Hauptbild
Bühnenbilder von schlagender Kraft: Hieronymus Bosch stand Pate. Foto: Theater Erfurt
Bühnenbilder von schlagender Kraft: Hieronymus Bosch stand Pate. Foto: Theater Erfurt
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Wenn die Jugendliebe zur Staatsdoktrin wird

Untertitel
Andrea Lorenzo Scartazzinis Oper „Wut“ in Erfurt uraufgeführt
Publikationsdatum
Body

Erfurt hat einen frisch errichteten, wunderbar stimmigen Opernbau. Licht dringt ins Foyer, das Haus steht im Offenen. Es ist ein schöner Ort für neue Konzepte. Mit der Uraufführung der Oper „Wut“ des 1971 geborenen Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini (Libretto: Christian Martin Fuchs) wagte man nun einen vom Inhaltlichen bewusst drastisch angelegten Schritt.

Liebe und Blut siedeln nahe. Operngeschichte ohne dieses Paar ist nicht denkbar. Wer hier zugreift, setzt auf eine vorab sichere Bank. Doch sich einfach darauf auszuruhen, empfiehlt sich nicht. Kann also etwas gelingen und scheitern zugleich? Die Oper „Wut“ bejahte diese Frage.

Man hatte ein wunderbar provokantes Sujet gefunden. Das Portugal des 14. Jahrhunderts ist Hintergrund, zugleich die Zeit, als das Mittelalter durch Pest, Geißler, Hungersnöte, undeutbare Himmelserscheinungen, Kinderkreuzzüge und grausame Judenverfolgungen in seinen Bastionen und Glaubenswerten zusammenstürzte.

Da ereignete sich Folgendes: Der Thronfolger Pedro ist in Inês Pires de Castro verliebt, sein Vater Alfons IV., König von Portugal, akzeptiert diese Liebe nicht. Der Sohn widersetzt sich, heiratet heimlich die Geliebte und vollzieht die Ehe. Drei Kinder werden geboren und da die Ehe heilig ist, steht der Sohn nicht mehr für politisch einträgliche Verbindungen zur Verfügung. Der Vater Alfons lässt daraufhin die Schwiegertochter durch zwei gedungene Mörder umbringen. Pedro wird wahnsinnig vor Schmerz, aber als zwei Jahre nach der Mordtat der Vater stirbt, besteigt er den Thron. Mit diplomatischem Geschick gelingt es ihm, dass ihm die geflohenen Mörder überstellt werden. Nach fürchterlichen Torturen reißt er ihnen das Herz aus dem Leib. Dann lässt er seine Geliebte Inês, die bereits fünf Jahre tot ist, ausgraben, bekleiden und schmücken. Die spanischen Granden müssen ihr huldigen, ihr den Rocksaum und die Hand küssen. Darauf inszeniert Pedro einen grandiosen Leichenzug. Mit Lichterpracht wird Inês in die Abtei Alcobaça verbracht und dort bestattet. Pedros Sarkophag wird auch schon aufgestellt und der König lässt darauf den Satz „A:E:AFIM DOMUDO“ meißeln. Er ist doppeldeutig, man kann ihn als „Das ist das Ende der Welt“ oder als „Bis ans Ende der Welt“ lesen.

Das sind Bilder von schlagender Kraft und alle kamen auf die Bühne. Ein Musiker muss nach ihnen gieren. Und Scartazzini schrieb denn auch eine Partitur, in der alle Drastik ausgereizt wird, die mit Windgeräuschen und Löwengebrüll, mit flirrenden Flageolettklängen, Falsettstimme, irrealen Fernchören oder erdigen Tieflagen eine mit erstaunlicher Phantasie erfundene, schrundige, ja irrsinnige Klanglandschaft zeichnet. Es war eine Fundgrube der Differenzierung für das motivierte philharmonische Orchester Erfurt unter Dorian Keilhack. Besonders hoch ist dem Komponisten anzurechnen, dass er dabei nichts überfrachtet, die Musik weiß um ihre Stellung im theatralen Umfeld, weiß, dass sie sich an gewissen Stellen zugunsten des Wortes oder der Szene zurückzunehmen hat. Verständlichkeit des Textes war über weite Strecken Gebot, Scartazzini ließ Markantes sprechen, exaltierte Stimmführung fand sich nur dort, wo es, etwa im Lachen, Schreien oder in hysterischen Ausfällen Text und Szene rechtfertigten (die Sänger, vor allem Richard Salter als Pedro, Michael Leibundgut als Alfons oder Denis Lakey als Geräderter, dankten es ihm). Plastik des Zusammenwirkens war der Lohn, das Musiktheater konnte mit seinen Gelenken spielen. Die Apokalypse stand hautnah und mit der Dauer von 75 Minuten knapp geschnitten vor Augen.

Dass auch Regie (Aron Stiehl) und Bühne (Hank Irwin Kittel) ins Volle greifen konnten, versteht sich von selbst. Die fantastischen Bilderwelten eines Hieronymus Bosch boten reichlich Background, das Surreale gab hier der Realität in all ihrer Verworfenheit genüsslich die Hand.

Warum also muss man auch von ei-nem Misslingen sprechen? Es lag daran, dass die erzählte Geschichte trotz ihrer blutrünstigen Dynamik im Grunde nur wenig psychologische Tiefendimension besitzt. Das Ereignis spricht in seiner fatalen Konsequenz für sich. Der Titel „Wut“, das nebenbei, greift entschieden zu kurz, denn nicht eine erbärmliche Wut treibt den wahnsinnigen Pedro, sondern der Zwang zu gnadenloser Rache. Nicht umsonst gab man seinem Namen die beiden Zusätze „der Grausame“ und „der Gerechte“. Sein fiebriges Hirn lauerte auf den Tod des Vaters, auf die furchtbare Vergeltung gegenüber den Mördern, auf die Demütigung der Granden, die posthum die Ehe anzuerkennen hatten. Das alles hat die schlagende Direktheit des Eindimensionalen. Zu deuten gibt es hier wenig. Das aber war auch den Autoren aufgefallen und so bogen sie das Geschehen um. Was geschieht mit einem Land, dessen Diktator wahnsinnig wird? So fragten sie sich mit Blick aufs Allgemeine und aufs Jetzt. Im siebenten und letzten Bild (danach folgte nur noch ein Epilog über die Rätselinschrift Pedros) machten sie einen Spreizschritt nach heute, hin zu einem imaginären Militärdiktator, der aus seiner gescheiterten Jugendliebe eine Doktrin macht. Wimpelschwingende Kinder tragen Huldigungen vor, ein gebuckeltes Volk singt die Hymnen in verordneter Dreiklangs-Faltigkeit. Scartazzini schrieb hierzu eine Musik in der plastischen Einfalt von Verehrungsges-tik, wie sie an Hitler, Stalin oder Pinochet gerichtet sein könnte. Der hohle Triumph triumphiert (das Stück wäre übrigens in seiner Funktionalität nicht schlecht, Scartazzini kann auch hier, etwa was Begleitstimmen betrifft, seine kompositorischen Fähigkeiten nicht verleugnen).

Das aber zeigte das Dilemma dieser Oper. Ohne diesen Einschub wäre sie ein nacktes Tableau, mit ihm aber verzerrte sie geradezu halsbrecherisch die Perspektiven. Sinn fürs Heutige wurde gleichsam im Stück verordnet. Aber keineswegs schlagend, sondern wie mit dem Stemmeisen. Diktaturen heute, so dumm sie auch scheinen mögen, halten sich nicht mit den (irgendwo auch gerechten, was ja der Beiname bescheinigt) Rachefeldzügen eines mittelalterlichen Königs auf. So also hatte die Oper „Wut“ ihre Rundung nicht gefunden. Man empfand die Notwendigkeit zur Auflösung des Erzählten, aber hierbei griff man allzu eilfertig in die Wundertüte des Allgemeingültigen. Ein Bärendienst für die konzise komponierte Oper, die gewiss einer Fokussierung, wohl kaum aber dieser, bedarf. Vielleicht wäre in einer neuen Fassung an eine triftigere inhaltliche Konzeption (ohne die erzwungene Öffnung zum Heute) zu denken. Die Musik jedenfalls hielte dieser Weitung der Sicht stand.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!