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Eine kleine Bühne, abgesteckt mit weißen hängenden Laken, mit zwei Gruppen von Menschen mit blaugrauen Overalls. Weiter hinten ohne und weiter vorne mit Instrumenten. Links stehen drei Nähtische mit Maschine und weißen Laken.

Schatz & Schande gibt zusammen mit der Neuen Kammer Leipzig unter der Regie von Leonie Sowa dem Leid aus Hoheneck eine Bühne. Foto: Jörg Singer

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Zum Gedenken der Opfer von DDR-Frauengefängnis: Eindrucksvolle Konzert-Performance in Leipzig

Vorspann / Teaser

Das zum ersten Mal beim Leipziger Tracks-Festival für Freies Musiktheater gezeigte Konzert-Projekt „ich bin mir selber fremd geworden“ über das DDR-Frauengefängnis Hoheneck gewinnt durch das Gespräch mit Zeitzeugen eine starke Verdichtung. Auffallend ist am 15. November in der Leipziger Spielstätte ZiMMT das überwiegend junge Publikum. Hier und im Leipziger Ost-Passage Theater besteht eine große Offenheit für experimentelle Projekte und spartenübergreifende Präsentationen.

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In „ich bin mir selber fremd geworden“ setzten sich das Ensemble Neue Kammer Leipzig und das experimentelle Musiktheater-Tandem Schatz & Schande mit den Missständen und der Ungerechtigkeit im Frauengefängnis Hoheneck bei Stollberg auseinander. Zwei Vorstellungen finden im Leipziger ZiMMT (Zentrum für immersive Medienkunst, Musik und Technologie) statt, eine folgt in der Dresdner Gedenkstätte Bautzner Straße für Opfer der politischen Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR. Nach jedem Konzert sind Podiumsgespräche von ehemaligen Gefangenen in Hoheneck mit Ariane Zabel (Schriftenreihe „Erinnerungen an politische Gefangenschaf“) angesetzt (16. November: Marie-Luise Knopp – 17. November: Karin Sorger und Natalie Wöhrle-Sorger).

Die Nässe – das Abstoßende

Der größte Frauenstrafvollzug der DDR wurde am 11. Juli 2024 als Gedenkstätte wiedereröffnet. Als „Hoheneckerinnen“ bezeichnete man in der DDR Frauen, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, vor allem Antragstellerinnen für die Ausreise. Es herrschten unwürdige und unhygienische Bedingungen. Zu den Insassinnen gehörte Elke Schlegel (geb. 1958), die Zeitzeugin am ersten Abend und Autorin der Erinnerungsschrift „5 Monate und 24 Tage. Frauenzuchthaus – Eine Extremerfahrung“.  Nach mehreren Konflikten mit dem DDR-System, an dem sie den Mangel freiheitlicher Grundrechte wahrnahm und unter diesem litt und später einer abenteuerlichen und menschlich zermürbenden Ausreise mit Mann und Sohn, kam sie in den 1980er-Jahren im Westen an. Seither lebt sie in Koblenz. Diese Ereignisse haben Spuren hinterlassen und motivieren Elke Schlegel dazu, die Begebenheiten für folgende Generationen in Erinnerung zu bewahren.

Die Nässe und generell das Abstoßende habe sie vermisst, sagte Schlegel über das Konzerttheater – unter anderem das Mark und Bein durchdringende Schlüsselrasseln der Aufsichten. Diese Feststellung berührt essenzielle Haltungen zur Kunst: Könnte eine drastische, kopierende Bebilderung die Erfahrungen der Gefängnisinsassinnen besser evozieren als eine abstrahierend zeichenhafte Deutung mit Gedankenstoff für das Publikum?

Ausdrucksstarke Ausdruckslosigkeit

In den kahlen Spielraum mit dem grauen Steinboden hat Leila Brinkmann sinnfällige Gegenstände gesetzt: Zwei Etagenbetten in Schwarz und drei alte Nähmaschinenmodelle in Weiß. Die Pole des Gefängnislebens also: Arbeit und Schlaf. Die Darstellung der Monotonie des Gefangenenalltags dazwischen ist Aufgabe des Ensembles. Alle Mitwirkenden für Gesang und Spiel performen auch. Leo Sowa hat für sie eine asymmetrische Choreographie entwickelt. Vereinzelungen und Gruppierungen wechseln. Die Gesichter mit ihrer emotionalen Zielgerichtetheit oder Starre, dazu die Overalls schaffen eine neutrale, ja kafkaeske Atmosphäre. Diese mehr strukturierende als emotionale Bebilderung sagt viel über die Monotonie, die sich verlierende Perspektivlosigkeit und Resignation im Freiheitsentzug.

Wichtige künstlerische Mittel der Regisseurin Leonie Sowa und des Komponisten Philipp Rücker sind die Ruhe und Pausen. In bisherigen Projekten als Schatz & Schande übernahm das Duo mehrfach Volkslieder und trivialisiertes Musikgut. Das schrägten sie mit eigenwilliger Sparsamkeit an. Hier vertonte Rücker Texte aus in Hoheneck entstandenen Gedichten von Edeltraut Eckert, Käthe Kirchner und Traute Mühltaler. „Bettwäsche für VEB Planet I und II für Nähmaschine und Geigen“ lautet ein Titel von Rickers Musiksätzen. Kollageartig und fragmentiert blitzen Motivfetzen auf. Sie verbinden sich immer wieder mit den Geräuschen der Nähmaschinen-Spindeln und denen aus Bewegungen im Spielraum. Licht kommt von einer Stoffwand hinten und wenigen anderen Quellen (Franz Lehmann) – auch da also konzentrierende Einfachheit.

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In blaues Licht getauchte Schemen: zwei metallernen Bettgestelle mit Silhouetten sitzender Menschen. Es hängen Laken von der Decke beziehungsweise von der oberen Etage der Betten.

Trist-stimmungsvolles Zusammenspiel von Franz Lehmanns Licht und Leila Brinkmanns Bühne. Foto: Jörg Singer

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Zwischen Rückers sehnigen bis skelettierten Stücken erklingen altenglische Vokalsätze von William Byrd, Orlando Gibbons und John Wylbie. Da bricht von Neue Kammer mustergültig Gesungenes in die aussagestarke Nüchternheit, aber auch wärmende Tonströme des Streichquintetts. Diese knappe Stunde bewegt, weil sie den Kopf mit pointierter Musikverwendung und respektvoller Nüchternheit auf das Wesentliche lenkt. Diese Sparsamkeit würde in anderen Projekten das Absacken von Spannung bedeuten, trägt hier jedoch intensiv zur energetischen Dichte bei. Junge Kammer und Schatz & Schande treiben den sich an mehreren Orten abzeichnenden Trend eines freien Musiktheaters mit sozialen Themen eindrucksvoll voran.

Danach spricht Elke Schlegel von Details des Gefängnislebens, über demütigende Strafen, Aggressionen und Solidarität der Gefangenen untereinander – und die stetigen Bedrängnisse eines Unrechtssystems auch durch psychische Einschüchterungen. „Ich bin mir selber fremd geworden“ wurde ein in sich ruhender, konzentrierter Abend.

Weitere Termine:

16.11.2024 I 20 Uhr I ZiMMT, Leipzig

17.11. 17 Uhr I Gedenkstätte Bautzner Straße, Dresden

Ort