„Wichtig für die Auseinandersetzung mit Zimmermanns Schaffen ist das Bewusstsein für die im Felde der neueren Musik so markante Pluralität der Ansätze.“ Was Jörn Peter Hiekel im Vorwort formuliert, markiert gleichzeitig den Anspruch, an dem sich seine Monographie zum Schaffen Bernd Alois Zimmermanns zu messen hat. Dass Hiekel diesen einzulösen versteht, liegt nicht allein daran, dass er einer der profundesten Kenner von dessen Œuvre ist. Vielmehr gelingt es ihm, auf der Basis dieser Kenntnis ein weites Netz an Verbindungen zwischen den Werken zu schaffen und auch die für Zimmermann so charakteristischen Querbezüge zu Bildender Kunst, Literatur, Philosophie, Film und Medien zu veranschaulichen.
Der äußere Aufbau des Buches folgt der seit Jahrzehnten bekannten Struktur der Komponisten-Reihe „… und seine Zeit“ im Laaber-Verlag, wobei die vorangestellte Chronik in diesem Fall besonders sprechend ist und der Anhang nun endlich auch ein Werkregister enthält.
Den traditionell mit „Aspekte“ überschriebenen Hauptteil des Buches gliedert Hiekel nach grundsätzlichen Überlegungen zu „Zimmermann im Kontext der Moderne“ in vier Hauptabschnitte. Der erste („Orientierungen“) profitiert davon, dass Hiekel viele frühe Textzeugnisse, etwa das von 1945 bis 1947 geführte Tagebuch, heranzieht und so die Entwicklung von Zimmermanns Selbstverständnis als Künstler in der Auseinandersetzung mit zentralen Bezugsfiguren (Beethoven, Strawinsky, Schönberg, Debussy) herausarbeiten kann.
Die frühen Arbeiten für Hörspiel, Theater und Ballett werden in ihrer Bedeutung für Zimmermanns Werdegang differenziert diskutiert, erste genauere Werkbetrachtungen widmen sich unter anderem dem Umgang mit Jazz im Trompetenkonzert „Nobody knows…“ und der Kantate „Omnia tempus habent“.
Harry Lehmanns Begriff der „relationalen Musik“ aufgreifend, widmet sich Hiekel anschließend den „Begegnungen und Verknüpfungen mit anderen Kunstformen“. Eine zentrale Rolle spielen hier unter anderem Aspekte des „Imaginären“, was Hiekel an zahlreichen Werken exemplifiziert. Ein zentrales, 50-seitiges Kapitel ist der Oper „Die Soldaten“ gewidmet. Hier kann Hiekel sich nun auf die all die Facetten von Zimmermanns ästhetischer und kompositionstechnischer Bandbreite berufen, die er zuvor aufgezeigt hat. Überzeugend stellt er die Strategien heraus, mit denen Zimmermann an traditionellen Elementen der Gattung festhält, um sie im nächsten Moment radikal in Frage zu stellen und systematisch zu zersetzen.
Abschließend stellt Hiekel anhand der letzten Werke, darunter vor allem das „Requiem für einen jungen Dichter“ und „Ich wandte mich und sah…“, die Frage nach einem „emphatischen Spätstil“ und kommt auch hier zu einer gelungenen Balance von Detailbetrachtung und Zusammenschau. Eine Aufmerksamkeit fordernde, Erkenntnis fördernde Lektüre.
- Jörn Peter Hiekel: Bernd Alois Zimmermann und seine Zeit (Große Komponisten und ihre Zeit, Bd. 37), Laaber-Verlag, Lilienthal 2019, 420 S., Abb., Notenbsp., € 39,80, ISBN 978-3-89007-808-3