Von Salzburg via Dresden nach Tokyo: Zu den Osterfestspielen gefeiert, wurde die „Meistersinger“-Inszenierung von Jens-Daniel Herzog an der Semperoper heftig ausgebuht. Viel Beifall gab’s für die Musik.
Theater ist auch eine Art Religion. Ohne Aberglauben geht da gar nichts. Ein heiliges Theatergesetz besagt, dass nur eine möglichst kritische Generalprobe das Gelingen der Premiere garantiert. So sicher wie das Amen in der Kirche. Nach dem krankheitsbedingten Ausfall einer Hauptfigur und knirschenden Bühnenabläufen in den Endproben stand die Premiere von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ an Dresdens Semperoper für die gläubige Gemeinde derartiger Omen offenbar unter dem bestmöglichen Stern.
Die ausverkaufte und offenbar von hohen Erwartungen begleitete Produktion hätte wohl auch „Die Meistersinger von Salzburg“ heißen können, denn diese Deutung des Regisseurs Jens-Daniel Herzog (am Staatstheater Nürnberg übrigens der Nachfolger des jetzigen Semperopern-Intendanten Peter Theiler) ist zu den dortigen Osterfestspielen herausgekommen [unser Bericht]. Während man im Salzburger Festspielhaus noch über das nachgebildete Bühnenportal der Dresdner Oper staunen durfte, war nun ein direkter Vergleich der gedoppelten Seitenlogen möglich und somit von Anfang an klar, dass es hier um Theater im Theater gehen wird.
In der Tat ließ schon die Eingangsszene keinen Zweifel daran, dass der vermeintliche Kirchenchor nur Arrangement ist, von Hans Sachs korrigiert und gelenkt wird, bis gleich darauf die Bühnentechnik den Ton angibt und die gotische Staffage wieder abbaut und einrollt, sie ist wie alles andere auch nur Kulisse gewesen.
Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog ist natürlich identisch mit der Salzburger Oster-Fassung gewesen, dennoch waren Dresdens „Meistersinger“ keine Umsetzung eins zu eins. Dazu sind die Dimensionen von Großem Festspielhaus und Semperoper zu unterschiedlich. Die geringere Portalbreite machte gewisse Reduktionen erforderlich und hatte auch klangliche Konsequenzen.
Doch hier wie da durfte das Publikum dieses Theater-Theater auf sich wirken lassen und staunen über einen Hans Sachs, der ebenso Schuster und Dichter ist wie zugleich Chefregisseur und Intendant. Dieser Mann spinnt die sprichwörtlichen Fäden der Oper, hält einen langen Abend über die Strippen zusammen und stellt auch mancherlei Weichen.
Ein solches Herangehen hat freilich den Vorteil, dass die Oper aus dem mittelalterlichen Nürnberg nicht so ganz bierernst genommen werden muss, sondern lustvoll ausgedeutet und auch mit so manchem Spaß versehen werden kann. Dennoch bleiben die „Meistersinger“ ein böses Satyrspiel, in dem der Goldschmied Veit Pogner seine Tochter Eva demjenigen als „Preis“ verspricht, der sie im Gesangswettbewerb gewinnt. Die fügt sich diesem ja eigentlich immer schon unzeitgemäßen Prozedere nur äußerst widerwillig und auch dies nur zum Schein, schließlich ist sie sofort dem fremden Ritter Walther von Stolzing verfallen, kaum dass der aufgetaucht war. Ein eklatanter Bruch mit den schrecklich ehernen Regeln der Meister, aus deren Riege sich ausgerechnet Sixtus Beckmesser als biederer Stadtschreiber die größten Chancen auf das schöne Mädchen aus reichem Hause erhofft.
Dass solch ein Prozedere heute überhaupt nicht mehr angeht, ein Mädchen als Preis auszuloben, wird bei Herzog kaum thematisiert. Doch seine Eva ist selbstbewusst genug und pocht auf ihren eigenen Willen. Und auch Hans Sachs erweist sich als weltoffen genug, um für ein vorsichtiges Überwinden des Althergebrachten bereit zu sein. Indem diese Oper durch die Theatralik ihre zweite Ebene erhält, kann sie Augenzwinkern über Nachdenklichkeit stellen, Kalauern über Logik, und macht sogar den abendfüllenden Rampengesang quasi zur Methode. Das funktioniert sogar, solange es unterhaltsam ist. Die Prügelszene etwa, der Einsatz von Komparserie und nicht zuletzt das (gedoppelte!) Schokoladenmädchen von Liotard sorgen durchaus für Heiterkeit. Beim Preissingen auf der Festwiese bleibt allerdings wie beinahe immer in dieser Wagner-Oper ein bitterer Beigeschmack, was vor allem am kritiklosen Umgang mit dem finsteren Deutschtum im Libretto des Dichter-Komponisten liegt. Herzogs Deutung bietet zumindest die Flucht von Eva und Stolzing als Ausweg aus diesem Dilemma, die beiden pfeifen auf das längst überkommene Gehabe der Zunftmeister.
Dass die drei Akte mit ihren zwei Pausen beinahe sechs Stunden Gesamtspieldauer verschlingen und dennoch nahezu kurzweilig verfliegen, liegt einerseits an Herzogs Regieeinfällen und dem funktionalen, häufig in Bewegung versetzten Bühnenbild von Mathis Neidhardt, und ist andererseits vor allem ein großer Triumph der Musik. Sämtliche Meister in ihren grauen Anzügen (Kostüme: Sibylle Gädeke) sind Salzburg-Besetzung, einzig die Eva von Camilla Nylund ist für Dresden neu eingestiegen und fügt sich auffallend farbig in die Szenerie ein. Ihr Stolzing ist sowieso ein Exot, agiert erst in Zimmermannskluft und bekommt zum Schluss ein schickes Sakko ganz in Weiß übergeholfen. Doch schon bei Hans Sachs werden Kleidungsdetails deutlich, die sich – und ihn – abheben vom Althergebrachten der Zünfte.
Dass durch die Reihe weg vortreffliche Gesangskünste geboten werden, liegt auf der Hand, denn alles andere als ein hohes Niveau wäre für eine musikalisch von Christian Thielemann geleitete Produktion schier undenkbar.
Der Chefdirigent lässt die Staatskapelle großartig aufspielen (in den ersten beiden Akten mitunter etwas zu laut), nimmt den von Jan Hoffmann perfekt einstudierten Chor zu einer weiteren Bestleistung geradezu an die Hand und führt die Sängerinnen und Sänger dank der fast unablässigen Blickkontakte ziemlich präzise.
Neben dem bärigen Bass von Vitalij Kowaljow als Pogner und dem jugendlich vitalen Tenor von Sebastien Kohlhepp als Lehrbube David glänzen vor allem Klaus Florian Vogt als beinahe unermüdlich kraftvoller Strahle-Tenor Walther von Stolzing nebst Christa Mayer als liebenswürdiger Amme Magdalene sowie die hier sehr mehr ernst denn ausgelassen wirkende Camilla Nylund als Eva. Einmal mehr in seiner ja auch tragischen Charakterstudie als Beckmesser gelingt Adrian Eröd der Spagat zwischen Selbstverleugnung und nur fast überzeichneter Posse, mit markantem Gesang und virtuosem Spiel vermeidet er es, diese Rolle zu denunzieren, sondern weckt sogar Spuren von Mitleid.
Und Georg Zeppenfeld, der ja zu den Osterfestspielen 2019 in Salzburg sein umjubeltes Debüt als Hans Sachs gegeben hat, beweist auch an der Semperoper in Dresden das erwähnte Theatergesetz. Ein grandios spielender, wunderbar kultiviert singender und durchweg textverständlicher Hans Sachs ist ihm hier gelungen.
Völlig zu Recht wurden die Sängerinnen und Sänger, wurden auch Chor und Orchester sowie der Musikchef des Hauses bejubelt. In den fast zwanzigminütigen Applaus (was für Dresdner Verhältnisse wirklich enorm ist!) mischen sich freilich auch heftige Buhrufe für die Regie, was dann doch einigermaßen verwundert und geradezu wie bestellt empfunden werden kann. Denn die Inszenierung ist weder allzu bieder noch eckt sie in irgendeiner Weise bei Wagner-Apologeten an. Doch wie so vieles ist eben auch Theater von Glaubensfragen durchwachsen.
- Termine: 2., 10. und 16. Februar