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Beschränkung auf die musikalische Substanz

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Ulli Götte geht der „Weltsprache Rhythmus“ mit Einzelanalysen auf den Grund
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„Harmonielehre“, „Kontrapunkt“, „Melodik“ und „Musik formen“ sind bis heute wegweisende Referenzwerke Diether de la Mottes; hier zeigen sich die etablierten Säulen der Musiktheorie, auf denen eine ganze Fachdisziplin ruht. Die Beschäftigung mit dem zeitgestaltenden Parameter scheint hingegen weniger diesem Reservat eines sezierenden Musiktheoretikers als eher der schöngeistigen Philosophie und Ästhetik vorbehalten. Als Gegenstand der Musiktheorie bleibt die musikalische Zeit, zentrales Medium der Musik (S. 9), weitgehend außerhalb einer systematischen Betrachtung.

„Weltsprache Rhythmus“ von Ulli Götte versucht, sich diesem Desiderat anzunehmen. Ein aussichtslos anmutendes Unterfangen, betrachtet man die Vielfalt der Phänomene, die sich im Laufe der Historie und in unterschiedlichsten kulturellen Kontexten unter dem schillernden Mantel dieser Weltsprache angesammelt haben. Handelt es sich hier überhaupt um eine universelle Sprache, die von jedermann gleichsam verstanden wird? Ist Rhythmus – wie Johann Forkel (S. 165) behauptet – „das Einzige, was musikalisch nicht gebildete Ohren fühlen und begreifen können“? Bietet die traditionelle Musiktheorie überhaupt das geeignete Instrumentarium, um sich den unterschiedlichsten Traditionen in gleicher Weise anzunähern? In dieser Publikation wird die Fülle an möglichen Aspekten durch eine rigorose Beschränkung auf die innermusikalische Substanz der behandelten Werke beherrscht. Weitreichende Auslassungen über einen zu vermutenden musikalischen Gehalt sucht man hier daher vergebens.

Während beim Begriff „Weltsprache“ leicht ein imperialer Hintergrund mitschwingen könnte, der die übrigen musikalischen Parameter als repressiv empfinden lässt, handelt es sich hier um eine umfassende, gemeinsame und verbindende Sprache, die unterschwellig wirkt und als solche erst hervorgeholt und etabliert werden möchte: „Rhythmik wird aber oft gerade da interessant, wo sie auf subtile Weise mit anderen Parametern zusammen wirkt oder als System wirksam ist, ohne an die Oberfläche rezipierender Wahrnehmung zu drängen“ (S. 7). Ulli Götte legt hier nun eine entsprechende Sammlung von Einzelanalysen vor, die zwar allesamt von der rhythmischen Gestalt ausgehen, dabei jedoch musikalische Phänomene immer in ihrer Gesamtheit betrachten und nicht in der angedeuteten imperialistischen Manier Musik auf ihre Zeitlichkeit reduzieren. 

Die Schrift gehorcht einer naheliegenden Systematik, die es auch einem stöbernden Leser gestattet, sich vom eigenen Interesse durch einzelne Kapitel leiten zu lassen: Ein historischer Gang durch die abendländische Musikgeschichte wird gefolgt von einer Darstellung außereuropäischer Kulturen, fokussiert auf die Musik Afrikas, Indiens und indonesische Gamelan-­Musik. Dringlich erscheint auch die Auseinandersetzung mit populären Musikkulturen: die analytischen Zugänge zu Phänomenen des Jazz, der Rock- und Popmusik, lateinamerikanischer Rhythmen, die hier ihren Eingang finden und der (folkloristischen) europäischen Tanzmusik. Verbunden werden die einzelnen Stationen durch eine ausführliche Einleitung mit Hinwendung zu lebensweltlichen Alltagsphänomenen, der menschlichen Existenz als rhythmische Tätigkeit. Hier artikuliert sich jener faustische Geist, der die dargestellte Welt im Inneren zusammenhält.

Gerade für eine derart enzyklopädisch anmutende Publikation, die sich als musiktheoretisches „Kompendium zur Rhythmik“ (Klappentext), gleichsam aber auch als Rat- und Ideengeber für Musikpädagogen versteht, wäre bei der großen Fülle an Beispielen ein gesondertes Verzeichnis der oft schwer zugänglichen Notenbeispiele mit Hinweisen zu entsprechenden Hörbeispielen hilfreich und wünschenswert gewesen. Eine derartige Aufstellung würde dieser verdienstvollen Auseinandersetzung mit der „Weltsprache Rhythmus“ den Weg in die pädagogische Praxis erheblich erleichtern.

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