Dresden feiert verspätet, das Offenbach-Jahr ist vorbei. Semperoper und Staatsoperette bringen an einem Wochenende „Die Großherzogin von Gerolstein“ und „Die Banditen“ heraus. Diese in keinerlei Zusammenhang stehende Doppelpremiere bescherte dem Publikum leider doppelte Ratlosigkeit, befindet unser Kritiker Michael Ernst.
Darf über Kriege gelacht werden? In Zeiten, da ein osmanischer Despot allen Ernstes nach „Vergeltung“ schreit, wenn die auf sein Geheiß in fremdes Land entsandten Truppen dort nicht mit Blumen begrüßt, sondern erschossen werden? In diesen Zeiten kann nicht mal mehr über Soldaten gelacht werden, allenfalls noch über Generäle, weil die ja wirklich „zum Schießen“ sind? Oder doch eher zum Heulen?
Es ist gewiss nicht das Schlechteste, einen Theaterabend mit offenen Fragen zu verlassen. „Die Banditen“ an der Staatsoperette Dresden haben jedoch mit rauchenden Colts und jeder Menge Piff-Paff nicht nur Fragen zu diesem Werk von Jacques Offenbach geöffnet, sondern es mit der Inszenierung durch Valentin Schwarz geradezu in Frage gestellt. Und auch „Die Großherzogin von Gerolstein“, die nur einen Tag später in der Regie von Josef E. Köpplinger an der Semperoper Premiere hatte, gab kaum schlüssige Antwort.
„Wollt ihr die totale Operette?“ (Staatsoperette)
Dresden feiert das 2019 begangene Offenbach-Jahr ein wenig verspätet. Diese in keinerlei Zusammenhang stehende Doppelpremiere bescherte dem Publikum aber doppelte Ratlosigkeit. „Die Banditen“ wurden als Theater im Theater vorgeblich vom Räuberhauptmann Falsacappa selbst in Szene gesetzt, der also die Fäden für Plot und Umsetzung in der Hand halten müsste. Die wurde allen Ernstes als „Falsacappas megageile Banditenshow“ ausgerichtet, war ein bunter Mix aus Wildwest und Klamotte, wurde dank eigener Textfassung des Regisseurs mit mal nach Brecht, mal nach Bibel und Bach klingendem Zitatenschatz gewürzt – und machte die erklärte Absicht der neuen Intendantin Kathrin Kondaurow, neues Publikum zu gewinnen und das alte nicht zu verprellen, zur Quadratur des Kreises.
War dieses Theater-Theater um die Opéra-bouffe vielleicht nur ein raffiniertes Ablenkungsmanöver – und wenn ja, wovon?
Denn raffiniert ist es schon, wenn die Regie ein schier überbordendes Feuerwerk zündet und dem Publikum einen knallbunten Abend lang jede mögliche (und einige eher unmögliche) Schaukost serviert. Raffiniert auch, dass Valentin Schwarz seine Textfassung um eine ganze Menge denkbarer (und einiger eher unsäglicher) Aktualisierungen versieht bzw. mitunter auch albern verkalauert. Nach dem Dresdner Juwelenraum Ende vergangenen Jahres ist das Konstrukt „Das ist so sicher wie … (kurze Gedankenpause) das Grüne Gewölbe“ reichlich billig.
Geradezu dürftig aber sind die sexistischen Anspielungen etwa mit den phallisch vorgetragenen Gummiknüppeln der Polizisten, die in sächsischen Uniformen den Saal stürmen und die Bühne erst einmal sperren lassen. Da ist Falsacappa längst am Ende seines Lateins, zumal er ohnehin schon die Stimme verloren hat und von einem Bühnenmeister mit dem auf Vorder- und Rückseite unheimlich originell beschrifteten T-Shirt („ASSI“ / „STENT“) per Einspielung gedoubelt werden musste.
Lustig ist das Indianerleben, so etwa hätte der erste Akt überschrieben werden können. Da harrten die Banditen in ihren abenteuerlichen Kostümen (Otto Krause) in einer Art Palisaden-Camp (Bühne: Andrea Cozzi) und warten auf den großen Coup. Der soll ja dann per spanischer Gesandtschaft kommen, wie Bandennovize Fragoletto dank seiner Attacke auf einen Kabinettskurier (hier: tapsiger Polizeipräsident mit langem blondem Haar) erfahren ließ.
Doch die ganze Räuberpistole dreht sich eigentlich mehr um den wachsamen Blick Falsacappas auf seine hübsche Tochter Fiorella, die sich zwar jedem Dahergelaufenen hier und auch da gerne öffnet, aber als Jungfrau in die Ehe gehen soll. Ihr Zukünftiger ist – von Offenbach als Hosenrolle angelegt – eben der clevere Fragoletto.
Der Komponist sowie seine Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy wollten Habgier und Machtrausch anprangern, indem die Banditen vorführen sollten, wonach den Herrschenden der Sinn gestanden haben mag. Denn dass hier der Herzog von Mantua die Prinzessin von Granada heiraten will, hat ausschließlich pekuniäre Gründe. Das wiederum stachelt die Räuberbande an, die Delegation abzufangen (an der italienisch-spanischen Grenze, noch so ein frecher Hinweis auf Adelsverstand) und finanziell zu erleichtern. Doch weder beim verkommenen Blaublut noch beim Finanzminister des Herzogs ist etwas zu holen.
Hier raffiniert und da mit Raffinesse
Zu schade, dass diese Produktion nicht das eigentliche Potential dieser bissigen Operette herausgeschält, sondern es mit Peinlichkeiten zugedeckt hat. Falls das alles Prinzip ist, dann durchaus ein raffiniertes. Es ist ja ein durchaus gangbarer Weg, sich mit der Flucht ins Klischee unangreifbar zu machen, mit überbordender Ideenfülle davon abzulenken, dass für eine heutige Sicht auf das Stück kein Zugang gefunden worden ist. Dabei versteht Valentin Schwarz, der hier sein Operetten-Debüt inszeniert hat und im Sommer bei den Bayreuther Festspielen mit Wagners „Ring des Nibelungen“ einsteigen soll, durchaus sein Handwerk, was Personenführung und feuerwerkelndes Bühnengeschehen betrifft. Nur die Geschichte der „Banditen“ vermag er seinem Publikum kaum zu deuten. Vermutlich hat er den deftigen Zeit-Kritiker Offenbach irgendwie ins Heute stemmen wollen und dazu eine Ideenfülle entwickelt, die hier nicht mal ansatzweise wiederzugeben sind. Doch mit Wildwest-Romantik, rauchenden Colts und skalpierten Frauenköpfen, mit billigem Lokalkolorit und einigem Slapstick entlarvt er die Fantasie als Ablenkungsmanöver, die dem einst so pikanten Werk keinen Dienst erweist.
Raffinesse hingegen haben das Orchester der Staatsoperette und Dirigent Andreas Schüller bewiesen: Spritzig und präzise, wo es sein muss auch mal sämig, mit satter Klanggewalt, ohne aber sich zu Lasten der Bühne in den Vordergrund zu spielen, haben die agiert und einen klanggewaltigen Offenbach umgesetzt.
Auch sämtliche Sängerinnen und Sänger sowohl der großen Solistenriege als auch des Chores haben sich enorm ins Zeug gelegt, um dieser wunderbaren Musik trotz der heftige Turbulenz fordernden Geschichte gerecht zu werden.
Hervorzuheben sind der Falsacappa von Hauke Möller, ein kräftiger Tenor mit absichtlichem Stimmverlust, als dessen Tochter Fiorella Annika Gerhards mit schlankem Sopran sowie als deren Cowboygirl-Bräutigam Laila Salome Fischer mit betörend warmem Mezzo. Sie haben sich durchaus in Herzen und Ohren gesungen, auch Ingeborg Schöpf als Prinzessin und Dietrich Seydlitz als deren Page absolvierten echte Kabinettstückchen, Andreas Sauerzapf ist als Trapper mit seinem Wiener Blut durchgegangen, Tom Pauls durfte als Finanzminister Stimmkunst, Charme und Bein zeigen, Marcus Günzel als Herzog sogar noch wesentlich mehr Körperlichkeit – ein enormer Aufwand wurde da betrieben, um ganz am Ende das dramaturgische Fiasko mit biblischen Worten zu offenbaren: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Da gellte es aus dem Publikum bereits lautstark „Peinlich!“ – Sekunden später klangen „Die Banditen“ weihnachtlich aus: „Ich steh an deiner Krippen hier“. Offenbach endet bekanntlich auf Bach. Es ist vollbracht. Ein heftiges Buh-Konzert folgte.
Alles im Rahmen (Semperoper)
Als Jacques Offenbach 1867 in Paris seine Opéra-bouffe „Die Großherzogin von Gerolstein“ herausbrachte, konnte er natürlich nicht ahnen, dass es in seinem Geburtsland einmal zwei aufeinanderfolgende Ministerinnen geben wird, die für das deutsche Militär verantwortlich zeichnen. Oberbefehlshaberinnen für uniformierte Gewalt.
Ob sie damit zur Nachfolge seiner militärisch geradezu notgeilen Gerolsteinerin taugen, die noch nach jedem „feschen“ Soldatenrock giert, sei dahingestellt. Schon diese Kunstfigur scheint ein Missverständnis ihrer Schöpfer zu sein, verkörpert sie mit ihrer Sucht zu Uniformen und Rängen doch eine eher maskuline Retardierung.
Regisseur Josef E. Köpplinger, der als gebürtiger Österreicher und langjähriger Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters geradezu prädestiniert zu sein scheint für doppelbödiges Theater, ließ sich davon nicht irritieren. Er hat das Stück an Dresdens Semperoper in einen riesigen goldenen Rahmen gesetzt, der mit bunt leuchtenden Lämpchen das gesamte Bühnenportal ausgefüllt hat, hinter dem sich im Laufe des Abends dann noch und noch weitere Goldrahmen auftun. Da gab es Schlachtengemälde, eine gülden umrahmte Badewanne sogar, die Titelheldin und auch der ohrwürmelnd besungene Degen ihres Vaters – alles in goldenen Rahmen. In dieser opulenten Ausstattung von Johannes Leiacker (Bühne) und Alfred Mayerhofer (Kostüme), gab Köpplinger seinem Affen kräftig Zucker. Die mannstolle Großherzogin schien leicht in die Jahre gekommen und war von Hofschranzen umgeben, die nach oben ducken und nach unten treten. Die Soldatenschar gab sich nicht ganz so uniform, wie es auf dem ersten Blick für die gestrenge Generalität wirken sollte, da tanzte immer mal wer aus der Reihe, einer sogar slapstickhaft im weißem Tutu.
Vor allem aber stach Soldat Fritz heraus, der das Gänsemädchen Wanda heiraten will, aber in den Augen der offenbar nimmersatten Herrscherin so fesch wirkt, dass sie ihn im Minutentakt zum Leutnant, zum Hauptmann und sogar zum General ernannt hat, was den bisherigen General Bumm gründlich düpierte. Wie aber soll Fritz einen Krieg gewinnen, wenn es gar keinen Feind gibt? Zu Offenbachs Zeiten ist das eine herrliche Posse auf Standesdünkel und Kleinstaaterei gewesen, heute mögen wir uns fragen, welches Gerolstein so unbedeutend ist, dass nicht doch irgendein Narr darüber herfällt?
„Gerolstein wird fritzefrei“
In der Semperoper von heute kam da eine vorwiegend asiatische Touristenschar gerade recht, die permanent fotografierend durch die einzelnen Szenen zog (passend zum Weltgeschehen mit Mundschutz). Gerolstein erwies sich als „Touristenfalle“, die Gäste wurden überfallen und weggesperrt. Auch wenn Dresdens Wochenend-Offenbachiade noch so unterschiedlich gewesen sein mag, am Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe kamen beide Produktionen nicht vorbei. Köpplingers Textfassung beinhaltete darüber hinaus Anspielungen auf „Pegiden“ sowie – in der Badeszene – musikalisch witzige Zitate aus „Schwanensee“ und Barcarole – auch hier gab es also einen Mix aus Kalauern und Klamauk, dramaturgisch stringent, doch unterm Strich ohne heutigen Sinn.
Da Fritz seiner Geliebten treu bleiben will, die uniformversessene Zwergenstaatlerin folglich sauer auf ihn werden muss, sollte er schließlich gemeuchelt werden, textlich untermalt vom Wortspiel „Gerolstein wird fritzefrei“. Nebst originellen Luftbildern des Herzogtums und bewegten Porträts der Protagonisten hat die technisch perfekte Videokunst von Meike Ebert und Raphael Kurig dieser Szene schwarze Raben und einen Gruselhauch beigesteuert.
Musikalisch war dieser von Gastdirigent Jonathan Darlington geleitete Abend im besten Sinne gediegen und enthielt Momente klingender Sternstündchen. Aus dem sehr hochgefahrenen Orchestergraben quoll Saft und Schmelz mitunter derart präsent, dass die Solisten ihre Mühe hatten, gehört zu werden. Auch vom fein arbeitenden Opernchor war nicht jedes Wort zu verstehen, zumal sich sein Gesang nicht in jedem Takt ins Maß der Staatskapelle fügen wollte.
Überrascht hat Anne Schwanewilms in der Titelpartie als Großherzogin. Musikalisch unanfechtbar – ob macht- oder liebevoll, sie strahlte überall treffsicher mit hell vitalem Sopran –, nahm man ihr doch diese komische Rolle nicht so ganz ab. Gut möglich allerdings, dass hier mal eine etwas nachdenkliche Großherzogin gezeigt werden sollte. Schließlich agierte auch ihr Bühnenabschnittsgefährte Fritz als ein äußerst ernsthaft liebender Mann (der sich vernünftigerweise vom Soldatendasein auch wieder befreite). Kein Wunder, dass Wanda mitsamt ihren hölzernen Gänsen ihm so verfallen musste. Katerina von Bennigsen und Maximilian Mayer haben ihre Partnerschaft in wunderschönen Klangspektren ausgelebt und wohlige Wärme sowie hitzige Erregtheit ausgestrahlt.
Neben bekannten Größen wie Martin Winkler als herrlich überzeichneter General Bumm, Jürgen Müller als devoter Baron Puck und Martin-Jan Nijhof als höchst distinguierter Baron Grog waren Sigrid Hauser als angsteinflößend poltrige Erusine von Nepumukka und Daniel Prohaska als Prinz Paul mit gelungenen Semperopern-Debüts zu erleben. Nicht zu vergessen die schier mitreißende Choreografie von Adam Cooper sowie die sehr engagiert mitwirkenden Komparsen.
Trotz lautstarkem Schlussapplaus, ganz ohne Buh und Bravo, blieb aber auch die Frage nach einer heutigen Botschaft aus Offenbachs Dresdner Gerolstein offen.
Termine:
- „Die Banditen“ – 7., 8.3., 18., 19., 21.4., 26., 27.5. und 18., 19.6.2020 – www.staatsoperette.de
- „Die Großherzogin von Gerolstein“ – 3., 6., 20., 24. und 26.3. sowie 1. und 7.7.2020 – www.semperoper.de