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„Der Freischütz“ 2024. © Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler

„Der Freischütz“ 2024. © Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler

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Webers „Freischütz“ verwässert – Die Bregenzer Festspiele sind eröffnet

Vorspann / Teaser

Zwei Sommer-Spielzeiten muss ein populäres und auch spektakulär inszeniertes Musiktheaterwerk das Rückgrat der Festspiele bilden. Dabei darf und soll auch der See mitspielen. Die scheidende Intendantin Elisabeth Sobotka schätzt den film- und pop-video-erfahrenen Regisseur Philipp Stölzl. Er durfte für die 78. Festspiele den noch nie in Bregenz gespielten „Freischütz“ Carl Maria von Webers neu deuten.

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Als sein eigener Bühnenbildner hat Stölzl die Handlung von aller Wald-Romantik entblößen dürfen. Zum traumschön realen Sonnenuntergang des Eröffnungsabends zeigt seine Einheitsbühne ein weitgehend aus dem Lot geratenes winterliches Dorf. Da rauchen die schrägen Schornsteine. Ein Mühlrad dreht sich mit realem Wasser, doch alle Bäume sind abgestorben – es ist ein vom zurückliegenden Krieg teils zerstörter Ort, von einer Überschwemmung zusätzlich gezeichnet, weitgehend vereist, dazu von vielen Wassertümpeln und Eisflächen umgeben. Da findet ein wohl „Rauhnächte“-Wettschießen statt, auf dem gesoffen und sogar lautstark gekotzt wird. Auf einer Seitenfläche musizieren auch mal drei Dorfmusikanten. 

In dieser detailversessenen „Eiswasser“-Szene steht die Kirchturm-Uhr meist still, kreist dann aber auch mal irre, um dann doch die Geisterstunde von „Zwölf bis Eins“ anzuzeigen. Vor allem die Tümpel werden dauernd durchwatet, es wird unter- und aufgetaucht, weshalb alle Darsteller unsichtbare Neopren-Häute und Spezialschuhe tragen – der Festspieletat machts möglich. Diese aufwendig wie aus aller Zeit gefallene, aber sehr naturalistisch gestaltete „Land-Wasser-Schaft“ wird aber auch von mehr als zehn Technik-Masten mit modernsten, fahrbaren Scheinwerfern und Lautsprechern umstanden – während es über Jahrzehnte Bregenzer Markenzeichen war, alle Technik möglichst zu verstecken. 

Stilistisch „phantastisch“ darf dann aber Agathes offen in Szene ragendes Bett auch mal geisterhaft hochfahren. Der teuflische Samiel ist zum durchgehenden Spielleiter (geifernd hübsch Moritz von Treuenfels) aufgewertet, darf ein aus dem Wasser auftauchendes Skelett-Ross reiten, eine Feuer-Kutsche mit Gespenstern ziehen und auf einem feuerspeienden Teufelsdrachen den Freikugel-Pakt mit Kaspar schließen. Der gießt seine Freikugeln in einem Feuer-Ring mitten im Wasser, wird von vielen auftauchenden Untoten (der Stunt-Truppe) umgeben und dazu wabert enorm viel giftgrün-blau ausgeleuchteter Bühnennebel. Ännchens „flotter Bursch“ wird – gendergerecht? – zur „Maid“ umformuliert und von acht, mit Glühlämpchen bekränzten Nixen mitsamt Wasserballett und Synchronschwimmen umspielt. Diese Glitzermädels umtanzen später dann auch Agathe zum „Jungfernkranz“-Gesang … zahllose weitere Details bis hin zu religiösen Kitschbildchen auf dem Mond über der Szene lassen sich aufzählen. 

So wird in einem Vorspiel der „Schreiber Max“ nach seinen Fehlschüssen schon mal aufgehängt und seine Leiche im Wasser versenkt. Später darf Agathe zu Max sagen „Es ist noch Suppe da!“ – der Textautor bleibt ungenannt. Agathe gesteht Ännchen auch, dass sie in der 10. Woche schwanger ist, küsst sie schon mal leidenschaftlich – das Motto „A bisserl „bi“ schadet nie“ grüßt, also wollen beide Mädels fliehen und Agathe wird dabei von Max erschossen – ehe dann Samiel mit hämischem Kommentar fürs Publikum in einem Nachspiel und in einem opulent-befremdlichen Glitzerkostüm den Eremiten spielt und ein hohl wirkendes Happy End inszeniert. Erkennbar wird, dass Regisseur, Bühnenbildner, Lichtregisseur – und Textautor? – Stölzl sowie Kostümbildnerin Gesine Völlm nicht an das Original-Werk glauben und es aus ihrem Horizont „modern aufmotzen“.

Von Nikola Hillebrand (Agathe), Mauro Peter (Max), Katharina Ruckgaber (Ännchen) und Christoph Fischesser (Kaspar) sowie allen Interpreten der kleineren Rollen wurde durchweg gut gesungen. Nur hat Dirigent Enrique Mazzola die Streichung von Ännchens „Kettenhund“-Arie, die inakzeptable Text-Verhackstückung von Agathes „Leise, leise“-Lyrik-Traum durch Samiel und andere Eingriffe mitgetragen. Dennoch erwuchs in den pausenlosen zwei Stunden kein dichter Albtraum-Schocker-Thriller. Leider hatte auch das sich sonst in „Weltniveau“ sonnende Bregenzer Open-Akustik-Team einen schlechten Tag: der aus dem Off hereingespielte Chor klang ortlos im Raum; bei Kaspar gab es Tonaussetzer und die Wolfsschlucht klang nur „gut“ – aber weit hinter den grandios unvergesslichen Fortissimo-Klangräuschen – wie etwa vor Jahren dem „Tosca-Te-deum“ – zurückbleibend. 

Zurecht wirkte der Schlussapplaus eher schwach und war mit ein paar Buhs durchsetzt. Doch Abhilfe ist möglich: wie bei den Bayreuther Festspielen sollte sich auch Bregenz auf seine „Werkstatt“-Möglichkeiten besinnen – und eingehend überarbeiten … etwa so in Richtung eines Werkes namens „Webers Freischütz“.

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