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Sirius Quartet. Foto: Susanne van Loon.
Sirius Quartet. Foto: Susanne van Loon.
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Zugängliche Avantgarde – Das Progressive Chamber Music Festival in München

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Der Geiger Gregor Hübner wollte sich noch nie festnageln lassen. Weder auf Klassik oder Jazz; weder auf Tradition oder Avantgarde; weder auf Spaß oder Ernst; weder auf München, wo er eine Professur hat, noch auf New York, wo er wohnt. Also hat er einfach immer alles zu seiner Zeit und am passenden Ort gemacht. War eine solche Bandbreite zu den Jugendzeiten des heute 52-Jährigen noch rar, so liegt Crossover und die Beherrschung aller möglichen Musikstile heute bei den jungen Musikern im Trend.

Hübner hat also – mitunter selbst ausgebildete - Mitstreiter bei dem bekommen, was er so umschreibt: „Die Genre-Grenzen werden immer ungenauer und blenden sich gar selbst aus. Der stetige Austausch von Musikern und Ensembles rüttelt an den Grundpfeilern des musikalischen Establishments.“ Nirgendwo ist dieses Rütteln so heftig wie in der Weltmusikhauptstadt New York, weswegen Hübner dort schon vor fünf Jahren sein „Progressive Chamber Music Festival“ vom Stapel ließ, im für ungewöhnliche Projekte berühmten „Spectrum“-Club.

Einen vergleichbaren Club gibt es seit ein paar Jahren auch in München: die Milla, sinnigerweise mit Gerd Baumann als künstlerischem Leiter, ein Freund und Professorenkollege von Hübner an der Münchner Musikhochschule. Auch Baumann gehört seit jeher zu den Grenzüberschreitern, als Gitarrist, Komponist, Filmmusiker, Produzent und Label-Chef. Gemeinsam sind sie nun die Säulen des seit dem vergangenen Jahr in New York und München ausgerichteten Doppel-Festivals, das sich jeweils an zwei Abenden der durch die Begegnung unterschiedlichster Musiker entstehenden „Progressive Chamber Music“ verschrieben hat.

Vielleicht war es gar nicht verkehrt, dass zu den Münchner Terminen Anfang November eine kleine Grippewelle umging und die Munich Opera Horns am ersten Tag sowie The Twiolins am zweiten erwischte; jeweils vier Dreiviertelstunden-Acts wären fast zu viel des Guten gewesen. Die jeweils drei gut einstündigen Konzerte erwiesen sich als ideales Setting. Ob nun beim Pentanemos Quintett mit einer Uraufführung eines Werks aus Gregor Huebners Feder, ob beim mit Quartettliteratur aller Art experimentierenden Blechblasensemble Tetra Brass, ob beim Soundtüftler Alex Maschke oder ob bei Parade, einem neuen Trio des jungen, in München lebenden Amerikaners Sam Hylton, der bereits in einigen anderen Formationen wie Ark Noir als traditionsbewusster Experimental-Pianist und Komponist hervorgetreten ist. In den Milla Club kam Hylton mit Max.bab-Bassist Benjamin Schäfer (Dreiviertelblut),  Gerd Baumann an der Gitarre und Gesang sowie dem Sirius Quartet. Das Ergebnis: faszinierender World-Jazz. Ebenfalls überzeugen konnte das vom Berliner Schlagzeuger Beat Freisen gegründeten Spelunkenorchester, eine erstaunlich gut funktionierende Verbindung von klassischem Streichquartett und Jazz-Trio.

Ganz oben in der Liga der besonderen Streichquartette a la Kronos oder Modern String Quartet spielt freilich Gregor Hübners New Yorker Sirius Quartet mit Fung Chern Hwei an der zweiten Violine, Ron Lawrence an der Viola und Jeremy Harman am Cello. Das bewies wieder einmal die Präsentation des Albums „Para Un Mejor Mundo – For A better world“ mit der omni-stilistischen, durch das Weltmusik-Quartett Quadro Nuevo bekannt gewordenen Harfenistin Evelyn Huber. Begeisternd war die Dynamik, Tempohärte und das unglaubliche Timing der vier Streicher, aber ebenso die Kreativität Hubers, die ihr Instrument mal wundervoll lyrisch, dann hymnisch opulent oder gar rockig perkussiv klingen lassen konnte. Für ein würdiges Finale sorgte das Munich Composer Collective aus Studierenden, Lehrenden und Alumni der Münchner Musikhochschule, für das Monika Roscher, bekanntlich eine Pionierin des Neuen Deutschen Bigband-Sounds, hier die (meist auch von ihr als Sängerin begleiteten) Kompositionen geschrieben hatte.

Fast alles an diesen beiden Abenden war spannend. Und tatsächlich progressiv, also fortschrittlich, ohne in die Avantgarde-Falle zu tappen, sich also in elitäre Elfenbeintürme oder art-pour-l’art-Experimente zurückzuziehen. Das war „Kammermusik“ für alle. Man freut sich schon aufs nächste Jahr.

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