotz heikler Technik ist ein erstaunlich homogener, satter Wagner-Sound gelungen. Vor allem überzeugten die tatsächlich klar gegliederten Orchesterstimmen, die mit reich differenzierten Klangfarben aufwarteten und selbst in den wuchtigen Passagen fein ausbalanciert waren.

Wer aber ehrlich ist, weiß, dass bei solch einem Megaopernevent zumeist nicht auf letzte Feinheiten musikalischer Interpretation geachtet wird, sondern auf satte Unterhaltung. In diesem Punkt schien das erwartungsfrohe Publikum auf dem mit viel Aufwand errichteten Gestühl diesmal jedoch reichlich unterfordert worden zu sein. Man startete das Spiel erst mit Einbruch der Dunkelheit, um mittels Kunstlicht und -gischt für schaurige Atmosphäre zu sorgen, doch da das aufwändige Bühnenbild von Regisseur Waldemar Zawodzinski naturgemäß statisch bleiben musste, hätte halt die agierende Personage während der knapp drei Stunden Spieldauer ordentlich für Hingucker sorgen müssen. Doch sie hat oft nicht mal agiert, geschweige denn, dass sie mittels sichtlichem Hintersinn inszeniert wurde. Mit historisch maritimen Kostümen der Daland-Mannschaft, viel Folklore beim ihre Seeleute zurückerwartenden Volk und leicht bizarren Totenköpfen der Holländer-Truppe war dies nicht getan. Kostümbildnerin Malgorzata Sloniowska hatte zwar ihrer Fantasie freien Lauf lassen können, doch wenn die so ausgestatteten Protagonisten nur steif die Kulissen füllen oder in volkstümelnden Tänzen Bewegtheit vortäuschen, dann wirkt das verschenkt.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass sämtliches Bühnengeschehen in seiner monotonen Schwerfälligkeit auf zwei Großbildschirme übertragen wurde. So wurden Details nicht nur sicht-, sondern unübersehbar – die man dem schauenden Publikum wie auch den singenden Darstellern vielleicht hätte ersparen sollen? Schon im Vorspiel schufen diese Bilder teils entstellende Totalen, wo namentlich der Chor sich zu verzehrenden Gesten des Erwartens hinreißen ließ. Daland aber kommt nicht, er muss ja erst noch den Wind für seinen Segler abwarten und währenddessen den verwunschenen Holländer treffen, dem er flugs seine Tochter verspricht. Dieser unmoralische Handel böte Gelegenheit mehr als genug, das Musikdrama irgendwie zu gestalten, dem Plot einen Kommentar aufzusetzen oder wenigstens die Charaktere als solche zu zeichnen. In jeder Hinsicht ist hier aber Fehlanzeige zu vermelden. Leider.

Statt schlüssiger Deutung der nur brav abgespulten Holländer-Saga gibt es faszinierende Wasserspiele und opulente Lichtorgien hinter Bühne und Schiffen; was es aber nicht durchweg gibt, sind sängerische Potentiale mit sauber geführten Stimmen oder gar verständliche Originalsprache. Gut, für letzteres hatte das einheimische Publikum Übersetzungshilfe via Bildschirm bekommen. Dass aber lediglich Eliza Kruszczynska als ausdrucksstarke Senta und Victor Campos Leal als vergebens um sie buhlender Eryk mit vokaler Schönheit überzeugen konnten, ist auch für eine Megaproduktion etwas mau. Barbara Baginska hielt als Mary mit scharfer Tonlage und mütterlichem Spiel die Balance, während Igor Stroin als pagenhafter Steuermann und Grzegorz Szostak als oberwichtiger Daland mitunter überfordert und Boguslaw Szynalski als stolzer Holländer teils arg bemüht wirkten.

Feurig wie das – freilich bedeutungslose – Vorspiel zweier Jongleure sangen und tanzten die Chormassen, saftig und stets voller Spannung spielte das Opernorchester – und die rund dreitausend Gäste dankten artig mit knappem Applaus für ein bildgewaltiges Event, dem etwas Würze gefehlt hatte.

P.S.: Da Elmaus Freiheit jetzt auch an den deutschen Außengrenzen verteidigt wird, sorgten deutsche Grenzwächter am ersten Juni-Wochenende ausdauernd dafür, dass bei der Rückreise kilometerlange Autostaus die Heimkehr von Wroclaw ins deutsche Wagnerland selbstherrlich und keineswegs klimaneutral, sondern nur äußerst ärgerlich in die Länge zogen.

Termine: 12., 13., 14.6.2015

 

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