Ein Sängerfest ist ja nicht das erste, worauf man kommt, wenn die Namen György Ligeti (1923-2006) und Herbert Fritsch (66) fallen. Dass der Komponist mit seiner musikalischen Groteske über den Großen Makabren aus dem Jahre 1978 eine Steilvorlage für den Meister des Overacting liefert, das konnte man sich aber gut vorstellen. Und die Rechnung ist jetzt in Luzern, und bei zwei Vorstellungen in Meiningen, auch aufgegangen.
Gleichsam Arm in Arm geistern, grimassieren, albern sie da über eine Bühne, die eigentlich nur der Raum vor den Bühnenmusikern und ein paar bunten Särgen ist. Die für jede Fritsch-Inszenierung typischen, knallbunten Kostüme, die die Figuren im besten Falle zur Kenntlichkeit entstellen, hat diesmal von Bettina Helmi beigesteuert. Der Rest ist im Fritsch-Theater immer Chefsache. Wie sonst vielleicht nur noch Robert Wilson oder Achim Freyer erkennt man die Handschrift des vor zehn Jahren von der Schauspielerei (vor allem bei Frank Castorf) in Regiefach übergelaufenen Herbert Fritsch nämlich auf den ersten Blick. Erst recht, wenn seine Akteure anfangen, sich zu bewegen. Überdreht bis zur Albernheit, körperlich bis zum Akrobatischen. Im Schauspiel oder bei seinen immer auch musikalischen Kreationen eigenen Rechts, gerne im ständigen Versuch, die Schwerkraft auszutricksen. Aber auch, wenn Herbert Fritsch Musiktheater inszeniert, hat der spät berufene Regisseur ja keine Hemmungen, (selbst wenn Don Giovanni oder Freischütz oben drüber steht und aus dem Graben die passende Musik dazu aufsteigt) nach Kräften das Fritsch-Theater zu entfesseln.
Im Falle der Weltuntergangs Groteske „Le Grand Macabre“ aber wirkt das auf wundersame Weise maßgeschneidert. Fritsch macht keine Politsatire daraus – für die ja genügend untergangssüchtiges Ausgangspersonal zur Verfügung stünde. Die Frisur und die Krawatte des twitternden US-Präsidenten etwa wären im Original durchaus fritschkompatibel. Solche Rückschlüsse zu ziehen oder zu lassen überlässt er klugerweise dem Publikum. Er begnügt sich mit der Absurdität der Figuren, wie sie erdacht und komponiert sind. Und da staunte man in Meiningen nicht schlecht, wie viel vokale Wucht sie entfalten können, wenn sie so exzellent besetzt sind, wie mit den Luzerner Sängern, denen in Thüringen die heimische Hofkapelle und ihr GMD Philippe Bach, sozusagen Beine machten. Und auch die machen das grandios. Es ist eine kluge Entscheidung von Intendant Ansgar Haag seine Musiker auch mal mit ungewohntem herauszufordern.
Dazu dann der stimmgewaltige Claudio Otelli als jener Nektozar, der die Welt mittels Kometeneinschlag auslöschen will, in seinem teuflischen Rot zum Clownsgrinsen. Der Heldenbariton als Batman-Joker. Oder Diana Schnürpel als Chef der Geheimpolizei Gepopo – mit gelber Hahnenkammfrisur und glasklaren Koloraturen. Hinreißend, wie Counter Hubert Wild die Führungsschwäche vom Fürsten Go-Go ausspielt, sich seine Minister um seine Gunst balgen und dauernd zurücktreten oder Mescalina ihre umgehängten Hängebrüste als schlagende Argumente benutzt, wenn sie ihren Gatten drangsaliert. Im aufmarschierenden Figuren-Panoptikum wirken Robert Maszl als notorischer Säufer Piet vom Fass und das Liebespaar Amanda (Magdalena Rosberg) und Amando (Karin Torbjörnsdottir), die in ihren Kostümen wie die männliche und die weibliche Hälfte ein und desselben Menschen daherkommen, vergleichsweise „normal“.
Das ganze Ensemble inklusive der Chor des Luzerner Theaters sind eine Wucht!
Herbert Fritschs Erfolg beruht in der Oper vor allem darauf, dass er ästhetische Räume schafft und bei seinem Personal die pure Körperlichkeit freisetzt, die Dynamik der Bewegung in Energieschübe umsetzt und damit verblüfft oder mitreißt. Damit ist er der Musik oft ein paar Schritte voraus. Oder läuft ihr in irgendeiner Bewegungsschleife hinterher. Diesmal bleibt er auf für ihn spektakuläre Weise im Takt mit der Vorlage. Er streift sie sich über und nimmt ihr Tempo auf.
Wodurch das Tempo, das dieser Abend natürlich hat, für die Verhältnisse des Fritsch-Theaters gemäßigt wirkt. Da er keine Rückübersetzung von Ligetis Groteske in jene Wirklichkeit, der sie (Ende der 70er Jahre) entsprang oder in unsere versucht, wird daraus eine gleichsam texttreue Nummernrevue, das Panoptikum der Figuren ziemlich pur auf die Bühne stellt.
Den berühmten Hitchcock-Moment in der durchinszenierten Applausordnung, den gab es diesmal nicht. Herbert Fritsch taucht sonst nämlich bei jedem Premierenapplaus auf. Darauf mussten die Zuschauer in Meiningen verzichten, auf den großen Rest nicht!