Die Flämische Oper hat jetzt in Gent mit ihrer jüngsten Inszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“, dieser Nonplusultra-Oper mit Suchtgefahr, einiges richtig gemacht. Schon sie überhaupt ins Programm zu nehmen, macht ja für ein so ambitioniertes Haus Sinn. Dabei können sich das Orchester und die Besetzung wirklich hören lassen.
Allen voran Samuel Sakker, der vor kurzem an der Seite von Dorothea Röschmann in Nancy das erste Mal als Tristan angetreten ist. In Gent hat er jetzt bei seinem zweiten Anlauf in dieser Rolle noch an Souveränität gewonnen. Vor allem der dritte, also „sein“ Aufzug mit den sehnenden Fieberphantasien gerät ihm in jeder Hinsicht mustergültig. Von der Wortverständlichkeit über die frische Mühelosigkeit seiner Ausbrüche bis hin zum angenehm kernigen Timbre. Der Australier ist eine echte Bereicherung der gar nicht so großen Riege wirklich erstklassiger Tristan-Tenöre.
Als seine Isolde hat die argentinische Sopranistin Carla Filipcic Holm keine Konditionsprobleme und krönt ihren Einsatz mit einem fabelhaften Liebestod. Auch wenn ihre Stimme vor allem in den emotionalen Ausbrüchen gelegentlich eine gewisse metallische Festigkeit hat und ihre deutsche Artikulation noch nicht ganz mit der von Sakker mithält, ist sie eine passende Isolde. Vincenzo Neri ist vokal ein jugendlich kraftvoller Kurwenal und Dshamilja Kaiser die eher helle Brangäne an der Seite Isoldes. Albert Dohmen vertritt als König Marke mit viel Erfahrung die Garde der bewährten Wagnersänger. Mark Gough als Melot, Hugo Kampschreur (als Hirte und junger Seemann) und Simon Schmidt (als Steuermann) komplettieren ein Ensemble, das sich in dieser Produktion nahezu ausschließlich über vokale Präsenz in Szene setzen kann.
Die szenische Umsetzung allerdings verschlägt einem (vor allem im Vergleich mit anderen Inszenierungen) gelinde gesagt die Sprache. Auf dem Besetzungszettel wird Philippe Grandrieux als Verantwortlicher für Regie, Beleuchtung, Video, Stenografie und Choreografie genannt. Die Schuldfrage für die Szene ist damit also geklärt. Mag sein, dass das zu konservativ ist, aber wenn man eine Inszenierung als Interaktion von handelnden, singenden Akteuren in einem realen oder imaginären, aber sichtbarem, irgendwie nachvollziehbarem Raum betrachtet, dann grenzt das, was Grandrieux bietet, an Arbeitsverweigerung. Samt filmischer Pseudobemäntelung. Bevor Alejo Pérez den Taktstock für die ersten Töne des Vorspiels hebt, taucht im Dunkel der Bühne andeutungsweise eine Person auf und verschwindet wieder. Mit dem Einsetzen der Musik aber wird dann eine filmische Studie über den weiblichen Körper und seine Obsessionen im bühnenfüllenden Großformat auf einer Gazewand entfesselt. Ambitioniert verwackelt und unscharf wird das als ein Overkill des Begehrens mit oft offensiv gespreizten Schenkeln und Blick auf das Geschlecht, der Verkrümmung des Körpers, obendrein mit einem Dauerzittern zelebriert.
So wie man manchmal den Doppeltitel Wagners auf Tristan verkürzt, macht Grandrieux daraus Isolde. Eigentlich einen Fall Isolde. Könnte gut sein, dass es aber nur ein Fall Grandrieux ist. Wenn Tristan etwa am Ende des zweiten Aufzugs seinen Weggang ankündigt, und genau da von der Scham der Frau im Video überblendet wird, dann darf man das schon als einen ästhetischen Kalauer empfinden, der einen Tiefpunkt einer obsessiven Fixierung auf die halbe Wahrheit des Stückes markiert. Der Titel lautet nicht zufällig „Tristan und Isolde“. Es ist Isolde, die Tristan ausdrücklich auf das Wörtlein „und“ aufmerksam macht, das die beiden auf ganz eigene Weise zwar voneinander fernhält, aber eben jenseitig untergründig auch miteinander verbindet. Kann ja gut sein, dass Grandrieux bei seiner Erkundung von Wagners rauschhaftem Eintauchen in die Unwägbarkeiten der Liebe bei einem „Ich Isolde“ gelandet ist. Aber muss er sein Publikum – so auf einen Punkt fixiert – damit traktieren?
Im zweiten Akt wird seine obsessive Akt-Videoinstallation am Anfang von einer solchen mit einer nächtliche Wiese abgelöst. Das ist für sich genommen recht ästhetisch. Dass Isolde und Brangäne plötzlich mit Pailettenkleidern und Boa dazwischen zu erahnen sind, mag der Traumlogik der Regie folgen. Aber dann bebt wieder der weibliche Körper vor sich hin. Sicher ist das eine enorme Leistung der Darstellerin – aber eine, die eher autonom als Videoinstallation ihre Berechtigung hat, aber kaum als Bebilderung dieser Musik.
Zur Personenregie lässt sich nichts explizit Kritisches anfügen, außer, dass es so gut wie keine gibt. Wenn man die Sänger als Menschen zu ihrer Stimme erahnt, sind sie an der Rampe postiert, mal leicht gekrümmt, mal mit ausgebreiteten, mal mit erhobenen Armen. Aber immer schön im Dunkeln, damit man ja keinen Gesichtsausdruck erkennt. Beim Schlussapplaus immerhin sah man sie dann doch alle für ein paar Momente als lebendige Menschen, von denen jeder ein Gesicht hat, das er vermutlich auch gerne in den Dienst seines Rollenporträts gestellt hätte.
Was den Besucher am Ende erstaunte, war die Geduld, mit der sich die Premieren-Besucher gefallen ließen, dass man ihnen die Übertitel verweigerte, den Sängern die Gesichter und dem Stück eine eigentliche Inszenierung. (Man kann der Versuchung einfach nicht widerstehen, sich diese Inszenierung zum Beispiel in der Deutschen Oper in Berlin vorzustellen. Die Berliner würden vermutlich ihre eigene Inszenierung hinzufügen.) All das, was dem Tristan (um den Titel mal in voller Absicht in die andere Richtung zu verkürzen) an untergründig Rätselhaftem, an innerem Drama und auch äußerer Handlung eigen ist, wurde somit auf das Orchester und seinen Dirigenten Alejo Pérez zurückverwiesen. Zum Glück nahmen die sich mit vollem Einsatz dem, was in Tristan und Isolde und zwischen den beiden vorgeht an und retteten damit einen Teil des Abends.