Joachim Lange erklärt, wie Händel heute nach Karlsruhe kommt und zeigt sich begeistert von den musikalischen Leistungen der Teseo-Aufführung mit den Deutschen Händelsolisten und den Sängern und Sängerinnen. Regie und Bühne bleiben dagegen etwas blass.
Als Georg Friedrich Händels neunte Oper „Teseo“ in London von gut 300 Jahren das erste Mal über die Bühne ging, da wurde die Barockstadt Karlsruhe gerade gegründet. Die große feierliche Geste der Kunstanstrengung und die urbane Novität lassen sich also durchaus gemeinsam denken. Halle braucht als Geburtsstadt keine besondere Begründung für seine Händelpflege. Göttingen hat sich bei der frühen und damals, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts noch vom Pioniergeist getragenen Wiederentdeckung seiner Werke seine Lorbeeren verdient. Weil Händel aber mit Karlsruhe wirklich nichts am Hut hatte ist diese 300 Jahres-Parallele, die bei der Eröffnung der Festspielen von allen Rednern betont wurde, gar keine schlechte Idee, um die Händelfestspiele in Karlsruhe zu legitimieren.
In den 37 Jahren, die seit ihrer Gründung vergangen sind, stehen sie allerdings längst für sich selbst. (Nach Bernd Feuchtner, seit diesem Jahr mit dem künstlerischen Leiter Michael Fichtenholz, der vom Bolschoi Theater nach Baden wechselte.) Vor allem musikalisch und in der Wertschätzung für die regionale Identität und Ausstrahlung hat sich zwischen den drei deutschen Händelfestspiel-Städten längst ein produktiv inspirierendes Gleichgewicht herausgebildet. Das ist eine der nachhaltigen Renditen, die das deutsche Stadttheatersystem für die Kunst abwirft. Und das ganz unabhängig vom modischen Barockboom, mit dem sich auch große Häuser gerne schmücken.
In diesem Jahr startet Karlsruhe sein Programm mit Handels „Teseo“. Für die barocke Orchesterprofessionalität sorgen im Badischen Staatstheater die Deutschen Händelsolisten unter Michael Form. Was da aus dem Graben kommt, hat das gelegentliche Feuer und verströmt die Leidenschaft, die die schwelgerischen Arien des Meisters allemal zum puren Vergnügen machen. Bei den Protagonisten freilich hat man in Karlsruhe schon den Ehrgeiz, mit dem Feinsten vom Feinen aufzuwarten. Und dazu muss man heutzutage halt die Creme der Countertenöre verpflichten.
Bei der wiederaufgenommenen Vorjahresproduktion ist das mit Franco Fagioli als Richard Löwenherz in der „Riccardo Primo“ Produktion von Benjamin Lazar mit Paul Goodwin am Pult wahrhaft königlich gesichert. In der Neuproduktion der frühen Händeloper „Teseo“ ist es sein Kollege Valer Sabadus, der seiner wachsenden Fangemeinde mit engelsgleicher und virtuos geführter Stimm-Poesie Wonneschauer über den Rücken rieseln lässt. Man muss sich zwar eine Weile gedulden, bis der siegreiche Feldherr auftaucht, den die Zauberin Medea (Roberta Invernizzi hätte man sich durchaus mit mehr diabolischem Feuer vorstellen können) mit allen Mitteln seiner Verlobten Agilea ausspannen will. Aber bis dahin haben der junge (in Halle gut bekannte) Counter Terry Wey als Arcane, Larissa Wäspy als dessen Geliebte Clizia und der dritte Counter im Bunde, Flavio Ferri-Benedetti als König Egeo, reichlich Gelegenheit, nicht nur bei den einkomponierten zahlreichen Verzierungen mit ihrer Virtuosität zu glänzen. Yetzabel Arias Fernández hatte obendrein den schwierigen Part zu meistern, mit fein duettierendem Gleichklang mit Sabadus gemeinsam in den lyrischen Händehimmel abzuheben … Musikalisch war das Ganze – wie schon in den letzten Jahren – also wieder vom Feinsten.
Mit der Regie hält sich Daniel Pfluger bei diesem typisch barocken von Nicola Haym verfassten Libretto-Mix aus Staatsaktion und Liebesintrige, mit einer dominanten Zauberin als speziellem, alles auf den Kopf stellenden Gast, bewusst zurück. Die IKEA ähnlichen Baukasten- und Treppenelementen (Bühne: Florian Borg Madsen) bleiben ein zu beliebiger Hintergrund für rampenorientiertes Singen in schön glitzernden Kostümen (Janine Werthmann). Erst am Ende, wenn die Zauberin es richtig krachen lässt, ziehen sie optisch blank. Mit dem roten Widerschein der Hölle, einer riesigen, alles richtenden göttlichen Hand und jeder Menge goldenem Glitzerregen. Und einem plötzlichen, dafür intensiv bejubelten Happyend. Oder eben lieto fine.
Die Händelfestspiele dauern noch bis zum 6. März 2015 www.staatstheater.karlsruhe.de