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Les contes d’Hoffmann. Foto: BAUS
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Wenn die Grachten Gondeln tragen – Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ in Amsterdam

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Weil „Les contes d’Hoffmann“ die ambitionierteste Oper des Operettenkönigs Jacques Offenbach ist, liegt für jeden Regisseur die Versuchung in der Luft, daraus eine große Show zu machen. Gerade bei der Barcarole, einer ihrer populärsten Nummern. In Paris ließ Robert Carsen dazu schon mal ganze Zuschauerreihen eines Theaters auf der Bühne schunkeln. Venedig, Gondeln, ein dramatisch eskalierender Ausflug ins Verruchte der Kurtisanen-Halbwelt; und dann hat auch noch der Teufel seine Finger im Spiel! Es ist schwer, da nicht vom Wege abzukommen und in einem Canale Grande voller Klischees zu landen.

Bei Tobias Kratzer ist die Barcarole etwas besonderes. Er spielt jetzt bei seiner Interpretation in Amsterdam optisch mit einem Verweis auf die erste Verwendung dieser Musik durch den Komponisten in seinen „Rheinnixen“. Auch hier gibt es natürlich den unvermeidlichen Canale. Es ist ein unterirdischer Abwasserkanal. Musikalisch behält die Barcarole vor diesem Hintergrund nichts von einer Wunschkonzertnummer, sondern imaginiert beim Zuschauer eine eher verstörende Wirkung aus dem Kontrast zu deren eigenem Klischee…. 

Kratzer will auf ein geschlossenes Ganzes hinaus. Und etwas über den Preis der Kunst erzählen. Nicht über den für die Werke auf dem Markt, sondern den für die Künstler und ihre menschliche Substanz. Dabei weicht er natürlich auch der Nummernrevue Offenbachs mit ihren für sich genommen hinreißenden Einzelstücken nicht aus. Zum Glück, denn die Besetzung ist vorzüglich. Man merkt ihr an, dass hier ein weithin hör- und sichtbares Ausrufezeichen hinter die dreißig Jahre währende Ära von Intendant Pierre Audi gesetzt werden soll. Aber Kratzer bleibt ziemlich stringent bei seiner Sache. 

Ausstatter Rainer Sellmaier hat den riesigen Bühnenraum in voller Höhe und Breite ausgenutzt. Im Zentrum des beeindruckenden Simultanbühnenbildes: die Behausung Hoffmanns. Ein Schlaf- und Arbeitszimmer, Raum für Gelage und Atelier von heute in einem. Nicht sehr üppig, passt eher zu einem Künstler, der immer wieder einen Gelegenheitsjob annehmen muss. Vielleicht gehören dazu ja die Porträtabzüge, die da wie bei einem Fotografen auf der Leine hängen. Die realen (oder doch nur geträumten?) Räume, in denen Hoffmann dann die Begegnungen und Katastrophen erlebt, tauchen um diesen Raum herum, jeweils bei Bedarf aus dem Dunkel auf. Ob die Küchenwerkstatt und die kleine Vorführbühne im Souterrain bei Olympia daheim, ob bei Antonia der bürgerliche Salon und der Dachboden von dem die Stimme ihrer Mutter ertönt, oder schließlich das Alptraum-Venedig von hinten bzw. von unten…

Hoffmann erzählt vor diesem Hintergrund keine in Wein- oder Bierlaune zum besten gegebenen Frauengeschichten eines Aufreißers, der für eine echte Beziehung völlig ungeeignet ist. Es geht um die Untiefen, in die der Künstler abtauchen kann, aber auch welchen existenziellen Gefahren er ausgesetzt ist. Etwa der, seine Seele zu verkaufen und mit dem Teufel zu paktieren. Auf dieses dunkel poetische Bild bringt es auch die Vorlage von Jules Barbier. 

Für Hoffmann werden aus der Begegnung mit der künstlich geschaffenen Olympia (koloraturblitzend: Nina Minasyan), mit der gefährdeten Sängerin Antonia (zart leidend: Ermonela Jaho) und der mit allen Wassern (na ja, Weihwasser wird nicht dabei gewesen sein) gewaschenen Giulietta (großformatig lodernd: Christine Rice) traumatisierende Extremerfahrungen. Er müsste das eigentlich nur noch in Kunst umsetzen… Ganz gleich, ob als Dichter, Fotograf, Maler oder Musiker. 

Die ganze Zeit an seiner Seite: eine Frau. Typ: Meisterschülerin mit Lust auf mehr. Keine Muse wie sonst immer. Wobei man sich sowieso fragen könnte, ob nicht der in vielen Gestalten auftauchende Teufel in der Geschichte, die eigentliche, antreibende, provozierende, gleichsam diabolisch dialektische Muse des Künstlers ist. Der stimmgewaltige Erwin Schrott spielt sein teuflisches Charisma in allen Facetten aus. Lindorf, Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto – vom souveränen Förderer der Künstler bis zur diabolischen Unterwelt-Größe, ob elegant oder im Gangsteroutfit mit zerrissenem T-Shirt unterm Ledermantel. Schrott lieferte eine Show für sich – der Teufel mit Sexappeal.

Der fabelhafte John Osborn leidet als Hoffmann vor allem an dem Leben, dem er seine Kunst abtrotzten könnte. Ohne Rücksicht auf das Gute, das so nah liegt. Hier liegt sie einmal sogar in Hoffmanns Bett. Da hatte seine Meisterschülerin allerdings etwas missverstanden und fälschlicherweise auf sich bezogen. Der von seinem imaginären Ausflug Heimkehrende nimmt ihr erotisches „Angebot“ als solches nicht einmal wahr! Irene Roberts (deren Maske verblüffend an eine jüngere Wiedergängerin von Major Crimes Star Mary Eileen McDonnell erinnert) ist eine der darstellerischen und vokalen Überraschungen des Abends, die diese Lesart der Figur voll trägt! Die Pointe: Hoffmann und seine verkorksten Frauengeschichten werden zur Muse für die angehende junge Künstlerin. Sie drückt ihm ihre Mappe als Abschiedsgeschenk, in die Hand, provoziert wenigstens einen Kuss und geht. 

Die musikalische Opulenz der Produktion ist Carlo Rizzi am Pult des Rotterdamer Philharmonischen Orchesters und dem fabelhaften Ensemble zu danken. Die Inszenierung unterläuft zwar diverse Klischees, bietet aber – klug durchdacht und technisch praktikabel – große Bilder für eine intelligente Annäherung an den Kern dieser Künstleroper. Einhelliger Beifall für Alle!

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