Bereits 1982 war er Gast des DAAD und nahm am Festival der Weltkulturen „Horizonte 82“ teil, dann verschwand er wieder für Jahrzehnte von der Bildfläche Europas: Walter Smetak, der 1937 aus der Schweiz nach Brasilien ausgewanderte Universalmusikerkünstlerforschertheoretiker-esoterikerinstrumentenerfinder, der seine kompositorischen und klang-akustischen Experimente weitab der europäischen Nachkriegsavantgarde vorantrieb.
Zunächst als Cellist bei diversen brasilianischen Orchestern aktiv, fand er seine Heimat schließlich an der Escola de Música der Universität Bahia (UFBA) im nordbrasilianischen Bundesstaat Salvador, und avancierte dort zu einer Vaterfigur der progressiven Musik Brasiliens.
Die Berliner Mikromusik hatte Smetak 2015 wieder ins Gedächtnis gerufen: Gustavo Alfaix konzipierte dort unter dem Titel dreaming Smetak (2015) eine Klanginstallation, die auf nie realisierte Pläne des Züricher Wahlbrasilianers zurückging. Grundidee: die Saiten einer Vielzahl mikrotonal gestimmter Gitarren werden (ähnlich dem Prinzip einer Äolsharfe) vom Wind in Schwingung versetzt und erzeugen sanft oszillierende Mikrocluster. In seiner Verschmelzung von Aspekten der Installation, Akustik, Harmonik und Natur ein echter Smetak! Nun widmete man sich Smetaks exzeptionellem, in Europa lange Zeit unbeachtet gebliebenem Klanglabor im Rahmen der MaerzMusik mit bis dato nicht dagewesener Intensität in Symposium, Ausstellung und Konzert – konzipiert und durchgeführt vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD und dem Ensemble Modern in Kooperation mit dem Goethe Institut. Ein ziemlich lohnenswertes Unterfangen, das mit den vielen Facetten von Smetaks spiritueller Ästhetik bekannt machte, die sich am spektakulärsten im Bereich eines experimentellen Instrumentenbaus niederschlägt: Smetak konstruierte mehr als 150 einzigartige Klangerzeuger, mit denen er seine Vision einer hybriden Klangästhetik mikrotonaler Provenienz vor allem improvisatorisch auslotete.
Ein Teil von diesen Instrumenten war in der von Julia Gerlach kuratierten, kleinen aber feinen und instruktiven Ausstellung „Smetak’s Inventions“ in der neuen Galerie des DAAD zu bewundern. Sie zeigte neben zahlreichen Originaldokumenten, grafischen Partituren, Fotos und Filmen natürlich eine repräsentative Auswahl von Smetaks „Plásticas Sonoras“ aus den 1960er- und 1970er Jahren in Original und Nachbildung. Sie waren nicht nur exotischer Blickfang, sondern wurden in einem flankierenden Workshop auch erläutert und gespielt. Tatsächlich zeigten sich da nicht einfach nur Instrumente, sondern Skulpturen, die verschiedenste Materialen und Klangerzeuger phantasiereich kombinieren und deren Konzeption sich einem komplexen spirituellen Überbau verdankt. Der entsprang Smetaks umfassendem Interesse an Fragen der Philosophie, Ästhetik und Akustik. Blickfang der Ausstellung und eines der Lieblingsinstrumente Smetaks: die „Vina“. Optisch eine Mischung aus Cello und asiatischem Chordophon, in das noch andere „Kleinigkeiten“ wie Glocken, Schlegel, Schläuche oder eine „Mini-Harfe“ aus scheppernden Metallsaiten eingebaut sind, ganz zu schweigen von der Möglichkeit elektronischer Verstärkung. Solche hybriden Konstruktionen bilden in Smetaks Klang-Kosmos nicht nur optisch heterogene, sondern auch klangfarbliche Mischwesen mit einem dezidiert „schmutzigen“ Gesamtklang. Die einzelnen, bei Smetak oft aus Kalebassen gefertigten, Resonanzkörper symbolisieren im Falle der „Vina“ einzelne Hindu-Götter, das Instrument insgesamt stellt eine Art Tempelschrein mit dem Musiker als Priester dar, der mit dem Rücken zum Publikum spielt, um mit dem hinten offenen oberen Resonanzkörper die Energie des Publikums aufzunehmen. Die komplexen symbolischen Bedeutungen der einzelnen Instrumentenbereiche füllen in Smetaks zentraler Abhandlung „Simboliogia dos Instrumentos“ ganze Kapitel. Nicht minder spirituell aufgeladen die rasselnden Klänge angerissener Metalllamellen der „Três Sóis“, ein Klangapparat, der aus drei drehbaren Holzscheiben und einem Resonanzkörper besteht, welche die drei verschiedenen Sonnen in den transzendentalen Naturvorstellungen der „Eubiose“ wiederspiegeln; die „Rondas“ hingegen, von der Form her ein Stundenglas, evozieren Unendlichkeit nicht nur visuell, sondern auch in der Produktion kontinuierlicher Bordunklänge eines saitenbezogenen Drehobjekts.
Von zentraler Bedeutung in Smetaks spirituellem Instrumentallabor waren Prinzipien kollektiver Improvisation mit dem Ziel einer möglichst unmittelbaren existentiellen Erfahrung von Musik. Ähnlich Giacinto Scelsi betrachtete auch Smetak den Vorgang des Musikmachens als ein Mittel zur Kommunikation mit dem Göttlichen bzw. zum Erreichen eines transzendenten, gottgleichen Seinszustandes – Improvisation als Ritual. Anders (und darin konsequenter) als Scelsi hat Smetak seine Sessions jedoch nicht nachträglich durch Aufnahmetranskriptionen in ein reproduzierbares Notat verwandelt. Bei ihm lag der Fokus eher auf der Ausarbeitung der improvisatorischen Rahmenbedingungen in Form von Text und grafischen Spielanweisungen. Smetaks Visionen gipfelten schließlich im „Ovo“, einer begehbaren Klangskulptur auf mehreren Ebenen in Form eines Rieseneis, das, mitten im Dschungel platziert, neue Resonanzräume aufschließen sollte, indem die geläufigen Grenzen zwischen Instrument, Klangproduktion und Resonanzkörper zur Auflösung kommen sollten. In der mittleren Ebene sollten dazu bis zu 600 in Mikrotönen gestimmte Saiten gespannt werden, der Resonanzraum durch Einwirkung von Wasser, Wind und Integration von Außengeräuschen ständig verändert werden. Das Projekt blieb Vision ...
Die große Smetak-Huldigung im Rahmen der MaerzMusik vollzog sich aber nicht allein theoretisch und dokumentarisch, hatten die Verantwortlichen doch eine Auseinandersetzung zeitgenössischer Komponisten mit Smetaks Ästhetik angeregt. Die in Auftrag gegebenen Kompositionen, bereits Ende Februar vom Ensemble Modern in der alten Oper Frankfurt uraufgeführt, zeigten fast erwartungsgemäß einen spielerischen bis verspielten Zugriff auf Smetaks Instrumentarium und machten dabei ausgiebigen Gebrauch vom großen Saal im Haus der Berliner Festspiele. Dennoch verstanden die Beiträge es größtenteils nicht, den Charme und die Poesie ihrer geborgten Klangerzeuger eindrucksvoller zum Vorschein zu bringen bzw. für sich zu nutzen. Ein solistischer Fokus war überraschend selten, stattdessen herrschte der Eindruck vor, man wollte Smetak nun partout dadurch die zweifelhafte Ehre erweisen, dass man Improvisation „nachkomponiert“. Dass das selten funktioniert, bewies gleich das übergeschäftige, perkussiv-geräuschhafte „...tak-tak...tak...“ von Arthur Kampela, das die meisten Smetak-Instrumente verwendete und doch am wenigsten Eindruck machte. Die gestische Überfülle machte in mikroskopischer Ausnotierung Brian Ferneyhough alle Ehre, im Klangeindruck hatte das dann etwas von Improvisations-Wochenendseminar. Ganz entschieden lateinamerikanisch kam auch die einzige Nicht-Brasilianerin daher: Liza Lims „Ronda – The Spinning World“ war inspiriert von der urbanen Chaotik Salvador da Bahias und schöpfte seine rhythmische und melodische Energie aus vielerlei Jazz-Anleihen, was der intensive Gebrauch von Trompeten unterstrich. Anstelle der im Titel annoncierten „Rondas“ standen dabei vor allem die burlesken Artikulationen der „Piston Cretinos“ im Blickpunkt, Mundstücke mit Schläuchen, die in einem Trichter enden, und die sich mit den „echten“ Bläsern eine Art expressiven Wettkampf lieferten. Weniger (oder besser gesagt gar nicht) auf die klanglichen Eigenschaften von Smetaks Objekten als auf deren äußerliche Erscheinung hob Daniel Moreira in seinem „Instrumentarium“ ab, das klangliche Vorgänge mit Video-Sequenzen vernetzte, die Nahaufnahmen einiger „Plásticas sonoras“ zeigten. Das kam recht druckvoll und energiegeladen daher, wirkte eben aber auch zeitweise recht „äußerlich“, in der rhythmischen Synchronisation mit den Schnitten der Bildebene geradezu effekthascherisch. Am charmantesten gelang die Annäherung an Smetaks Welt beim in Bahia geborenen Paolo Rios Filho. Sein „volvere“ entpuppte sich als wuseliges vokal-instrumentales Theater, das gedankliche Fragmente aus Smetaks geistigem Kosmos auch per Stimmaktionen der Musiker in den Raum stellte. Eine Hommage, die bei aller Ernsthaftigkeit ihrer Rekurse auf Aspekte ständiger Transformation und Metamorphose klanglicher Energie auch die absurden, verschrobenen Momente von Smetaks Spiritualität in durchaus erheiternder Form inszenierte.
Am Ende stand dann doch die Frage im Raum, ob ein improvisatorischerer Konzert-Ansatz des Ensemble Modern nicht fruchtbarer gewesen wäre, um Smetaks Klangvorstellungen im Sinne seiner Idee einer „Rückkehr in die Zukunft (durch den Geist)“ zum Leben zu erwecken. Für die Poesie waren bei „Re-Inventing Smetak“ vor allem die Ausschnitte aus diversen Kurzfilmen zuständig, die sowohl die Magie seiner „Klangskulpturen“ vermittelten (mit dem Schöpfer als hingebungsvollem Zeremonienmeister) als auch den Menschen und seine so singuläre wie universal gedachte Phantastik.