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Mikael Karlssons Oper „Fanny and Alexander“ in Brüssel uraufgeführt. Foto: © Matthias Baus.

Mikael Karlssons Oper „Fanny and Alexander“ in Brüssel uraufgeführt. Foto: © Matthias Baus.

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Wenn der Hass lodert – Mikael Karlssons Oper „Fanny and Alexander“ in Brüssel uraufgeführt

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Der scheidende Intendant Peter de Caluwe hat die Brüssler La Monnaie-Oper nicht nur in stürmischer werdenden politischen Zeiten (zu denen dann auch noch Corona kam) sicher auf Erfolgskurs gehalten. Er hat vor allem mit kreativen Projekten Furore gemacht. Aus mehreren Donizetti-Opern wurde hier ein neuer Zweiteiler mit dem Titel „La Bastarda“ über Elisabeth I. Es folgte ein Verdi Pasticcio, das auch in zwei Teilen das revolutionäre Pathos früher Opern des großen Italieners mit der Gegenwart konfrontierte. Man darf davon ausgehen, dass auch die in dieser Spielzeit noch auf dem Plan stehende Neusortierung der Opern von Monteverdi sich diesem kreativen Zugriff auf Bekanntes an die Seite stellen lassen wird.

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Bei Caluwe gehören aber auch eigens in Auftrag gegebene Uraufführungen gleichsam zum guten Ton des Hauses. Es ist auch diese Pflichterfüllung dem Genre Oper gegenüber, die dem Stagione-Opernhaus der belgischen Hauptstadt seinen festen und respektierten Platz in der europäischen Opernlandschaft gesichert hat. Zum Ende dieses Jahres ist es die Uraufführung von Mikael Karlssons (*1975) „Fanny and Alexander“, die der Komponist selbst und das zurecht „A grand opera in two acts“ nennt.

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Aus erfolgreichen Filmklassikern Theaterstücke oder gleich eine Oper zu machen, das hat sich längst als Sub-Genre etabliert. Dass Lars von Triers „Dogville“-Film zum Beispiel auf der Theaterbühne funktioniert, ist seiner Machart geschuldet. Aber es überzeugt halt auch so, wie Gordon Kampe das Stück am Aalto-Theater in Essen veropert hat. Auch der Schwede Karlsson hat 2023 aus dem cineastischem Weltuntergangsepos „Melancholia“ von Lars von Trier eine abendfüllende Oper gemacht. Jetzt folgte Ingmar Bergmans (1918-2007) vierfach oscarprämierter Klassiker „Fanny und Alexander“ (1982), der in Schweden immer noch der angesagte Weihnachtsfilm ist. Für die Oper hat der Kanadier Royce Varvrek jetzt das Libretto aus dem Film destilliert hat.

Ariane Matiakh leitete das Sinfonieorchester der La Monnaie Oper mit Umsicht und Sinn für die ohne technische Hilfe nicht zu erlangende Balance zwischen flutenden Orchesterklangmassen und vokaler Selbstbehauptung der Protagonisten. Über weite Passagen erinnern diese Klangwogen an opulent aufgeschäumte minimal music. Dann wieder trägt Karlsson atmosphärisch dick mit cineastischem Pathos auf, fügt raumgreifend elektronische Klänge hinzu, schafft aber auch Raum für die Parlandopassagen, die für den Fortgang der Handlung sorgen. 

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Auf der langen, 16 Positionen umfassenden Besetzungsliste finden sich prominente Alt-Stars wie Anne Sofie von Otter und Thomas Hampson. Beide stellen ihre ganze Erfahrung und ihr darstellerisches Charisma in den Dienst der Finsternis und des Bösen. Sie als Justina und er als Bischof Edvard Vergerus. Wie im Film werden diese beiden vor allem für den Knaben Alexander zur Herausforderung beim Erwachsenwerden.

Für den sensiblen, das Theater und seinen Vater liebenden Jungen bricht die Welt seiner unbeschwerten Kindheit zusammen, als sein Vater Oscar (mit spielerischem Habitus immer zugleich Vater und spielender Künstler: Peter Tantsits) plötzlich stirbt und sich seine Mutter nach einem Jahr dazu entscheidet, sich und die Kinder in die Obhut des Bischofs Vergerus und seiner Haushälterin Justina zu begeben. Sasha Cooke überzeugt als Emilie Ekdahl mit einem emotionalen Parforceritt von der selbstbewusst liebenden Mutter zur verblendeten Witwe und wieder zurück. Es stellst sich nämlich schnell heraus, dass sie einem sadistischen Fanatiker in die Falle gegangen sind. Zu einer großen Show eskalieren die Bilder, wenn der auf Geheiß der Großmutter Helena (mit Wärme in der Rolle des faktischen Familienoberhauptes: Susan Bullock) deren Freund Isak Jacobi (Lao Falkman) die Kinder aus den Fängen des Bischofs befreit und sich bei Alexander in der Begegnung mit Ismaëls diabolische Rachephantasien im wahrsten Sinne des Wortes entzünden. So zwiespältig abgedreht sich dieser Ismaël in seiner menschlichen Gestalt auch Alexander nähert – als dessen verborgene Wut spiegelnder Racheengel ist der Counter Aryeh Nussbaum Cohen ein vokales Ereignis von Rang. Der entzündet mit seiner vokalen Vehemenz allein schon auf der Bühne und im Video ein Flammenmeer, das jeden Walküre-Wotan mit seinem Feuerzauber alt aussehen lässt. Wenn sich am Ende alle wieder um die Großmutter und ihre fröhliche Tafel versammeln, dann freilich erscheint das von Flammen umloderte Antlitz des Bischofs nur vor Alexanders Augen. Schließlich weiß man nicht genau, wie das Feuer zustande kam, in dem der Bischof verbrannte.

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Mikael Karlssons Oper „Fanny and Alexander“ in Brüssel. Foto: © Matthias Baus

Mikael Karlssons Oper „Fanny and Alexander“ in Brüssel. Foto: © Matthias Baus

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Die Bühne wechselt vom freundlich hellen und heiteren Grundton bei der Familie Ekdahl in die dunkle kerkerhafte Düsternis im Hause des Bischofs. Ivo van Hove (Regie), Jan Versweyveld (Ausstattung), An D’Huys (Kostüme) und Christopher Ash (Video) sind mit ihrer Kontrastierung deutlich. Anfangs gibt es die opulente Weihnachtsfeier bei Ekdahls nicht unterm geschmückten Weihnachtsbaum (wie im Film), sondern vor einem eindrucksvollen Nadelwald im Spiegelkabinett mit dem ausgelassenen Frohsinn einer bunten Familie, bei der gegenseitige Sympathie der Grundton ist. In der dunklen Welt des Bischofs werden die Kinder später in einem zeltartigen Haus, wie auf einem Dachboden, quasi gefangen gehalten. Die körperliche Züchtigung Alexanders durch den Bischof gehört zu den ergreifenden Szenen des Abends. Was nicht zu letzt an den beiden Mitgliedern der Kinder- und Jugendchöre des Hauses Lucie Penninck als Fanny und vor allem aber an Jay Weiner als Alexander liegt.

Die Erinnerung an die Filmvorlage hilft zwar beim Verständnis der Handlung (gesungen wird englisch, übertitelt wird in Brüssel flämisch und französisch), ist aber keine Voraussetzung, um dem Geschehen zu folgen. Die Oper bleibt immer auf Sichtweite zum Film und zu einer klar erzählten Geschichte, die jeden Zeitsprung mit einer Einblendung deutlich markiert.

Die atmosphärische Wucht der eindrucksvollen Bilder und der Musik, aber auch die darstellerische Intensität der Protagonisten sorgen dafür, dass die Spannung und das bewusst herausgeforderte Mitgefühl in den zweieinhalb Stunden Spieldauer nicht nachlässt.

Besetzung der Uraufführung

Musikalische Leitung: Ariane Matiakh, Regie: Ivo van Hove, Bühnen- und Lichtdesigner: Jan Versweyveld, Kostüme: An d’Huys, Video: Christopher Ash, Dramaturgie: Peter van Kraaij, Mit: SUSAN BULLOCK (Helena Ekdahl), PETER TANTSITS (Oscar Ekdahl), SASHA COOKE (Emilie Ekdahl), LUCIE PENNINCK (Fanny), JAY WEINER* (Alexander), THOMAS HAMPSON (Bischof Edvard Vergerus), ANNE SOFIE VON OTTER (Justina), LOA FALKMAN (Isak Jacobi), ARYEH NUSSBAUM COHEN (Ismael), ALEXANDER SPRAGUE (Aaron), JUSTIN HOPKINS (Carl Ekdahl), POLLY LEECH (Lydia), GAVAN-RING (Gustav Adolf Ekdahl), MARGAUX DE VALENSART (Alma Ekdahl), MARION BAUWENS (Paulina), BLANDINE COULON (Esmeralda)

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