Das Jahr der Debüts: Andris Nelsons dirigiert erstmals Oper mit dem Gewandhausorchester, Jonas Kaufmann singt seinen ersten „Tannhäuser“.
Die Osterfestspiele Salzburg bleiben auch 2023 in sächsischer Hand. Nach zehn Jahren mit der Staatskapelle Dresden als festem Residenzorchester ist nun das Gewandhausorchester Leipzig angetreten, allerdings nur für den aktuellen Jahrgang. In den kommenden zwei Jahren wird das „neue Konzept“ von Intendant Nikolaus Bachler mit wechselnden Orchestern fortgesetzt, bevor dann 2026 die Berliner Philharmoniker wieder an die Salzach zurückkehren, mit denen Herbert von Karajan dieses Musikfest 1967 ins Leben rief.
Das Gewandhausorchester ist nicht nur das älteste deutsche Bürgerorchester, sondern auch einer der zahlenmäßig größten Klangköper. Nur so war es möglich, dass zeitgleich an der Oper Leipzig die Premiere von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ und zu den Osterfestspielen Salzburg Richard Wagners „Tannhäuser“ bestritten werden konnte. Das Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons ausgerechnet im Großen Festspielhaus seine erste Musiktheaterproduktion mit diesem Orchester realisiert hat, dürfte das Leipziger Publikum möglicherweise ein wenig eifersüchtig gemacht haben.
Sein Operndebüt mit diesem Orchester war nun aber nicht nur einfach so eine Premiere, sondern der erste „Tannhäuser“ zu den Osterfestspielen Salzburg überhaupt. Und das, obwohl es dort seit Gründung der Festspiele eine reiche Wagner-Tradition gegeben hat, die nicht zuletzt während der zehn Jahre währenden Residenz der Sächsischen Staatskapelle mit „Parsifal“, „Walküre“, „Meistersingern“ und „Lohengrin“ fortgeführt worden war.
Das Gewandhausorchester gastierte nach dem Tod Herbert von Karajans bereits im Jahr 1990 bei den Osterfestspielen, damals mit Beethovens „Fidelio“ unter der musikalischen Leitung von Kurt Masur. Der aktuelle Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons stemmte nun Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“, wie die 1845 in Dresden uraufgeführte Romantische Oper vollständig heißt, in der sogenannten Pariser Fassung und wurde mitsamt dem Orchester heftig gefeiert. Unter dem gestisch sehr zurückhaltenden Dirigat des Letten ist Wagners Musik geradezu aufgeblüht, er ging das Risiko ein, mit verhaltenen Tempi große Spannung zu erzeugen, die glücklicherweise in keinem Moment abriss, teilweise sogar für Gänsehaut sorgte. Einige Buhrufe bekundeten freilich auch Unbehagen an dieser Interpretation.
Herausragend: Christian Gerhaer als Wolfram
Nelsons erste Oper mit dem Gewandhausorchester war gewürzt mit einer geradezu luxuriösen Besetzung in allen Partien, zudem mit drei namhaften Rollendebüts: Emma Bell ist relativ kurzfristig für die erkrankte Elīna Garanča als Venus eingesprungen, Marlis Petersen sang erstmals die Elisabeth, ebenso wie Jonas Kaufmann den Tannhäuser.
Anfangs wirkte der Tenor in diesem Part etwas angestrengt, als wolle er sich noch schonen, konnte sich aber mehr und mehr in diese Rolle hineinsteigern und spätestens im dritten Aufzug wirklich brillieren, wiewohl seine Rom-Erzählung dann doch ein wenig statisch geriet.
Durchweg grandios waren Emma Bell und Marlis Petersen – obwohl sie zwei sehr unterschiedliche Prinzipien verkörperten, die grenzenlos sinnliche Liebe und die religiös prüde Enthaltsamkeit. Auch der gesamte Sängerwettstreit war durchweg glänzend besetzt: Sebastian Kohlhepp als strahlend heller Walther von der Vogelweide, Edwin Crossley-Mercer als tiefschwarz klingender Biterolf, Dean Power als Heinrich der Schreiber und Alexander Köpeczi als Reinmar von Zweter – allesamt ohne Fehl und Tadel. Als Landgraf Hermann aber hat Georg Zeppenfeld einmal mehr Maßstäbe gesetzt (und wurde, da in Salzburg bestens bekannt, dafür auch heftig gefeiert); vor allem jedoch gefiel Christian Gerhaher in der Rolle des Wolfram von Eschenbach. Er gestaltete seinen Part geradezu liedhaft dezent, als würde er jeden einzelnen im Publikum persönlich ansingen wollen. Sein „Lied an den Abendstern“ geriet in dieser sehr verinnerlichten Form zu einem Höhepunkt des Abends. Bestens präpariert waren auch der Tschechische Philharmonische Chor Brno sowie der Bachchor Salzburg und nicht zuletzt die glockenhelle Emily Pogorelc als Stimme des Hirtenknaben.
Assoziationsreiche Bildsprache von Regisseur Romeo Castelucci
Der Salzburger „Tannhäuser“, eine Übernahme der 2017 an der Bayerischen Staatsoper München herausgekommen Produktion des italienischen Regisseurs Romeo Castellucci, war schon damals nicht unumstritten und erntete quasi erwartungsgemäß auch vom Publikum der Osterfestspiele geteilte Reaktionen. Castellucci hat seine sehr auf augenscheinliche Ästhetik angelegte Inszenierung komplett neu einstudiert und einmal mehr für Regie, Bühne, Kostüme nebst Licht verantwortlich gezeichnet. Visuell vermochte er großen Eindruck zu erzeugen, auch wenn sich sein schier überquellender Ideenschatz nicht in jedem Detail plausibel erschlossen hat. Schon während des Vorspiels gab es ein Bacchanal barbusiger Mädchen und Knaben (Choreografie Cindy van Acker), die mit Pfeil und Bogen in ein großes, alles sehendes Auge hineingeschossen haben. Diese Tanzorgien garnierten die gesamte Aufführung sehr wirkungsvoll, sind quasi der körpervolle Venusberg gewesen, manchmal nur bloße Staffage, aber immer in eindrucksvoller Bewegtheit.
Wenn eine Oper so sehr aufs Ästhetische angelegt ist, besteht allerdings die Gefahr, das Inhaltliches zu kurz kommt. Castellucci versteckt fehlende Personenführung hinter eindrucksvollen Bildern mit kontrastreichem Schwarzweiß, auch mal mit einem Elfenreigen vor wehenden Wolken und immer wieder mit dem Assoziationen weckendem Motiv des Pfeils. Der das Vergehen der Zeit versinnbildlichen soll, aber auch die ewige Wiederkehr dieser widerstreitenden Prinzipien darstellen kann: Liebe als Sucht, als Gier auf der einen – und völliger Verzicht auf Körperliches auf der anderen Seite. Tannhäuser will beides, steht am Ende aber enttäuscht und ohne alles da. „Göttliche“ Absolution in Rom blieb ihm verwehrt, wofür er sich charaktervoll giftend empört hat. Das Schicksal der gefügig den Tod wählenden Elisabeth macht ihn betroffen, sonst nichts.
Marlis Petersen hat ihre Keuschheit, ihr Frömmeln, ihre Hingabe an eine jenseitige Welt der Lustlosigkeit sehr lebensnah und überzeugend gespielt, bei der eigentlich eher diesseitiger Lebenslust zugewandten Venus hätte man sich von Emma Bell gern noch ein wenig mehr Feuer und Glut wünschen können.
Am Ende gab es reichlich Applaus für alle Beteiligten, besonders für Christian Gerhaher und Georg Zeppenfeld. Vereinzelte Buh-Rufe für Marlis Petersen und auch für Andris Nelsons wirkten angesichts der erbrachten Leistungen verstörend.