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Salome. Foto: © OBV – Annemie Augustijns.

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Zwischen Aktionismus und Behauptung – Ersan Mondtag inszeniert in Antwerpen „Salome“ von Richard Strauss

Vorspann / Teaser

An der Zweistädteoper Antwerpen-Gent ist der deutsche Gesamtkunstwerker Ersan Mondtag kein Unbekannter. Die „Salome“, die jetzt in Antwerpen über die Bühne ging, ist schon seine dritte Operninszenierung für die Flämische Oper. Sinnigerweise war Franz Schreckers „Der Schmied von Gent“ (2020) seine erste. Ein Jahr darauf folgte Kurt Weills „Silbersee“, der inzwischen auch in Nancy zu sehen war. Jetzt also der auf Oscar Wilde basierende Richard-Strauss-Klassiker aus dem Jahre 1905! Bei dem nur seine Popularität und Dauerpräsenz im Repertoire die Schocker-Qualitäten überspielt. Mit der Schauspiel-Vorlage hatte sich Mondtag schon am Maxim-Gorki-Theater in Berlin in einer Bearbeitung von Thomaspeter Goergen beschäftigt. Und dabei alle Register eines ungebremsten Gendereifers gezogen.

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Wobei ja auch der deutsche Librettotext für den Einakte von Hedwig Lachmann eigenständige poetische Qualitäten hat, die sich in Kombination mit der genialen Musik von Strauss im Gedächtnis festsetzen. „Der Mond ist wie der Mond, sonst nichts …“ wie Herodias ihren Mann wissen lässt. Oder „Ich bin nicht hungrig Tetrarch“, wenn Salome entsprechende Offerten ihres Stiefvaters abwehrt. Man kann sich in jeder Szene in eine Wendung verlieben. Und dabei von der suggestiven Glut der Musik in den Abgrund reißen lassen. Oder besser: dabei zusehen und miterleben, wie der Strudel ihrer Begierden Salome in den Abgrund reißt. Und alle anderen mit.

Bei Ersan Mondtag überlebt sie sogar mit triumphierender Geste und Herodes selbst wird erschossen. Als Höhepunkt eines Blutbades. Denn hier knallt es ausführlich auf und hinter der Szene und die Leichen häufen sich. Es ist das märchenhafte, barbusige weibliche Garde-Quartett des Herodes, das seine Maschinenpistolen plötzlich auf den König richtet. Der hier auch als Figur berockte Page ist immer feste mit dabei. Seine Trauer um Narraboth ist schnell in aktives Mittun umgeschlagen. Was genauso fragwürdig bleibt wie das Verhalten der Juden, die entgegen ihres Gezeters überhaupt nicht begeistert davon sind, als Salome den Kopf des Jochanaan für sich fordert. Und der Prophet selbst? Hier wirklich ein optisch und vokal verführerischer Mann im offenen Mantel über den sich Salome ziemlich übergriffig hermacht. Der aber seinerseits mit sich mindestens genauso intensiv ringt wie mit Salome, um deren Reizen zu widerstehen und ihre handgreiflichen Verführungsofferten abzuwehren. Mondtag geht bewusst über das Wechselspiel des begehrenden Anschauens und fundamentalistischen Nichtansehens hinaus. Hier wird zugegriffen, auch von Jochanaan.

Dass er im Schlussbild noch einmal vollständig in einem der Fenster der Palastburg zu sehen ist, macht aus ihm und seinem Auftreten eine Projektion von Herodias und Salome.

Die Bühne, die sich Mondtag hat bauen lassen, hat mindestens genauso viel von einer dramaturgisch interpretatorischen Behauptung, als von einem Raum. Auf der Drehscheibe dominiert eine martialische Burg, deren kleinteilige Fassade (samt Zinnen und Fahnen) gleichwohl eine typische Brutalobeton-Anmutung hat. Eine weibliche Skulptur (eine idealisierte Salome?) und ein finster dreinblickendes Herrscherportät (des Herodes?) verzieren sie, als wärs ein spätstalinistisches Denkmal. Auf der Rückseite, im Palastinneren, treffen der Jugendstilschwung von Freitreppen auf einen Pfauenthron und eine Heldenskulpturtruppe darüber in der Höhe, mit der man ein Konzert der Musikgruppe Laibach ausstaffieren könnte. Es ist eine seltsame Mischung aus Fantasy, History und politischen Assoziationen. Mit Maske und Kostümierung des Herodes spielt Mondtag auf den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko an, der, wie weiland Herodes, von Rom auch von einer höheren Macht (in Moskau) abhängig ist. Auch bei der weiblichen Garde des Herodes kommt man auf eine jüngere historische Parallele – der libysche Wüsten-Sonnenkönig Muammar al-Gaddafi hatte sich mit einer weiblichen Garde umgeben. Genützt hat es ihm am Ende nichts. 

Freilich bleibt es ein streckenweise übergriffiger dramaturgischer Kraftakt, die Gier der Salome (und auch ihrer Mutter) nach Jochanaan in eine Art feministischen Befreiungsversuch von Herodes zu deuten. Das martialische Matriarchat, das hier als Ideal kurz aufscheint, ist keinen Deut besser als das betonierte Patriarchat, das einem mit dem Bühnenbildskulpturen entgegenbrüllt. Es wäre nur anders.

Was die Tafel des Herodes an dekadenter Opulenz als eingefrorenes Tableau vivant an suggestiv atmosphärischen Momenten aufscheinen lässt, zerfasert schnell wieder zwischen Aktionismus und Moderneversatzstücken wie den Waffen der Garde, die ein paar mal zu viel auch laut abgefeuert werden. Man muss kein Purist sein, um die Erkenntnis bestätigt zu finden, dass gerade bei Richard Strauss nun wirklich keine Lücke für vorlaut besserwisserischen Zusatzlärm zwischen den Noten ist. Dass Bühnenarbeiter den toten Narraboth hinein und wieder hinaustragen oder dann auch die Festtafel wegschaffen, ist auch so eine Wir-machen-hier-Theater-Behauptung für die eigentlich kein Platz im Strom der Emotionen sein sollte. Und wenn auch noch im Publikum gelacht wird, wenn Salome den abgetrennten Kopf des Jochanaan auf einem Geländer aufspießt, dann stimmt etwas mit der Dosierung des Grauens der Bühnenästhetik nicht.

Alejo Pérez gelingt es mit dem Orchester des Hauses nur teilweise, die zwischen Aktionismus und Behauptung ausgebremste Atmosphäre auf der Bühne durch die suggestive, dunkle Glut der Musik zu kompensieren. Astrid Kessler spielt zwar eindrucksvoll die hysterisch auftrumpfende Prinzessin (a la einer Dix’s Frau in Rot), ist aber den vokalen Herausforderungen dieser Partie nur partiell gewachsen. Dadurch verschiebt sich die Balance der Stimmen und der Figuren. Vor allem in Richtung der konzentriert eloquenten Angela Denoke als Herodias. Auch Thomas Blondelle lieferte (trotz Ansage) einen beeindruckenden Herodes. Wirklich grandios trumpfte Kostas Smoriginas als begehrter (und hier auch begehrender) Joachanaan mit seinem edlen Timbre und imponierender Durchschlagskraft auf. Seine erotische Anziehungskraft auf Salome (und Herodias!) wird auch darstellerisch glaubhaft. Bei den kleineren Partien überzeugt vor allem der Denzil Delaere als Narraboth.

Besetzung:

Musikalische Leitung: Alejo Pérez, Regie und Ausstattung: Ersan Mondtag, Dramaturgie: Till Briegleb, Musikdramaturgie: Piet De Volder.
Mit: Astrid Kessler (Salome), Thomas Blondelle (Herodes), Angela Denoke (Herodias), Kostas Smoriginas (Jochanaan), Denzil Delaere (Narraboth), Linsey Coppens (Page, Sklave), Reuben Mbonambi, Leander Carlier (2 Nazarener), Reuben Mbonambi (Kappadokier), Daniel Arnoldos, Hugo Kampschreur, Timothy Veryser, Hyunduk Kim, Marcel Brunner (5 Juden), Igor Bakan, Marcel Brunner (2 Soldaten).

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