Beim ersten Konzert ist der Bühnenraum von der Akustik her so trocken, dass sich die Musiker gegenseitig kaum hören. Beim zweiten Konzert in einer riesigen Kirche ist der Nachhall dagegen überwältigend, so dass in der Anspielprobe noch eilig Vorhänge auf dem Boden ausgebreitet werden, um dieses Problem irgendwie in den Griff zu bekommen.
Beim dritten Konzert schließlich sind die Lichtverhältnisse auf der Bühne schwierig, außerdem muss das Programm gekürzt werden, weil man sich hier auf ein sehr unruhiges Publikum einstellt. – Nicht gerade die Art von Auftritten, die die Herzen von Profi-Musikern höher schlagen lassen. Aber in diesem Fall werden solche Unannehmlichkeiten zur Nebensache: Auf der Konzertreise des Polyphonia Ensemble Berlin nach Jerusalem und ins Westjordanland ist jedes dieser drei Konzerte für sich ein besonderes Erlebnis.
Das liegt an den Orten, an denen sie stattfinden, wie etwa der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg am Stadtrand Jerusalems, von deren Turm aus sich den Musikern kurz vor dem Konzert ein beeindruckender Blick über die Dächer der israelischen Hauptstadt bietet – mitsamt der stacheldrahtgekrönten Mauern, die die Stadt vom östlich gelegenen Westjordanland abgrenzen. Das liegt am Publikum, das sich zum Beispiel in der ganz im Norden des Autonomiegebiets gelegenen Stadt Jenin nicht davon abbringen lässt, auch an diesem Tag seine gewohnte, geschlechtergetrennte Sitzordnung einzunehmen. Und das liegt an denen, die zusammen mit den neun Berliner Musikern auf der Bühne stehen: den Kindern und Jugendlichen aus den Kammermusikworkshops, die die Mitglieder der Polyphonia zusammen mit der Barenboim-Said-Stiftung in den vergangenen Tagen in Ramallah veranstaltet haben.
Drei Tage lang studierten die Deutschen mit palästinensischen Musikschülern klassische Werke ein. Die Ergebnisse sind für die kurze Zeit beachtlich, die Jugendlichen hungrig nach allem, was ihnen die Gäste beibringen können. Es sei das erste Mal, dass sie an einem Workshop mit ausländischen Musikern teilnehmen können, erzählen sie. Diese Projektarbeit, betonen die Organisatoren auf Seiten der Barenboim-Said-Stiftung, unterscheidet sich klar von deren weitaus bekannterem Schwesternprojekt, Barenboims „West-Eastern Divan Orchestra“. Denn auch wenn diese musikalische Völkerverständigung international für viel Aufsehen sorgt, sind längst nicht alle Palästinenser von deren Konzept überzeugt. Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass man sie ignoriert, sagen einige hier. Deshalb richtet sich die Stiftung mit ihren Workshops hier gezielt an Schüler aus den palästinensischen Gebieten, nicht nur aus Ramallah und den umliegenden Orten im Westjordanland, sondern auch aus Nazareth, das im israelischen Teil des Landes liegt, aber vorwiegend von arabischen Christen bewohnt wird. Die Jugendlichen haben dort, ähnlich wie in den abgeschotteten Verhältnissen im Westjordanland, kaum Zugang zu kulturellen Bildungsangeboten, wie sie beispielsweise ihren israelischen Altersgenossen im jüdischen Teil des Staates zur Verfügung stehen.
Nicht das erste Mal unternimmt das Polyphonia Ensemble auf Einladung der Deutschen Welle und des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik eine solche Reise, um mit jungen Menschen in anderen Teilen der Welt musikalisch zu arbeiten. Seit 2008 waren die Mitglieder des Deutschen Symphonieorchesters Berlin, aus denen sich das Ensemble zusammensetzt, bereits in Mazedonien und im Kosovo, in Albanien, Marokko und Algerien. Auch wenn das Konzept mit Workshops und mehreren gemeinsamen Auftritten sich wiederholt, ist doch keine der Reisen mit den Erfahrungen der vorhergehenden vergleichbar, versichern die Musiker. Hier in Israel werden die gespannten Verhältnisse, unter denen die beiden verfeindeten Bevölkerungsgruppen nebeneinander leben, den Musikern immer wieder direkt vor Augen geführt: Während in Ramallah alle Ensembles, die sich während der Workshoparbeit gebildet haben, auftreten können, muss das Programm in Jerusalem umgestellt werden. Nur die Schüler aus Nazareth können dank ihrer israelischen Pässe hier anreisen, die Kinder aus dem autonomen Gebiet des Westjordanlandes haben keine Ausreisegenehmigung für die Fahrt in die gemeinsame Hauptstadt.
Angesichts solcher Ereignisse kommen nicht zuletzt unter den Musikern Zweifel auf, wie viel in den vier oder fünf Tagen ihrer musikalischen Stippvisiten tatsächlich erreicht werden kann – musikalisch, kulturell, persönlich. Diesmal allerdings sind die Berliner zuversichtlich, dass tatsächlich eine längerfristige Zusammenarbeit mit der Musikschule in Ramallah möglich sein könnte. Und auch, dass manche Dinge für andere sehr viel mehr wert sein können, als man selbst ihnen zugeschrieben hätte, erfahren die Musiker zum Abschluss ihrer Reise. Denn als schließlich im Kulturzentrum „Cinema Jenin“ nach dem verkürzten und eher unruhigen Konzert die letzten Töne von Mozart, Stamitz und Rheinberger verklungen sind, wird ihnen von euphorischen Zuschauern noch auf der von Schlaglöchern übersäten Hauptstraße immer wieder mitgeteilt, dass sie soeben den ersten Auftritt von ausländischen Musikern in ihrer Stadt, das erste Konzert mit klassischer Musik in Jenin überhaupt gegeben hätten.
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