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Vorne: Sibel Polat. Hinten: Mitglieder des Münchener Kammerorchesters. Foto: © Cordula Treml
Vorne: Sibel Polat. Hinten: Mitglieder des Münchener Kammerorchesters. Foto: © Cordula Treml
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Wenn Mozart nicht wäre… Das Münchner Jugendtheater in der „Schauburg“ wagt eine Uraufführung mit Mozart und Zeitgenössischem

Vorspann / Teaser

Mit „Brücken bauen“ und „Heranführen“ können Schienen etikettiert werden, auf denen das städtische „Theater für junges Publikum“ grundsätzlich arbeitet. Das las sich reizvoll gesteigert, wenn das renommierte Münchner Kammerorchester mit der Schauburg zusammen ein neues Stück mit Mozarts Requiem und zeitgenössischem Sound anbietet.

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Der Titel „Die Erde über mir“ wies in eine ernste Richtung, rief die Assoziation zum seit der Antike bekannten „Möge die Erde dir leicht sein“ wach – also doch wohl zu Tod und Abschied und Trauer und Schmerz und Trost und… Thematisch passend bot die türkisch stämmige Schauspielerin Sibel Polat dann mit all ihrem Temperament und ihrer Rampenpräsenz einen Abriss vom Verlust des Mutterkontaktes beim Durchtrennen der Nabelschnur über Abschied vom Kinderwagen, vom Ausschlafen bei Schulbeginn über dies und das bis hin zur Trennung von FreundIN. Nur begann da schon eine Schwachstelle des Textes: wenn „geil“ über zwanzigmal für „dies und das“ verwendet wird, dann hätten bei der ersten Probe Dramaturgin und Theaterpädagoge, vor allem aber Regisseur Anselm Dalferth „Stop!“ sagen müssen – so banal und unterkomplex ist Jugendsprache nicht vorzuführen, so wird zu viel eingeebnet und landet bei schwachem Sinn. Ein wenig Rettung kam aus dem munteren Spiel mit „Loslassen und Fangen“, der vorgeführten Angst eines Trennungsgesprächs, nach dem aber eine Verbindung über die ganze Bühnenbreite dennoch sichtbar blieb, dem unausweichlichen Abschied von der jugendlichen Wunschliste, die utopisch vom „eigenen Brot“ über „alles“ bis zum „eigenen Buch“ reicht. Im nicht recht schlüssigen Bühnenmöbel-Arrangement von Birgit Keller und Christian Schlechter waberte ordentlich Nebel. Am Ende stieg Sibel Polat in die zentral dastehende Badewanne und ließ hübsch schillernde Seifenblasen aufsteigen – was leider zum Gesamteindruck des Stückes wurde.

Doch der mehrfache Szenen- und dann starke Schlussapplaus waren gerechtfertigt. Sie schlossen die E-Gitarren-Riffs und den verzerrten Sound von Anastasio Mitropoulos ein: Nikolas Morrish (*1989) hatte einen kleinen Kompositionsauftrag erhalten und elektronische Musik, Instrumentalmusik verzerrt und sogar „field recordings“ wie Wassergeräusche dazu gemischt – mitsamt dem rhythmischen Lichtsäulenspiel aber eher nur äußerliche Zutat. Denn schon bald im theatralischen Verlauf mischte sich ein Streichquartett aus Mitgliedern des Münchner Kammerorchesters unter die Spieler, gruppierte sich mehrfach um und ließ Andante- und Adagio-Phrasen aus Mozarts Requiem erklingen. Fast unbemerkt während des Sprechtheaters nahmen dann neun weitere Streicher und ein Kesselpauker des MKO auf einem seitlichen Bühnenpodium Platz – und spielten erst zurückhaltend als Hintergrund, dann aber auch mit vollem Konzertklang: unter Daniel Giglbergers Leitung vom ersten Pult aus beeindruckten Teile der Kammerorchester-Fassung von Peter Lichtenthal (1780-1853) auf Anhieb; gegen die Attacke des Allegro assai im „Dies irae“ bis hin zur Klage-Melodie des „Lacrimosa“ kommt halt einfach wenig aller irdischen Musik an. Und so stellte sich als gewichtigster Aspekt des Abends ein, die sonst fern auf dem Podest ragende „Klassik“ rein in die „action“ der Jugend genommen zu haben… und dann noch „fetzig“ live musiziert – der wahrscheinlich größte Zugewinn des Abends.

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