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Carola Stern: Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary; Rowohlt, Berlin 1998, 378 Seiten, 39,80 Mark.
„Halb Fürstin, halb Zirkusaktrice“, so charakterisierte sie die Sängerin Lotte Lehmann, und der Kritiker Felix Salten schrieb der „Eidechsenschönheit ihrer Gebärden“ zugleich die „gewagtesten und die harmlosesten Deutungen“ zu. Operettenluft verspürte Thomas Mann ob ihrer Gegenwart noch in Beverly Hills, und Ludwig Marcuse, ihr treuer platonischer Verehrer, bezeichnete „am Himmel der wilhelminischen Halbwelt“ just sie als den faszinierendsten Stern. Sie – „die Preußin, die aus Österreich stammte“, stets „vielseitig und zugleich unverwechselbar“.
Man bemerke die Gesten des Teilens, die schnellen drastischen Wechsel und die Ausschließlichkeit in manch verbalem Gegensatzpaar! Friederike Massarik, geboren 1882 in Wien, besser bekannt als Fritzi Massary, weckte und verkörperte als Sängerdarstellerin Reize des Widersinns und forderte ihre Kritiker und Bewunderer nachlesbar zu scharfer und antithetischer Wahrnehmung heraus. Für die Männerfantasien im Berlin der 20er Jahre war sie zugleich ein ideales Objekt. In Sachen Mode und Stil gingen von ihr enorme Marktwirkung aus. Unbewußt – mittels Stimme und Geste – traf sie andererseits genau die erotisch-ästhetische Ambivalenz, die der Gattung Operette oblag, welche sie in Werken von Leo Fall und Oscar Strauss konkurrenzlos repräsentierte.
Der Bildentwurf der „Dame“, auf den Autorin Carola Stern ihre Hauptfigur konzentriert, ist soziologisch hingegen unscharf und stimmt nur bedingt. So wird eine Selbstinszenierung sanktioniert, die bis ins höhere Alter öffentlich gut funktioniert. Unabhängig und selbstbestimmt aber war die vergötterte Massary nicht; der Erfolg der Theater-Ehe mit Max Pallenberg setzte die Selbst-Aufspaltung in Star und treusorgende Gattin voraus. Auch die Autorin, bemüht um Komplettierung, halbiert. Parallel zur Massary bietet ihr Buch die Story Pallenbergs, der gleichfalls ein Autodidakt, ein Wiener und Kind jüdischer Vorfahren war. Gelungen ist beider Charakterisierung als Gegensatzpaar. Stern zeigt den Komödianten als vitalen innovativen Improvisator, die Diva als disziplinierte Arbeiterin, die jede Regelverletzung scheut. Auch „die Sache, die man Liebe nennt“, leben beide sehr kontrovers. Ein entsprechendes Kapitel erzählt dies sehr unreflektiert, im Suggestivstil des gehobenen Boulevards. Kritisch anzumerken ist der Autorin weniger, daß sie Massarys Projektion auf den Partner und die psychischen Krisen nach Pallenbergs Fehltritt und Tod gehörig sentimentalisiert, sondern vielmehr, daß sie sich selbst als alles wissende Instanz inszeniert. Geschickt nämlich nutzt Stern die nur wenigen wirklich greifbaren Fakten, umkleidet sie mit Anekdote, Allgemeinplatz und Tratsch, und sie suggeriert ihren Lesern – gemäß dem Untertitel der Schrift – Zeugen des versammelten Lebens eines Menschens zu sein.