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Benjamin Schweitzer: Südseetulpen (Uraufführung) / Oper Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski / Theater Chemnitz
Benjamin Schweitzer: Südseetulpen (Uraufführung) / Oper Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski / Theater Chemnitz
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Wenn Blütenträume welken – Oper Chemnitz bringt mit den „Südseetulpen“ von Benjamin Schweitzer eine Operette zur Uraufführung

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Die Operette ist ein Phänomen: quicklebendig und totgesagt zugleich. Mit einer Phalanx von immer wieder gespielten, vom Publikum geliebten Prachtstücken einerseits. Als Genre ohne Nachwuchs an Novitäten andererseits. Die Königsdisziplin des Musiktheaters, die Oper, kann sich immerhin zugutehalten, dass es nach wie vor Neuheiten gibt. Weniger als früher, da Oper ein fast ausschließlicher Uraufführungsbetrieb war, aber auch nach Strauss, Schostakowitsch oder Britten. Meistens als gefeierter Erfolg. In Ausnahmefällen gar als Bereicherung des Repertoires – Aribert Reimanns „Lear“ oder etliche Werke von Hans-Werner Henze belegen das.

Was umso mehr ins Gewicht fällt, als der Betrieb auch mit einstigen Hits rabiat umgeht, wenn sich der Geschmack verändert (siehe Grand Opera) oder widrige Verhältnisse der Programmfreiheit in die Quere kommen (wie die Nazis allem, was jüdische Komponisten hervorbrachten). 

Für den heutigen Spielplanbetrieb gilt die Operette jedenfalls mit dem Blick auf die Kasse als unverzichtbar. Aber als mausetot, was den Stücke-Nachschub betrifft. Vor diesem Hintergrund ist eine Operetten-Uraufführung per se eine Kunstanstrengung, die man loben muss. So gesehen gilt das auch für den Chemnitzer Auftrag an den Komponisten Benjamin Schweitzer (44) und den Librettisten Constantin von Castenstein zu den „Südseetulpen“. 

Das Haus nimmt natürlich auch die Uraufführung selbst ernst und stellt seine beträchtlichen Qualitäten zur Verfügung. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Leitung von Ekkehard Klemm hält im Graben genauso sorgfältig Kurs auf die Südsee, England, Holland und die Tour zwischen den Zeiten wie sich das Sängerensemble ins Zeug legt. Auch alle ausfallbedingten Umbesetzungen, gar Rollenteilungen werden hochprofessionell und ohne, dass es stört, bewältigt. So teilen sich Elisabeth Holmer und die grandiose Sylvia Rena Ziegler die Rolle der Südsee-Inselschönheit Pandora komplett. Im Falle der Gouverneursgattin Lady Margaret Hamilton spielt Sylvia Schramm-Heilfort nur, während Sophia Maeno den Gesangspart von der Seite übernimmt.  Auch Reto Raphael Rosin und Andreas Kindschuh verbinden in ihren Rollen als Spekulantenpaar John Blunt und George Caswall komödiantische Darstellerpräsenz bestens mit vokalem Parlandogeschick. Dass Hans Gröning u.a. als lachender Letzter Peter Stuyvesant und Thomas Mäthger u.a. als Maestro Georg Friedrich Händel zum Hingucker und -hörer werden, versteht sich durch den Prominenten-Bonus ihrer Rollen ebenso, wie bei Franziska Krötenheerdt mit ihrer Queen Anne – eine Mischung aus Lady Diana und einer Winkepuppe der amtierenden Queen. 

Das umfangreiche Personal ist von Ingeborg Bernerth mit viel Lust am Spiel mit dem Klischee operettenlike kostümiert. Alles für die eine absurde Zeitreise von zwei „Finanzgenies“ von heute in eine Melange aus zwei berühmten Spekulationskrisen der Vergangenheit. Gerade haben Blunt und Caswall (die hier eher an das Künstlerduo Gilbert und George erinnern) noch im heutigen Banker-Vokabular schwadroniert, da finden sie sich in der Zeit Händels wieder, mit dem Auftrag, der Krone Geld zu beschaffen. Beim Versuch, die Kolonien auszuquetschen, kommen sie wenigstens in den Besitz jener Tulpen, die dann ganz Holland fast um den Verstand, viele Holländer aber um ihr Vermögen bringen. Freilich gelingt es dem cleveren Peter Stuyvesant, dadurch zu einem Vermögen zu kommen, das zu mehr langt, als sich (und der an Seite wechselnden Pandora) den Duft der großen weiten Welt um die Nasen wehen zu lassen. Mit der Aussicht auf die Gründung von Neu Amsterdam also New York endet diese Geschichte. Oder beginnt sie, je nach Standpunkt.  

Dass dieser Plot als eine Art Satire auf den neoliberalen Zeitgeist, menschliche Gier, und auch die Monarchien der Briten und der Niederländer, in der die Königinnen etwas gerupft werden, für eine Operette taugt, liegt auf der Hand. 

Doch, ob wirklich eine herausgekommen ist, muss man stark anzweifeln. Dass das wortreiche Libretto sich als noch geistreicher erweisen würde, wenn man den Text mitlesen könnte (was man aus unverständlichen Gründen nicht kann), als der mit einzelnen, an den unerwarteten Stellen aufblitzenden Zitaten (Goethe, Brecht DaPonte und Gott weiß was noch alles) zu erkennen gibt, ist das eine. Und obendrein zu ändern. Dass es dazu aber keinen musikalischen Treibsatz gibt, der die Geschichte in Schwung und den selbstreferenziellen Witz zum Funkeln bringt, ist das andere.

Die Musik kommt so ambitioniert daher, wie eine neue, erkennbar um Originalität bemühte, allenfalls komische Oper. Doch bei einer Operette müsste die Post abgehen, müssten Melodie und/oder Rhythmus immer wieder das Zepter übernehmen und jeden noch so geistreichen Hintersinn zurücktreten lassen. Vor allem aber das unvermeidliche Parlando – ob nun mit oder ohne Musik – in die zweite Reihe verweisen. Von dem ganzen Herz-Schmerz-Liebe-Schmalz und der Frivolität des Genres mal ganz abgesehen. Ein stampfender Holzschuh-Tanz ersetzt eben keinen röcke- und beineschwingenden Can Can. 

Bei der „Südseetulpen“ Musik ist es umgekehrt. Da bleibt (vor allem vor der Pause im ersten Teil) in erster Linie der Eindruck eines etwas verkniffen Dauerparlandos für die Volkshochschule. Memorable Melodien (wie der angedeutet schmissige Auf-nach-London-Wunsch der Lady Margaret oder die Erkennungsnotenfolge der South Sea Company) scheinen dem Komponisten peinlich, werden jedenfalls nie zur großen Nummer oder Szene ausgebaut. Oder fallen ihm halt nicht ein. Eine Szene freilich gerät brillant. Wenn Peter Stuyvesants Gehilfe Biemoto (Andreas Beinhauer) loslegt und aus einer Vermögensaufstellung seines Chefs eine Art Registerarie Leporellos in einem Mozart-Rückwärts-Stil macht, blitzt plötzlich die Kraft und auch die Frechheit auf, die man bis dahin so schmerzlich vermisst. Doch dieses Feuerwerk bleibt Ausnahme, wo doch schon Händels Auftritt nach solchen Kunststücken verlangt hätte und die Bühnenarena von Tom Musch und die gekonnt alles aus der Vorlage herausholende Inszenierung des operettenerfahrenen Robert Lehmeier genügend Raum dafür geboten hätten.  So aber bleibt der gute Wille noch vor dem wirklich überzeugenden Resultat zu loben. Ein Trost für die Macher ist da die Fairness des Chemnitzer Premierenpublikums. 

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