Fast unmerklich beginnt das Stück, mit einem leisen, tiefen Ton, dem viel Luft und ein seltsames Schnalzen beigemischt wird. Es folgt ein kurzer, hoher Pfeifton, gepaart mit einem abwärts führenden Glissando. Dann wieder ein paar Pfeiftöne über hauchiger Bassgrundierung. Aus diesem pointillistischen Beginn entwickelt die aus Taiwan stammende Komponistin Ling-Hsuan Huang ihr Stück „The way we talk“ für zwei riesige Bassblockflöten. Diese „Paetzold-Flöten“ muten wegen ihrer kastenförmigen Erscheinung wie dadaistische Klangapparaturen an.
Immer wieder lässt Huang in ihrem Klang- und Geräuschtheater neue Mitspieler auftreten: Triller, Repetitionen, Klappenklickern, Hauchen, Gewisper, Geschnatter. Schon bald durchläuft das Geschehen eine heftige Erregungskurve. Mal glaubt man, in einen Dschungel voller aufgeregter exotischer Vögel hinein zu lauschen, mal den Windgott Äolus durch eine abgenutzte Orgel sausen zu hören. Man kann aber auch in der emsigen Ton- und Geräuschproduktion Ähnlichkeiten zu einer Unterhaltung erkennen. Mal hört der eine dem anderen zu, mal fällt man sich ins Wort, mal redet man gleichzeitig, alles mit Subtexten auf der Skala zwischen aufbrausend und nachdenklich. Eine interessante Wendung nimmt das Stück ungefähr in der Mitte. Die Interpreten wechseln zu einfachen Blockflöten und spielen eine auf und ab schlingernde Figur in einem leicht windschiefen Unisono. Ist das Duo (beinah) einer Meinung?
Einig war sich jedenfalls die Jury beim Deutschen Musikwettbewerb (DMW), die Huangs Werk in der Kategorie „Komposition“ auszeichnete. Die Nähe zwischen Klang, Geräusch und menschlicher Stimme interessiere sie sehr, erzählt Huang am Rande des Preisträgerkonzerts in der nostalgischen Kleinen Beethovenhalle in Bonn. Sie habe sich intensiv mit den klanglichen Möglichkeiten der Blockflöte auseinandergesetzt und dafür auch die Interpreten befragt. Manche Klänge habe sie „durch Zufall“ gefunden, und auch in der Art der Notierung lässt die Komponistin, die derzeit bei Wolfgang Rihm studiert, der Unwiederholbarkeit einigen Raum. Die Interpreten, das sind an diesem Abend Elisabeth Wirth und Maximilian Volbers, die das Stück mit staunenswerter Nuancenvielfalt in Szene setzen. Auch das zweite prämiierte Werk heben sie aus der Taufe. „Verzweigungsmuster“ nennt der in Mailand geborene Komponist Francesco Ciurlo sein Stück, das ebenfalls mit zwei tiefen Paetzoldflöten besetzt ist und den „Sonderpreis des Deutschlandfunks“ erhielt. Ganz anders als Huangs „The way we talk“ beginnt Ciurlos Musik sehr prägnant und entschieden. Wieder klickern die Klappen, aber sehr rhythmisch, beinah groovig. Überlagert wird dieses Muster von einer immer dichter werdenden Folge sehr akzentuiert angestoßener Töne. Man kann das als raffiniert gestaltetes Kräftemessen zwischen Pulsieren und Einzelaktionen auffassen. Doch Ciurlo, der derzeit bei Marco Stroppa studiert, hat anderes im Sinn. Anregungen für das Stück erhielt er von dem Buch „The Algorithmic Beauty of Plants“. Darin werden die mathematischen Bildungsgesetze erläutert, nach denen sich Stämme verzweigen und Blütenblätter bilden. In den beiden Teilen seines Stücks, „Branches“ und „Souffle“, habe er versucht, diese Prozesse nachzubilden. „Verzweigungsmuster“ habe ihm darüber hinaus als eine Art Studie gedient, um ein größeres Werk für zwei Querflöten auszuarbeiten.
Insgesamt gingen knapp vierzig Kompositionen ein. Eine 5-köpfige Fachjury (Rebecca Saunders, Enjott Schneider, Johannes Maria Staud, Frank Kämpfer, Siegfried Mauser) schickte nach Durchsicht der Partituren fünf davon in die Finalrunde: zwei für Violine und Klavier (die zweite Kategorie in der Ausschreibung), und drei für Blockflötenduo (neben den genannten noch „looking back/forward“ von Elnaz Seyedi). In der Finalrunde erklangen die Werke erstmals vor der Gesamtjury. Die Namen der Autoren blieben allerdings bis nach der Wertung geheim. Die Werke für Violine und Klavier („Schmetterlinghaus“ von Jeanne Beers, „ohne Titel“ von Lukas Hövelmann-Köper) erfuhren durch das Duo Nils und Niklas Liepe eine exzellente Wiedergabe. „Spielbarkeit“ sei auch ein Bewertungskriterium gewesen, verriet Frank Kämpfer, Vorsitzender Gesamtjury und Redakteur für zeitgenössische Musik beim Deutschlandfunk. Schließlich sollen die prämiierten Werke nicht sogleich wieder in der Schublade verschwinden. Die Preise sind jeweils mit 2.500 Euro dotiert. Das Preisträgerkonzert wurde vom Deutschlandfunk mitgeschnitten. Sendetermin: Montag, 2. April 2018, 23.05 Uhr.