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Opernchor und Ballettensemble des Anhaltischen Theaters. Foto: Claudia Heysel
Opernchor und Ballettensemble des Anhaltischen Theaters. Foto: Claudia Heysel
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Was kostet die Welt … – Das Anhaltische Theater in Dessau serviert mit „Casanova“ eine Musical-Weltpremiere

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Ein Stadttheater muss schon über ein gewisses Maß an Kühnheit verfügen, wenn es sich mit einem selbst gemachten Musical der Konkurrenz in einer Branche stellt, die im Grunde ein weltweiter Vermarktungszirkus ist. Das von der Landespolitik arg bedrängte Anhaltische Theater Dessau hat diesen Mut. Ganz nach dem Motto des Songs „Was kostet die Welt?“. Und mindestens der bleibt haften, wenn man das Theater nach zweieinhalb Stunden gut gestimmt wieder verlässt. Trotz einer veritablen Höllenfahrt.

Als Autor ist Andreas Hillger (47) längst auf den Librettisten-Geschmack gekommen. Jetzt hat er sich das Leben Giacomo Casanovas (1725-1798) vorgenommen, noch mal DaPontes „Don Giovanni“ Revue passieren lassen und es zu einer flotten Melange aus Balladen, Duetten und Ensembles verdichtet, in drei Akte unterteilt und mit Lust am gereimten Parlando zur Vorlage für den Komponisten Stefan Kanyar (42) gemacht. Dem ist nicht nur zu Casanovas Motto-Song vom Preis der Welt eine zündende Melodie eingefallen … Ein neues Musical hat gute Aussichten auf Erfolg (vor allem an der Kasse), wenn der Gegenstand leicht verständlich, die Titelfigur prominent ist, vor allem aber musikalisch das Genre bedient wird. Wobei ein paar originelle Hits, die im Ohr bleiben, nicht schaden, die Balladen ausladend bis an die Kitschgrenze sein dürfen, Tanz und Kabbelei (oder wie in Venedig: Karneval, Orgie und die Bleikammern) vorkommen und perfekt choreografiert sind, das Tempo stimmt und der Platz für den Szenen-Applaus durch das Publikum auch gefüllt wird. Und dann braucht man „nur“ noch den Rahmen fürs Auge: Attraktive Protagonisten, die auch noch singen können und bei der Bühne und den Kostümen alles, was Werkstätten und Fundus hergeben. In Dessau kann man hinter jedes Kriterium getrost einen Haken setzten.

Wenn André Eckert als Diener Leporello (!) mit seinem „Was hab ich nur verbrochen?“ beginnt, launig sein Los in der zweiten Reihe an der Frauenerobererfront zu beklagen, Casanova sich aus den Armen einer Frau losreißt und den auftauchenden Herrn Vater im Duell ersticht, ist das für die Opernfreunde im Saal das erste Don Giovanni Déjà-vu; am Ende, wenn der ermordete Vater den Verführer der Tochter zur Rechenschaft zieht und der erhobenen Hauptes zur Hölle fährt, schließt sich der Kreis mit dem letzten.

Dazwischen geht die Geschichte in Venedig ihre eigenen Wege. Mit einem Inquisitor, der Casanova geradewegs aus einer Orgie heraus in die berühmten Bleikammern in der Nähe des Markusplatzes verfrachten lässt. Mit einer geheimnisvollen Frau, die ihn als Mann verkleidet mit dem Degen in der Hand aus ärgster Bedrängnis rettet, seine Geliebte sein, aber nicht seine Frau werden und vor allem ihre Identität nicht preisgeben will. Wenn diese geheimnisvolle Schöne (Roberta Valentini singt obendrein fabelhaft) dem Gefangenen die Werkzeuge für die Flucht aus den Bleikammern zusteckt, ist das ihr Abschiedsgeschenk. Sie erscheint ihm dann viele Jahre später am Ende seines Lebens im böhmischen Schloss Dux noch einmal im Geiste, als die gemeinsame Tochter (Karen Helbing) einen Abschiedsbrief der längst verstorbenen Mutter überbringt und (da trägt das Libretto dann doch etwas allzu arg auf) den ungeborenen Enkel im Mutterleib präsentiert. Als Anreiz weiter zu leben. Opa Casanova. Aber davor schützen die Geister des Musicals das Publikum. Eine Höllenfahrt macht sich bühnentechnisch eben allemal besser als einen Sexgott in Rente beim Babysitten. Wo Casanova Recht hat, hat er Recht. Ach ja, die geheimnisvolle Liebe seines Lebens war natürlich die Gattin des Inquisitors. Wer auch sonst.

Regisseur Christian von Götz dirigiert sein Personal so flott und spritzig (bei Bedarf natürlich auch gefühlig) durch die Geschichte wie Daniel Carlberg die Anhaltische Philharmonie im Graben. Dabei wird kaum verschleiert, wo der Komponist – von Mozart, Beethoven, Bizet oder Bernstein bis hin zum Balladenliedgut und dem umvermeidlichen Musical Mainstream – mal ein Auge riskiert, sprich die Inspirationen geholt hat. Ausstatter Ulrich Schulz spielt auf einer bühnenfüllenden Leinwand im Hintergrund mit Venedig-Bildern und ihrem Namen. Aus den Buchstaben lassen sich bei Bedarf ebenso gut ein NIE wie ein NICE hervorleuchten … Schaurig schön die Collage aus Gebirge, Schnee und Bibliothek für das böhmische Schloss Dux, in dem Casanova seine letzten Jahre verbringt. Bei den üppigen Kostümen für die (immer noch hauseigenen) Tänzer und den Chor (von Karneval bis Orgie) haben sich die Überstunden der Werkstätten gelohnt.  Als Casanova mit langen blonden Haaren und einer Vorliebe  für Rot bringt Patrick Stanke seine Musikalerfahrung ein. Die Damen (inklusive der in Nonnentracht) stalken ihn was das Zeug hält, Adam Fänger ist als Gegenspieler ein wunderbar fieser inquisitorischer Conte Querini. Den kennt keiner mehr - den seines prominenten Gegners kennt jeder. Am Ende: Musicaltypische standing ovations für alle.

  • Nächste Aufführungen: am 12. und am 13. 09. 2014

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