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„Multimedia“ ist nicht nur ein alter Hut, sondern mittlerweile auch Floskel und Worthülse. Sich wie von Geisterhand bewegende Bilder und in miserabler Qualität abspielbare Tondokumente machen eine Software noch lange nicht multimedial. Doch die Entwicklung eilt voran und mittlerweile macht sie nicht einmal mehr Halt vor dem sonst so computerfeindlichen Bereich der Musikpädagogik.
Wenn man die Homepage von Schott Musik International imInternet besucht, würde man nie auf die Idee kommen, daß in letzter Zeit einige multimediale Neuerungen aus diesem Hause veröffentlicht wurden, die zum Besten zählen, was der spezielle Markt so hergibt.
Allen voran die CD-Rom „Paul Hindemith – Leben und Werk“, die auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Deutschen Bildungssoftware-Preis digita ’98 in der Kategorie „Sprache, Musik“ ausgezeichnet wurde. Die bei der vorliegenden CD gelungene Symbiose aus stichhaltiger Information bei gleichzeitig ansprechender Präsentation ist neu im musikpädagogischen Sektor. Aus dem Hauptmenü gelangt man zuerst zum Kurzporträt, in welchem ein Sprecher das Leben Hindemiths anhand zahlreicher Abbildungen nachzeichnet. Zur Vertiefung der Kentnisse dient der zweite Punkt „Leben und Werk“, in dem chronologisch Jahre, Lebensstationen und Werkentwicklungen aufgeschlüsselt sind. Und statt mit endlosen Texten zu langweilen, die man lieber in einem Buch als auf dem flimmernden Monitor nachliest, erhält man zahlreiche originale Bild-, Ton- und Filmdokumente, die ein Gefühl von Lebendigkeit hervorrufen. Die Informationen sind untereinander vernetzt, und per Mausklick hangelt man sich so von Info zu Info. Das Musikzimmer dient der Interaktion, die man sich vielleicht noch etwas weitreichender gewünscht hätte. Am Plattenspieler kann der User aus zahlreichen Auszügen der Werke Hindemiths auswählen. Hinter dem Filmprojektor verbergen sich einige filmische Leckerbissen, wie etwa „Hindemith bei der Orchesterprobe“ oder „Lucas Foss über die Bedeutung Hindemiths für die amerikanischen Komponisten“. Wer neben der Unterhaltung ernsthaft mit der CD-Rom arbeiten will, wird auf die diversen Verzeichnisse und Suchmöglichkeiten zugreifen. Denn für den wirklich Interessierten steht ein Werkeverzeichnis nebst Diskographie, eine Bibliographie und ein Sach- und Personenregister zur Recherche parat.
Das alles erhält man für einen unglaublich günstigen Preis von 74,90 Mark. Doch der ist leider auch Indiz für einen der wenigen Kritikansätze. Im Werbeprospekt zur CD-Rom avisiert Schott als Zielgruppe ganz mutig auch den Musikwissenschaftler. Doch ist zu bezweifeln, daß der Silberling als wissenschaftliches Arbeitsmittel wirklich bestehen kann. Nicht nur, daß bei kurzem Durchsehen der Register aufgefallen ist, daß eine so wichtige Person wie Günter Bialas fehlt – gerade aufgrund der multimedialen Aufbereitung ist wohl eher Unterhaltung statt Arbeit intendiert. Und das ist gut so.
Ein völlig anderes Produkt, das gerade diesen wissenschaftlichen Anspruch mit Leichtigkeit befriedigen kann, ist eine neue CD-Rom des G. Henle Verlages. Auf einer CD werden vom Verlag alle Beethoven Briefe aufbereitet. Über ein paar wenige Navigationselemente gebietet der Forscher so über sämtliche bekannten Briefe Beethovens, alle an ihn gerichteten Briefe und selbst „Schriftstücke, die von Dritten in seinem Interesse verfaßt wurden“ – alles von Wissenschaftlern kritisch geprüft und kommentiert aufbereitet. Das Kompendium ist damit vollständig. Der Aufbau der an eine Datenbank erinnernden Oberfläche ist klar und übersichtlich. Mit nur wenigen Aktionen mittels der Maus durchmißt man die unglaubliche Masse an Daten und Informationen. Gerade durch Verweise, die wie Hyperlinks in einem Internetdokument funktionieren, zeigt sich der enorme Vorteil gegenüber dem Buch. Lästiges Blättern gehört der Vergangenheit an. Und da die CD-Rom sowieso alle Briefe enthält, wird keiner, der im Umgang mit dem PC vertraut ist, die entsprechenden (meist irrsinnig schweren) Bücher vermissen. Daß diese CD-Rom als Klientel die Musikwissenschaft im Auge hat, verdeutlicht im Gegensatz zur Multimedia-CD-Rom über Hindemith allein schon der stolze Preis von 998 Mark.
Eine andere Novität ist der Deutschen Grammophon (DG) in Zusammenarbeit mit Schott Musik International gelungen: die CD-pluscore. Obwohl bereits andere die Idee hatten, dem reinen Hörvergnügen sogleich den Zugang zur Partiturlektüre beiseite zu stellen, liegt der Vorsprung bei der DG, die die neuen „Wunderscheiben“ zum gleichen Preis normaler Musik-CDs anbietet. Wie viele unter den Lesern gibt es, die bisher in der Partitur mitverfolgt haben, was der CD-Player parallel zu Gehör brachte? DG vereinigt das nun auf einem Medium. Mit einem Cursor wird während der Musikwiedergabe die jeweils aktuelle Spielposition markiert, so daß jeder bequem mitlesen kann. Doch damit nicht genug. Die Partituren sind per Knopfdruck über einen geeigneten Drucker auf Papier zu bannen und zu jedem Komponisten nebst Werk stehen zusätzliche Informationen parat. Über das weltweit verbreitete MIDI-Format, in dem die Partituren vorliegen, können auch Veränderungen an der Partitur zum eigenen Experiment vorgenommen werden oder auch der Solopart selbst über ein MIDI-Keyboard übernommen werden. Inwieweit eine solche Kombination in Zukunft für den Einsatz im Unterricht dienlich sein kann, muß erneut geprüft werden, sobald mehr CD-pluscores erhältlich sind. Denn bisher wurde das neue Format auf lediglich fünf Scheiben des Standardrepertoires angewendet.
Die bereits bekannte Serie MasterPiece der Firma Schott ermöglicht das Hören, Sehen, Bearbeiten und Drucken von Werken bekannter Meister. Da es sich dabei aber um einen alten Hut handelt und die eigene Kreativität durch eine unsägliche Notationssoftware stark beeinträchtigt wird, soll darauf nicht näher eingegangen werden.
Für den Unterricht beziehungsweise Studium und Ausbildung weitaus interessanter ist die neue CD-Rom-Reihe über Musikinstrumente des Münchner Hieber Musikverlages, die im Auftrag und mit Unterstützung des Gesamtverbandes Deutscher Musikfachgeschäfte und des Bundesverbandes deutscher Musikinstrumentenhersteller veröffentlicht wurde. Die drei Scheiben widmen sich im Teil 1 den Blasinstrumenten und Pfeifenorgeln, im Teil 2 den Saiten-, Tasten-, Zungen- und Schlaginstrumenten und schließlich in Teil 3 den elektrischen/elektronischen Instrumenten, der Recording- und Beschallungstechnik, MIDI und Musiksoftware (ab Dezember 1998). Die Instrumentenkunde ist offizielles Lehrmaterial für die Ausbildung zum Musikkaufmann. Der Preis von 89 Mark für die Einzel-CD und 199 Mark für alle drei ist dabei erfreulich niedrig gehalten worden.
Alles in allem wurden auf der Frankfurter Buchmesse Produkte vorgestellt, die doch positiv für die Zukunft stimmen. Denn nur bei entsprechend nützlichen Softwareprodukten kann erreicht werden, daß der Computer als Arbeitsgerät im Musikunterricht mehr akzeptiert und dadurch intensiver genutzt wird. Doch allzu blauäugig sollte man nun auch nicht nach vorne blicken. Denn gerade die erschreckende Abwesenheit von musikpädagogischen Angeboten im Internet zeigt, daß Computer und Musikpädagogik sich anscheinend noch immer nicht verträgt.