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Foto: David Röthlisberger
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Wandern ohne Wege – Theater Luzern eröffnet unter Benedikt von Peter mit Luigi Nonos „Prometeo“

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Beim Eintritt muss man seine Schuhe abgeben. Gegen Söckchen und eine Nummer. Im Zuschauerraum, von den üblichen Plüschsitzen leergeräumt, liegen Matratzen, Kissen, stehen winzige Dreieckshocker, normale Stühle und für die, die es doch noch brauchen, auch zwei Reihen normaler Theatersitze. Das Ganze um- und aufgebaut nach dem Vorbild des runden Shakespearesschen „Globe“.

Auf den zwei Rängen das in vier Gruppen verteilte Orchester mit 85 MusikerInnen, die damit 250 BesucherInnen gegenüberstehen, sozusagen unter sich begraben. Dieses Szenario hatte am Samstag am Luzerner Theater Premiere und für viele ist es leicht, zu wissen, um was es sich hier handelt: Um das 1984 uraufgeführte „Prometeo“, diese „Tragödie des Hörens“ von Luigi Nono in einer „szenischen Einrichtung“, von Benedikt von Peter.

Benedikt von Peter wurde nach aufsehenerregenden Inszenierungen in Bremen, wo er Oberspielleiter der Oper war, vom Luzerner Stiftungsrat zum Intendanten berufen und er sah darin sofort eine Chance, seinen provozierenden, die Nähe der Menschen suchenden Theatervisionen noch größeren Ausdruck zu verleihen als in isolierten Inszenierungen: im Spielplan, im Engagement bestimmter Künstler und vor allem in Räumen: da zieht er in die Natur, in Kirchen, in Fabriken und in die von ihm erfundene neugebaute „Box“, in der – neben Aufführungen – Treffen und Versammlung realisiert werden sollen. Von Peter will tradierte Opernwahrnehmung verändern, will, dass Hören existentiell wird. Das wollte auch der venezianische Komponist Luigi Nono, der mit „Prometeo“ eins der größten Werke in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben hat. Insofern ist „Prometeo“ auch ein Signalstück für von Peters Ideen.

Trotz einer umfangreichen Textcollage von Aischylos über Hölderlin und Walter Benjamin bis zu Massimo Cacciari hat „Prometeo“ – inzwischen einer der weltweit am häufigsten aufgeführten zeitgenössischen Musik – keinen eigentlichen Inhalt, sondern die Geschichte der Menschheit vom Götterprotestler Prometheus bis zu den Hölderlinschen leidenden Menschen, die von „Klippe zu Klippe ins Ungewisse“ stürzen und in unerhörter Einsamkeit enden, weil es keine Wege mehr gibt, nur noch das Wandern, das Suchen, mit „dieser schwachen messianischen Kraft“ (Benjamin). Und das soll sich nicht nur über strukturell verankerte, den Text interpretierende Töne vermitteln; Nonos Traum war es, dass ein Ton, ein einziger Ton, das Leben verändern kann. Von Peter ließ die Texte über Videos auf den Globebrettern und auf den Körpern der Menschen projizieren, Menschheitsgeschichte sozusagen ihnen eingeschrieben. 

Dafür braucht es natürlich einen Dirigenten, der die selbe Utopie zu verwirklichen wünscht und die MusikerInnen hat, die ihm dabei folgen. Das ist in Luzern der neue musikalische Direktor Clemens Heil, der mit dem Luzerner Sinfonieorchester in einer Koproduktion mit dem Lucerne Festival ein überragendes, erschütterndes Klangerlebnis schaffen konnte und die winzigen Veränderungen, die Mikrointervalle, die außerordentlichen dynamischen Unterschiede vom zehnfachen pianissimo bis zur katastrophischen Explosion die Bewegungen im Raum existentiell vermitteln konnte. Und der angewiesen war auf die diffizile Arbeit der Live-Elektronik des Experimentalstudios des SWR: die vier „Elektroniker“ an den Reglern machen eine zutiefst musikalische interpretatorische Arbeit, indem sie die bläserlastigen Instrumentalklänge nicht mit Rausch- und Donnereffekten – wie so oft üblich – überziehen, sondern im Prinzip jeden Ton analysieren, sein Innenleben freilegen. Wandern und Suchen, Geheimnis und Fragen mehren sich. Eine besondere Herausforderung für das Experimentalstudio war für diese Aufführung die Tatsache, dass es sich um den kleinsten Raum handelt, der jemals für „Prometeo“ zur Verfügung stand.

Die fünf SängerInnen und der Chor zeigten ähnliche Tongeheimnisse. Es gibt für Nonos erschreckend aktuelles Werk kein richtig oder falsch, kein gut oder schlecht der Interpretation, weil der Komponist so vieles offengelassen hat, damit sich die Lösungen am konkreten Raum entwickeln können. Und das ist sensationell gelungen und wurde zu einem Riesenerfolg: dieser Aufführung nach haben die Luzerner das angenommen: kein Huster war zweieinhalb Stunden lang zu hören, niemand ist eingeschlafen – zumindest hat niemand geschnarcht, was ja auch sein könnte. 

Eine urige Pointe: zwei der Spieler waren schon bei der UA in Venedig in der säkulariserten Kirche San Lorenzo dabei: die Altistin Susanne Otto, deren magische Stimme Nono immer gern dabei hatte, und der Flötist Roberto Fabbriciani.

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