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Foto: Marlies Kross
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Waldrausch und trügerisches Glück – Sondheims „Into the Woods“ in Görlitz

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Nicht ganz so heftig war der Premierenapplaus im Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz. Dennoch scheint das Publikum mit vielen jungen Gesichtern und internationalen Gästen am Beginn der unterschlesischen Sommersaison sehr beglückt über die Märchencollage Stephen Sondheims und seines Texters James Lapine. „Into the Woods“ aus den Jahre 1987 ist längst ein Klassiker und bildet mit den vielen dekorativen Grimm-Adaptionen im Alle-Generationen-Theater der letzten Jahre bereits eine Nische für sich. Eine mit vielen Erfolgsaussichten und einigen Tücken.

Durch Rob Marshalls Film mit Meryl Streeps Hexe und Johnny Depp als Wolf wird es seit zwei Jahren für „Into the Woods“ auf der Bühne noch etwas schwieriger. Geplant hatten Sondheim und Lapine ein Musical mit überschaubaren Wirkungen. Dafür besetzte Sebastian Ritschel in Görlitz überwiegend aus dem Musiktheater-Ensemble des Hauses und mit Gästen. In künstlerischer Gesamtverantwortung für Regie, Ausstattung und Licht frisierte er die Ästhetik deutlich in Richtung Gegenwart auf. Jetzt trägt Rotkäppchen knallrotes Latex und die Prinzen Shirts mit Bizeps-Ansichten unter den Gardeuniformen. Dass Grimms Märchen immer funktionieren, wenn Grundzüge der Ikonographie à la Ludwig Richter oder Walt Disney erkennbar bleiben, bestätigt Ritschel genauso wie vor einigen Monaten Mario Schröders „Märchen der Gebrüder Grimm“ für das Leipziger Ballett. Da wird es immer spannend, ob Regie und Ensemble hinter einer bunt-gläsernen Kollektion die gar nicht heile Märchenwelt freilegen wie zum Beispiel Robert Wilson aus Erich Kästners „Peter Pan“ am Berliner Ensemble.

Bekanntermaßen macht Sondheim dazu ein klares Angebot: Im ersten Teil des fast durchkomponierten Musicals meistern die Figuren Kinderwunsch-Probleme und realisieren ihre Sehnsüchte. Im zweiten Teil durchlaufen sie Partnerschafts- und Sinnkrisen, solidarisieren sich erst in allerletzter Sekunde angesichts der Bedrohung durch die von ihnen geschädigte Riesin. Da rutscht der Abend parallel zu Rapunzels (Cristina Piccardi) sozialem Absturz mit ihren Zwillingen etwas in Überlänge, weil die etwas zu gekonnte Bewegungsdynamik sehr zielgerichtet so ganz ohne Scharten abspult.

Dabei hat die passend schmal besetzte Neue Lausitzer Philharmonie die besten Voraussetzungen zu den wie bei Tom Waits schnarrenden und scharrenden Sounds, ganz ohne hier eher störende stilistische Vorkenntnisse. Streicherrutscher und das Knarzen der Drums geben vor: Rhythmus vor Melos! Das sitzt durch die lässig-prägnante Leitung Ulrich Kerns – und wie.

Später dann, wenn es an die Rettung aus den selbst gebauten Problemen geht, wird das nur glatt, nicht spiegelglatt. Bis dahin passen Raum- und Spielwirkung immer (zu) gut zusammen. Die Sehnsüchte der Paare und paarungsfreudigen Singles bauen sich in einem hohen Raum begrenzten Raum auf, wo Scheuklappen und Engstirnigkeit so lang sind wie Hans‘ Riesenbohnen und Rapunzels monströser Haarzopf. Der Wald besteht aus Projektionen von dickstämmigen Baum-Mathusalemen, Mauertürmen und Laubwäldern wie in Unterschlesien. Das ist eine technisch generierte zweite Natur für die romantische Ferne. Die Märchenfiguren, unsere Zeitgenossen, treten auf der Stelle, kommen längst nicht so voran wie bei Grimm.

Homogene Qualität des Ensembles

Generell ist die über weite Partien homogene Qualität des Ensembles sehr erfreulich. Angefangen von der Bäckerin, deren Aufruf zur „Der-Zweck-heiligt-die-Mittel“-Ethik Antje Kahn zur stimmschönen Verführung aufbaut. Endlich wird hier nicht das  postfeministische Rotkäppchen (Mirjam Miesterfeldt) die Abräumerin, sondern das klar fokussierende Aschenputtel, das Ehrgeiz und der Freude am Putzen gleichermaßen überzeigend Ausdruck gibt. Anna Preckeler spielt ein Mädchen mit Chuzpe und klaren Vorstellungen.

In Zielstrebigkeit hin zu Hauptpartnerinnen und Nebenschauplätzen sind die Männer da polierte Mannsbilder mit wenig Hirn hinter der Birne. War es vielleicht gar mainstreamaffine Absicht, dass die windigen Prinzen zu den bunten ethnischen Gruppen gehören? Ji-Su Parks böser Wolf mit vokal und visuell gewinnender Ganovenerotik ist für Rotkäppchen ein Fest, bei den öligen Sprüchen von Aschenputtels Prinz schraubt Park dann zurück – synchron mit Thembi Nkosi, der Schwärmen und Schmollen auf das Männersachen-Tablett bringt.

Das kommt alles ohne jene doppelbödigen Märchen-Chiffren aus, von denen sich Sondheim begeistert zeigte und die Dramaturg Ronny Scholz im Programmheft von Wald bis Angst, von Hexe bis Bewährung enzyklopädisch auflistet. Eine Sängerdarstellerin wie Yvonne Reich schlittert als hässliche und dann mondäne Hexe auf voluminös dramatischen Tönen einsam dahin, sie muss lavieren zwischen den Psycho-Klischees der eifersüchtigen Mütterbilder Bruno Bettelheims und einschichtigen Phantasien aus dem Weihnachtsmärchen. Trotz Persönlichkeit und Stimmpräsenz wirken Manuel Stoff als Hans mit den Zauberbohnen und Michael Berner als Bäcker mehr dekorativ als authentisch.

Grausamkeit einmal mehr Behauptung als konkret

Es ist so eine Sache mit den Märchencollagen: In Görlitz bleibt die Grausamkeit einmal mehr Behauptung als konkret. Oder ist die Technisierung des Märchentheaters schon so fortgeschritten, dass diese Technik schwarze Poesie nicht generiert, sondern ersetzt?

Steffen Ciepliks Videos färben zu den Goldsüchten der Figuren sommergrünes Laub in Herbstgold. Es rumpelt und rappelt, wenn die Riesin unausweichlich kommt wie die Banalität des Bösen aus Hollywood. Das setzt kaum Kontraste zur gestischen Klarheit der Musik und ihrer artifiziellen Schieflagen im Krisendschungel. Jennifer Caron (Hans‘ Mutter), Adrienne Balász (Aschenputtels Mutter) und Stefan Bley (Erzähler/Geheimnisvoller Mann) gelingt es in den wenig kontrastierenden Unterschieden zwischen den Generationen, das Versagen der Älteren zu verdeutlichen. Die Erleichterung im Finale über die gemeisterten Katastrophen und der Ruf nach Solidarität machen den Abend sogar für Kinder flockig und wohl bekömmlich. Gemessen an Sondheims Vorgaben ist das wahrscheinlich eine kleine Spar zu wenig, ein bisschen mehr horribles „Blair Witch Project“ darf sein.

 „Ab in den Wald“ wieder am Sa 18.06. (18:00), Fr 24.06. (19:30), So 26.06. (19:30), Sa 02.07. (19:30), So 03.07. (15:00) – Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz – www.g-h-t.de – Tel. 03581 474747

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