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Dirk Rothbrust vom Ensemble musikFabrik bei den Proben zu Georg Friedrich Haas‘ „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“. Foto: BR/Astrid Ackermann
Dirk Rothbrust vom Ensemble musikFabrik bei den Proben zu Georg Friedrich Haas‘ „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“. Foto: BR/Astrid Ackermann
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Wenn getrennte Welten aufeinandertreffen

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Zum Saisonabschluss erkundeten zwei Konzerte der Münchner Musica Viva das Unbekannte
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Zum Abschluss der diesjährigen Musica-Viva-Saison in München gab es nochmals ein kraftvolles Doppelpack von der Sorte, wie es Winrich Hopp, Leiter der Konzertreihe seit 2011, eingeführt hat: An zwei Abenden hintereinander ein Orchester- und ein Ensemblekonzert, die durch inhaltliche Bezüge miteinander verbunden sind. Das Konzept funktioniert. Das Publikum nutzt die Möglichkeit einer vertieften Auseinandersetzung mit der Thematik und geht gerne zweimal hin.

Zwar musste nun eine vorgesehene Lachenmann-Uraufführung auf 2014 verschoben werden, doch der verbindende Gedanke ließ sich trotzdem noch erkennen, am deutlichsten in den Werken von Nikolaus Brass und Wolfgang Rihm. Er findet sich in einer Programmheftnotiz von Brass: Musik als Ort, wo Immanenz und Transzendenz aufeinandertreffen – zwei getrennte Welten, die in der inneren Erfahrung auf verstörende Art eins werden können. Dementsprechend wurden die Aufführungsorte gewählt: Das Orchesterkonzert fand wie gewohnt im Herkulessaal statt, das Ensemblekonzert in der Jesuitenkirche St. Michael, einem bedeutenden Baudenkmal des Frühbarock.

Das Ensemblewerk „Ich suchte, aber ich fand ihn nicht“ von Georg Friedrich Haas, das die musikFabrik Köln unter Emilio Pomarico hier uraufführte, knüpft mit seinem Titel an eine Zeile aus dem Hohelied von Salomo an, wobei offen bleibt, ob diese Suche nun diesseitig oder jenseitig gemeint ist. In einer großräumigen Klangarchitektur entfaltet sich ein opulentes Spiel mit Klangfarben, das Phantasmagorien von Orgelklängen, menschlichen Stimmen und seraphischen Vuvuzelachören hervorruft. Die Wechsel von Licht und Schatten, die Raumwirkungen und die raffinierten mikrotonalen Intervallschwankungen, die von Pomarico mit bewundernswerter Genauigkeit herausgearbeitet wurden, bieten zweifellos großes Hörvergnügen. Doch man wird den Eindruck nicht ganz los, dass es hier mehr um die Ausformung einer prächtigen Klangplastik als um die Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem geht. Zu selbstbezogen kreist manchmal der Schönklang in sich, um die im Programmheft postulierte utopische Öffnung glaubhaft zu machen. Insgesamt mehr Selbstbehauptung als Suche, jedoch mit hohem Können ausformuliert.

Das zweite große Stück des Abends war „Vigilia“ für sechs Stimmen (das fabelhafte Exaudi Vokalensemble), Orgel und Ensemble von Wolfgang Rihm, uraufgeführt 2006 in Berlin. Mit den Responsorien aus der Karwochen-Liturgie hatte er einen Text gewählt, wie er schwieriger nicht sein könnte, zielt er doch auf den Kern des christlichen Glaubens, die Dialektik von Tod und Auferstehung. Das ist selbstredend mehr als die übliche Prise literarischen Schnupftabaks zur Erzeugung kompositorischer Erregungszustände. Eine starke innere Erschütterung durchzieht das Werk und überträgt sich auch auf den Hörer. 

Die raffinierte Harmonik, abgedunkelte Farben, eine vokal-instrumentale Polyphonie, die vom historisierenden Fugato bis zu geheimnisvoll verschlun-genen Lineaturen alle Abstufungen durchläuft: all das steht im Dienst der Textausdeutung. Rihm hat ebenso mit dem Text wie gegen ihn komponiert, kühle Distanz und intime Nähe halten sich die Waage. 

Wie hier ein schwer zu (be-)greifender Stoff in eine künstlerische Form gebracht wird, erinnert an die dramatischen Visionen der barocken Gemälde, wo transzendente Räume aufgerissen werden und diesseitige und jenseitige Welt sich durchdringen. Im abschließenden „Miserere“ wird das Diesseits noch einmal messerscharf festgehalten. Wenn vom „Brandopfer“ die Rede ist, die Musik sich expressiv verdichtet und zum Schluss die Utopie eines ewigen Jerusalem angedeutet wird, verwandelt sich dieses Miserere in ein Deutsches Miserere.

Da hatte es das Orchesterkonzert tags darauf unter der Leitung von Peter Eötvös schwer mitzuhalten. Gleichwohl wirkte die Uraufführung von Nikolaus Brass, „Der Garten“ für vier Männerstimmen und Orchester, wie eine Fortsetzung von Rihms „Vigilia“. Das trifft schon inhaltlich zu: Textbasis sind einige Zeilen aus der Luther-Bibel über Maria Magdalena, die vor dem leeren Grab den auferstandenen Christus trifft und meint, er sei der Gärtner. Die Unschärfe der Situation setzt Brass zu Beginn in ein erregtes, mehrdeutiges Klangbild um. In die aufgewühlten Orchestertutti sind die Stimmen der vier Stuttgarter Neuen Vocalsolisten quasi-instrumental eingebunden, der Klangcharakter wird durch mikrotonale Reibeflächen gezielt verunklart. Die Singstimmen, deren Melismen gelegentlich mit Geräuschlauten, Pfeifen und ekstatischen Spitzentönen angereichert sind, tasten sich suchend durch den Klangraum. Am Schluss, wenn das Orchester fast ganz verstummt ist und das Vokalquartett in den Vordergrund tritt, löst sich die Spannung, und die Musik endet mit einem Tonfall des Erstaunens.

Die Ersatzstücke für die ausgefallene Lachenmann-Premiere hinterließen gemischte Gefühle. „Ilunkor“, das Orchesterstück des in Paris lebenden Basken Ramon Lazkano, beginnt wie im Dämmerschlaf mit einem Grummeln der tiefen Bläser, und wenn nicht einige harte Streicherpizzicati dazwischenfahren würden, wäre da nichts als diffuse Düsternis. Nach einiger Zeit bricht sich die angestaute Energie Bahn in rabiaten Marschrhythmen, die aber bald wieder zerbröseln. Eine unheilschwangere Klanglandschaft, mit sicherer Hand entworfen, die neugierig macht auf andere Werke des Komponisten. 

Den letzten beißen bekanntlich die Hunde, und das passierte auch mit der „Symphonie fleuve“ für zwei Hornisten und Orchester von Jorge E. López. Seine Übertrumpfungsästhetik wirkte im Gesamtkontext der beiden Konzerte eher schal. Nicht nur wurde diesem Stück, das sich ebenfalls aus den Kellerregionen zu einem marschähnlichen Höhepunkt emporringt, durch das viel konzisere Werk von Lazkano die Show gestohlen; auch der Titel, der mit Rihms Konzept einer sich frei entwickelnden Musik kokettiert, hielt nicht, was er versprach. Carsten Duffin und François Bastian, die beiden phänomenalen Hornisten der BR-Symphoniker, agierten wie Dompteure im Raubtiergehege, assistiert von Peter Eötvös, der das tobende Orchester erfolgreich im Zaum hielt. Am Schluss versackt die Gewaltorgie in feuchten Klangverliesen. Es tat gut, danach in die warme Sommernacht hinauszutreten. Im Hofgarten vor dem Münchner Herkulessaal dufteten die Lindenbäume.

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