Uraufführungen sind selten, die von Opern rar. Eine Ausnahme sind die Bühnenwerke vom Komponisten Ludger Vollmer (Jahrgang 1961). Er hat eine Kompositionsweise gefunden, die ihm schnell zu arbeiten erlaubt, so dass in diesem und im nächsten Jahr je zwei seiner Werke uraufzuführen sind. Er nennt seine Vorgehensweise F.R.A.M.E., ein Kürzel für „Fast Rhythm Advanced Musik Experience“.
Wie ein ehrwürdiger Lübecker Kaufmann zum Waffenhändler wird – Uraufführung von Ludger Vollmers „Buddenbrooks“ in Kiel
Zwischen Weltall, Pubertätsproblemen und Untertagearbeit in der Wismut-Grube ist die Lübecker Kaufmannswelt der „Buddenbrooks“ leidlich überschaubar. Die Stadt bietet wie eh mit historischem Ambiente vielerlei. Dass zurzeit ausgerechnet das Buddenbrook-Haus im Angebot fehlt, ist zu bedauern. Es ist lange schon eingerüstet und das Portal, das in der Aufführung zu Anfang so realistisch gezeigt wird, nicht zu durchschreiten. Der Grund ist einfach: Lübeck wurde 1937/8 die Reichsfreiheit entzogen und ist seitdem von Kiel als Landeshauptstadt abhängig. Das verdient Beachtung, weil der Stadtpoet Thomas Mann im nächsten Jahr zweierlei Gedenktage beanspruchen darf, den zu seinem 150. Geburtstag (6. Juni) und den zu seinem 70. Sterbetag (12. August). Und es wirft die Frage auf, ob das Theater Kiel dem vorausgreift, wenn es zwei Förde-Poeten den Auftrag beschert, ein Libretto über Manns Erstlingswerk „Buddenbrooks – Verfall einer Familie“ zu verfassen. Es ist der Lübeck-Roman schlechthin, ihn zu bearbeiten eine komplexe Aufgabe. Immerhin sind Hunderte Seiten auf zweieinhalb Stunden gesungenen Textes einzudampfen. Dass sich Feridun Zaimoglu (*1964) und Günter Senkel (*1958) darüber intensiv Gedanken machten, war bei ihrem Renommee anzunehmen. Was herauskam, hörte sich von der Bühne her dennoch für die merkwürdig an, die Thomas Mann kennen. Viele Veränderungen haben einen merkwürdigen Beigeschmack. Auch die Haltung hinter den Worten ist nicht klar erkennbar.
Beigeschmäcklichkeiten
Schon das eigentliche Bühnengeschehen beginnt mit einem schräg klingenden Prolog, der „festlich und mit religiösem Ernst“ vom Chor als Maxime vorzutragen ist. „Sei mit Lust bei den Geschäften ...“, mahnt er. So gesungen kann das nicht ernst sein, allenfalls ironisch. Dann beginnt die den ersten Akt füllende Besichtigung eines Familienhausneubaus, erlaubt sind nur geladene Gäste. Es ist ein verständlicher Trick, alle auszusparen, die standesgemäß in der Mengstraße nichts zu suchen hätten. Außer dem Zentrum der Familie, neben Thomas, dem Senator (Jörg Sabrowski mit wohltönender Tiefe, dazu noch leicht lübsch timbriert), und seiner Gemahlin Gerda (großartig verkörpert von Tatia Jibladze) mit Sohn Hanno (Elmar Hauser mit schön klingenden Countertenor) blieben da nur sein Bruder Christian (Michael Müller-Kasztelan), die Schwestern Antonie, Tony genannt (grandios gesungen und gespielt von Xenia Cumento), sowie Clara (Clara Fréjacques), mit Pastor Sievert Tiberius, ihrem Ehemann (Matteo Maria Ferretti). Schon zwischen dem Familienkern gäbe es einiges, was an Konfliktstoff reichen würde, allein das aber kann nicht genügen. Ein wenig fremdes Blut muss sein, auch blaues. Nicht nur in Lübeck „putzen“ Adlige als Gäste „ganz ungemein“. So war Leutnant und vortrefflicher Pianist René Maria von Trotha (blass Gabriel Wernick) willkommen, vor allem der Hausfrau Gerda sehr, aus Sicht des Gatten zu sehr. Das hatte eine merkwürdig derbe Eifersuchtsszene zur Folge. Die geschäftliche Gegenseite, durch Moritz (Konrad Furian) und Herrmann (Stefan Sevenich) Hagenström vertreten, zeigt sich derb intrigant und bestrebt, dem ehrsamen Hause mit Lust Schaden zuzufügen.
Natürlich war auch eine der Mesalliancen Tonys nicht zu entbehren. Bendix Grünlich (Oleksandr Kharlamov) musste anreisen. Ganz und gar verfehlt wirkte am Schluss seine Wandlung zum schadenfroh Auftrumpfenden, auch wenn das zur weiteren Szenengliederung mit klassischer Einheit des Ortes führte. Denn zwei Trauerfälle gliederten den zweiten Teil. Zunächst füllte Claras recht früher Tod wieder das Haus, als dort die Familie zu einer Totenwache zusammenkam. Die grotesken Streitszenen über den Sarg hinweg machen sich theatralisch gut, führen vom Originaltext aber weg. Der noch kürzere dritte Akt bringt Gerda nach Thomas’ und Hannos Tod dazu, das Haus an die Hagenströms zu verkaufen.
Dass die Opernhandlung nun drei Väter bekam, machte die Sache kompliziert, lässt man Thomas Mann in aller Unschuld ruhen. Kürzen war mehr als nötig und neues Zusammenfügen auch, um frischen Sinn hineinzubekommen. So verschwanden zwei Generationen, die die Firma aufgebaut hatten. Sie landeten in dem „Stammbuch“ der Familie, das teichoskopisch mitspielte, etwas aus der Geschichte zu berichten oder mit einem der Porträts an den Wänden Zwiesprache zu halten. Viele Charaktere änderten sich zudem. Dass Thomas zum Waffenhändler mutiert, wirkte absolut aufgesetzt. Gerda verlor viel von ihrem Charme und ihrer künstlerischen Seite. Auch der Hanno bleibt mit seiner Theorbe Fremdkörper. Er wirkt als bloßer Stichwortgeber für seinen Pastorenonkel. Besonders exaltiert muss Tony im zweiten Akt sein, wo sie mit rasanten Koloraturen, bei Händel abgeguckt, zur Emanze wird.
Stereotype Typen
Ein grundsätzliches Libretto-Problem war, dass Manns Personen lebendig waren und vielseitig. Dass musste ihnen gründlich ausgetrieben werden. Sie mussten stereotyp werden, was einfacher war, sie zu händeln. Hanno zum Beispiel, der einzige einer zweiten Generation, war hochmusikalisch, deshalb nicht nur schwul, sondern hier zum Hermaphrodit. Klar, dass Rilke-Texte zu ihm passten, die Vollmer für zwei von Hannos drei Liedbeiträgen heranzog und die großen Raum einnahmen. Vorteile hatte das System daher ebenso für die musikalische Gestaltung. Vollmer geht, wie er bei der Premierenfeier preisgab, von Melodien aus, zitiert Barockes, auch gern Wagners „Tristan“ oder Pop und Co. Ein Gebilde wie der Choral „Lobe den Herren“ wird zur „Quasi Sarabanda“, wenn die Tanzenden schön züchtig sich verhalten oder daran denken sollen, ihren Herrn zu loben, der ihren Stand sichtbar gesegnet hat. Fein sind diese Anspielungen. Ist das Ganze doch ein ironisches Versatzspiel, das in allem Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung mischt? Man ist sich nicht sicher, weil zumindest Daniel Karaseks durchdachte Inszenierung in Verbindung mit der Noblesse, die Lars Peters’ Bühne ausstrahlt, und auch mit Claudia Spielmanns Kostümen, die einer Oberklasse würdig sind, allenfalls an gelegentlichen Komödienspuk denken lässt.
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