Anselm Ernst: Die zukunftsfähige Musikschule. Eine Einführung in die Musikpädagogik für Musikschullehrkräfte, Musik Verlag Nepomuk, Aarau 2006, 176 S., 21,00 €, ISBN 3-907117-19-0
Der Freiburger Professor für Musikpädagogik legt hier nach seinem Klassiker „Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht“ ein neues Werk vor, das gemäß seines Titels und Untertitels gleichzeitig Grundfragen der Musikpädagogik erörtert wie auch ein Idealbild der Musikschule zeichnet und für dieses beredt plädiert. Gerade auch Studierende, die sich ihre Zukunft an einer Musikschule erhoffen, werden – wenn sie auch im Untertitel nicht genannt sind – mit grundlegenden Gedanken zum angestrebten Arbeitsfeld konfrontiert. Selbstverständlich kann bei einem solchen Anspruch nicht alles völlig neu und originell sein; Ernst vereinigt jedoch in seinem Buch Thesen und Diskussionsbeiträge zu den wichtigsten einschlägigen Fragen auf relativ knappem Raum, skizziert wissenschaftliche Hintergründe, stellt Bezüge zur Erziehungs- und Bildungstheorie her und formuliert in der Konsequenz immer wieder teilweise auch provozierende Anforderungen an die Praxis.
Den Kern des Buches bilden Ernsts Vorstellungen von der Institution Musikschule. Er versteht sie ebenso als Bildungsinstitution wie als rational organisierten „Betrieb“, der sich zu behaupten und auch Dienstleistungsfunktionen zu erfüllen habe, ohne dabei allerdings aus dem Blick zu verlieren, dass er „über eine dienstrechtlich verordnete Leistung hinaus“ einen menschlichen und pädagogischen „Mehrwert“ vertritt. Dementsprechend wichtig sind für Ernst die Atmosphäre und Kommunikationskultur, aber auch die fachliche Professionalität und die ständige Reflexions- und Innovationsbereitschaft. Vor allem aber soll die Musikschule „offen“ sein: offen für jede Art von Musik, für jede Art von Klientel – Kinder, Erwachsene, Migranten, Behinderte –, für unterschiedlichste Kooperationspartner, Aufgaben und Angebote. Hier befindet sich der Autor auf einer Linie mit dem vom Verband deutscher Musikschulen (VdM) entwickelten Leitbild der „offenen Musikschule“. Als zentral sieht Ernst das Erhalten des abendländischen Musikerbes an. Doch könnten Menschen je nach ihrer individuellen Lebenssituation auch in Musikkulturen anderer Provenienz eine Heimat finden, wenn sie sich tiefgreifend und identifizierend damit auseinandersetzten. Bildung erwachse so aus der Entscheidung des Subjekts. Davon unbeschadet weist Ernst der Musikschule gerade auch in der Vermittlung der heute viel beschworenen Schlüsselkompetenzen – genannt werden etwa Leistungsmotivation, Selbstbeherrschung, Selbstbewusstsein, Konzentration, Kooperationsfreude und Toleranz – eine entscheidende Rolle zu. Aspekte des Umgangs mit anderen und mit sich selbst sind für Ernst neben den speziellen Fachkompetenzen ebenso Bestandteil musikalischer Bildung wie Strategien des Lernens und Übens. Dankenswerterweise betont der Autor dabei, dass Persönlichkeitsbildung sich aber nicht automatisch ereigne, sondern gezielt angestrebt werden müsse.
Nach einer knappen Behandlung der Elementaren Musikpädagogik, speziell der Musikalischen Früherziehung, der Ernst die Aufgabe zuweist, die Kinder in der „musikalischen Muttersprache“ heimisch werden zu lassen, wendet er sich dem frühen Instrumentalunterricht zu, den er als Voraussetzung an ein spezifisches Analogon der „Schulreife“ bindet und in der Regel als Gruppenunterricht verwirklicht sehen möchte. Hier nun werde die „Muttersprache“ um vielfältige musikalische „Dialekte“ und „Fremdsprachen“ erweitert. Gemäß der in seinem ersten Buch entfalteten Didaktik wird dem Unterricht eine Vielzahl von Lernfeldern zugeschrieben. Wenn der Autor eine Vielzahl von Lernformen und Zugängen zu einem Musikstück vorschlägt, so mag das eine Anregung für manches eingespielte Unterrichtsverhältnis darstellen: Neben der an allen Parametern ausgerichteten Gestaltung nennt Ernst das Singen, Klatschen, Erfassen, Komponieren, Improvisieren, Imitieren, Blattspielen, Analysieren, mentale Einprägen und Beschreiben. Ebenso multidimensional wie den Unterricht versteht Ernst auch den Begabungsbegriff und die Musikalität, die er beide jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt. Gerade Ernsts Verständnis der Musik als sprachanaloges Regelsystem sowie seine Theorie eines dem Spracherwerb entsprechenden, Regeln erschließenden Musiklernens stellen originelle Elemente des Buches dar. So stehen praxisnahe Themen wie etwa Wettbewerbe und Leistungstests in der Musikschule neben theoretischen Erörterungen, etwa der Wechselwirkungen, die die Begabung ausmachen. Dabei argumentiert der Autor durchweg ebenso wohl überlegt wie auch engagiert. Ein kleines Glossar und eine umfangreiche Literaturliste beschließen den Band, der sich insgesamt durch die Breite der Themen und die Klarheit der Linie auszeichnet und sicher mit Gewinn gelesen werden wird.