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Im Hintergrund eine Gruppe von erwachsenen Menschen in hauptsächlich schwarzen und manchen weißen Klamotten. Weiter vorne, auf einer tieferen Ebende der Bühne. Steht ein Mädchen in einem weißen Kleid mit schwarzen Ärmeln.

Regissuer Anthony Almeida stellt die Perspektive eines Geschlechts ins Zentrum dieser zusammengeführten Werke: das Weibliche. Foto: Jean Louis Fernandez

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Wohin? - Die Opéra de Lorraine kombiniert „Sancta Susanna“, „Herzog Blaubarts Burg“ und „La danse des morts“

Vorspann / Teaser

Unter dem Titel „Héroïne“ und dem Schlagwort „Übergang“ (frz. transgression) verortet die Opéra National de Lorraine ihren dreiteiligen Abend mit Paul Hindemiths „Sancta Susanna“ (1922), Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ (1918) und Arthur Honeggers szenischem Oratorium „La Danse des morts“ (1940). Sora Elizabeth Lee bündelt die unterschiedlichen Werke zum flammend-sinnlichem Orchestermanifest. Mit einfachen Mitteln entwickelte Anthony Almeida eine straffe wie präzisionsscharfe Personenregie. Star des Abends ist trotz hervorragender Besetzungen mit Rosie Aldridge (Judith / Klementia), Anaïk Morel (Susanna) und Joshua Bloom (Blaubart) der in „La Danse des morts“ prachtvoll präsent Chor unter Leitung von Guillaume Fauchère. Viel Applaus für sinnlich verdichtetes und hochkonzentriertes Musiktheater. 

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Religiös verortet sind die beiden Rahmenstücke. Sora Elizabeth Lee bringt am Pult des Opernhauses an der Place Stanislas den sonst als etwas trocken verrufenen Hindemith zum Leuchten. Die Frühlingsnacht, welche hinter kalten Klostermauern die Sinne der rothaarigen Schwester Susanna explodieren lässt, klingt unter Sora Elizabeth Lee fast wie Debussy aus der Perspektive von Massenet: dicht, samtig und mit üppigem Fluidum. Das Orchester pulsiert schlichtweg magisch. Exponierte Instrumente wie Harfe und Bläser zelebrieren bis zum Schluss die von der Szene beschworenen „Übergänge“ und stellen sich so teilweise in Opposition zur Härte des Geschehens. 

Insgesamt entsteht ein Abend der drastischen Reibungen. Am Ende öffnet sich der starre schwarze Kasten Basia Bińkowska mit den metallenen Maschendrahtwänden an den Seiten zu Honeggers „Totentanz“ auch symbolisch. Das Spielgeschehen springt da von der personellen Vereinzelung ins Kollektive. Bińkowskas Kostüme, auch Franck Evins Raumnischen schaffendes Light Design ist hier einer sinnfälligen und gehaltvollen Einfachheit verpflichtet. Klare Gesten, intensives Agieren und starke Setzungen durch Ensemble wie den fulminanten Chor hat dieser Abend. Exemplarisch dafür sind schon die minimalen Zuckungen von Anaïk Morel unterm Nonnengewand und ihr mehr blühendes als oppositionelles Aufbegehren. Die erotische Klimax dieser Obsession hat nichts Hysterisches und gewinnt vor der Mauerlinie starrer Ordensschwestern logische Zwangsläufigkeit.

Feministische Klammer

Um die Stücke sinnfällig zu verklammern, lässt Almeida ein adoleszentes Mädchen beobachten, was ältere Geschlechtsgenossinnen erdulden, abschmettern und ersehnen. Fraglich ist, ob frau in Erwartung solcher Lebenskämpfe jemals erwachsen werden will. Auch die spirituelle Reise in Honeggers „Totentanz“ wird an diesem Abend von der generellen Menschen- zur Frauensache. Wie in der vormodernen Bildersprache stehen vier Generationen in Erwartung der letzten Reise zusammen – Kind, junge Frau, Matrone, Greisin. Yannis François bleibt in Honeggers wunderschönem Bariton-Solo geerdet, vermag sich nicht in die seraphische Höhe zu erheben. Starkes Bild: Honegger zitiert in seinem „Totentanz“ die Carmagnole und „Sur le pont D'Avignon“. Der Chor – wie die Nonnen und alle Einzelfiguren in Schwarz und Weiß – befeuert den Übergang ins Jenseits dazu, als ginge es ein Sportevent. Letztlich denkt Almeida also doch über das Motto „Héroïne“ hinaus.

So wird „Herzog Blaubarts Burg“ zum Höhepunkt – gänzlich ohne dekorative Illustrationen von Blaubarts sieben Seelenkammern mit den von Blut befleckten Schmuckstücken und Folterinstrumenten. „Liebe mich ohne zu fragen“ singt Blaubart und bewegt sich in einem selbstversunkenen Tanz. „Liebe mich“ fordert die lebens- und berührungshungrige Judith, die für ihre hypnotische Leidenschaft zum schizoiden Herrn der Seelenmauern alles hinter lässt. Mit hier packend gesteigerter Irritation spielt sie 'va banque' und verspielt dadurch das junge Beziehungsglück. Rosie Aldridges sinnliche Vitalität und Kraft-Vokalität prallen auf einen Blaubart von fast rührendem Sympathie-Appeal. Joshua Bloom singt gar nicht dämonisch oder charismatisch, sondern ganz schlicht. An dieser Schlichtheit prallt Judith ab – und an der kolossalen Geste, mit der Blaubart die Größe seines Seelenreichs markiert und der Person an seiner Seite allenfalls einen Randplatz zugesteht. An Blooms Blaubart zehrt Judith aus und verglüht. Hinter ihrer Suche nach Verschmelzung und Blaubarts Abwehren lauert zwischenmenschliches Vakuum, also das Nichts. „Play Strindberg!“ im Opernformat.

Intensiv gelingender Abend

Die Namensgebungen „Susanna“ durch den Librettisten August Stramm für Hindemith und „Judith“ durch Béla Belász für Bártok sind exegetische Mogelpackungen. Denn Susanna gibt sich unter Druck ihrer Obsessionen selbst frei und wird nicht Opfer einer Voyeurismus-Offensive durch geile Männer wie ihre biblische Namensgeberin. Und Bártoks Judith erlegt kein Männeropfer, sondern wird durch eigene Ängste zu Blaubarts letzter und mit einem innigen Abschied bedachter Geliebter. Mit sinnlicher Entfesselung in „Sancta Susanna“, modellhafter Archetypik wie aus dem Psychologie-Lehrbuch in „Herzog Blaubarts Burg“ und einer fast säkularen Sichtweise von „Totentanz“ geht der Abend massiv unter die Haut: Gluthitze aus konzentrierter Szene und impulsiver Musikalität.

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