Sophie Fetthauer: Musikverlage im „Dritten Reich“ und im Exil (Musik im „Dritten Reich“ und im Exil, Band 10), Von Bockel Verlag, Hamburg 2004, 586 S., € 58,00, ISBN 3-932696-52-2
In den Chroniken deutscher Musikverlage werden die braunen Jahre meist nur knapp gestreift. Über bereitwillige Anpassungen an die neuen Verhältnisse, Veränderungen in den Katalogen und über das Schicksal rassisch oder politisch verfolgter Komponisten oder Verlagsmitarbeiter erfährt man fast nichts. Verlage, die von Arisierungen profitierten, verschwiegen bislang diese peinliche Tatsache oder bezeichneten sich sogar selbst als Opfer. Auch viele Betroffene wagten keine offene Auseinandersetzung. Erst seit kurzem fällt Licht in das Dunkel. Nachdem auch die GEMA anlässlich ihres Jubiläums zur Aufklärung beitrug, liefert nun Sophie Fetthauer den umfassendsten Beitrag zum Thema. Die Hamburger Musikwissenschaftlerin, die schon in einer Geschichte der Deutschen Grammophon kompetenten Umgang mit NS-Quellen bewiesen hatte, konnte trotz Kriegszerstörung von Archiven und trotz Zurückhaltung mancher Verleger eine beeindruckende Materialfülle zusammentragen.
Das damals weltweit führende deutsche Musikverlagswesen hatte sich 1933 dem Regime widerstandslos angepasst, erhoffte es sich doch einen Ausweg aus dem durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Rückgang im Notengeschäft. „Nichtarier“ im Vorstand des Verlegerverbands DMVV wurden durch NSDAP-Mitglieder ersetzt. Schon im Juni verpflichtete sich der Verband, das deutsche Musikleben „von allen artfremden minderwertigen und anstößigen Erzeugnissen“ zu säubern. Dies betraf wie Willy Strecker gegenüber Strawinsky erläuterte, vor allem Kommunisten und Juden und sei deshalb zu begrüßen.
Trotz solcher „Säuberungen“ und trotz vehementer Polemik gegen Judentum und Kulturbolschewismus durften „Nichtarier“ überraschend lange in ihrem Beruf verbleiben. Wie Fetthauer nachweist, waren für das Regime wirtschaftliche Motive in letzter Instanz wesentlicher als Kulturpolitik. International bekannte Unternehmen wie Peters und Eulenburg blieben noch bis 1938 unter der Leitung ihrer jüdischen Besitzer, da sie erhebliche Deviseneinnahmen erbrachten. Auf diese Weise konnte der Umsatz-Rückgang Mitte der dreißiger Jahre annähernd ausgeglichen werden.
Dennoch fanden schon vor 1938 Arisierungen statt. Am frühesten aktiv wurde dabei der Volkswirt Hans C. Sikorski. Er war Partner von Max Winkler, dem Gründer und Leiter einer geheimnisvollen Cautio Treuhand GmbH, die im Auftrag von Goebbels etwa 1.500 Zeitungsverlage übernahm und über 2.000 Zeitungen in den Zentralverlag der NSDAP eingliederte. Über Arisierungen von Musik- und Bühnenverlagen für die Cautio kam Sikorski ab 1935 ins Musikgeschäft. Nachdem er bald Miteigentümer der zuvor treuhänderisch geführten Unternehmen geworden war, fügte er ab 1938 seiner Berliner Verlagsgruppe die Dr. Hans C. Sikorski KG Leipzig hinzu, die aus den von ihm „arisierten“ Verlagen Benjamin, City, Rahter und Simrock bestand.
Der „Anschluss“ Österreichs hatte die heiße Phase der Arisierungen ausgelöst. Damals begann, wie Sophie Fetthauer schreibt, ein „regelrechter Raubzug“. Zu den kostbarsten Objekten gehörten der Wiener Bühnen- und Musikalienverlag Weinberger, der viele Weltrechte unter anderem für Johann Strauß, Franz Lehár und Robert Stolz besaß, sowie die Universal Edition. Zu einem günstigen Kaufpreis, der sich innerhalb kürzester Zeit amortisierte, konnte Sikorski sich den Weinberger-Verlag sichern, während die Universal Edition nacheinander durch mehrere Hände wanderte. Das Rennen machte schließlich der frühere Schott-Mitarbeiter Dr. Johannes Petschull, der sich schon bei der Übernahme des Leipziger Traditionsunternehmens C. F. Peters „bewährt“ hatte. Er profitierte neben Sikorski am meisten von Verfolgung und Exodus „nichtarischer“ Musikverleger.
Die Autorin, die bei ihren Recherchen auch von Sikorskis Sohn unterstützt wurde, stellt die oft komplizierten und im Rahmen der damaligen Legalität durchgeführten Transaktionen sachlich und nur selten wertend dar. Insgesamt, schreibt sie, sei Hans Sikorskis Position im NS-Staat „nicht eindeutig“. Diese Zurückhaltung erklärt sich aus den oft verwickelten Sachverhalten, aber wohl auch aus der Brisanz des Themas. Verwickelt ist die Situation auch beim Musikverlag C.F. Peters. Obwohl Henri Hinrichsen, dem einstigen Eigentümer, von der ihm beim Zwangsverkauf zugesagten Geldsumme nach der Flucht fast nichts blieb und er selbst 1942 in Auschwitz ermordet wurde, konnte sich Petschull nach 1945 mit dessen Sohn Walter Hinrichsen einigen. Dieser war als US-amerikanischer Kulturoffizier nach Leipzig gereist, wo er das Verlagshaus Peters wieder für seine Familie in Besitz nahm. Überraschend beließ er dabei den „Ariseur“ in seiner Position als Geschäftsführer. Hintergründe einer solchen Einigung ahnt man, wenn man liest, dass die Rückübertragung kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee stattfand und Hinrichsen auch die inzwischen angeschlossene Universal Edition erhalten sollte.
Wie immer es dazu kam: Hinrichsen erhob schließlich Anspruch auf ein anderes arisiertes Unternehmen. Damit bestätigt sich die traurige Beobachtung, dass in einem Terrorregime Grenzen zwischen Tätern und Opfern teilweise verfließen und in Grenzsituationen Opfer sogar zu Komplizen werden. Im Hintergrund dieses sachlichen Berichts dürften mehrere Kriminalgeschichten stehen, die noch zu schreiben sind.
Insgesamt konnte die Autorin 190 Verfolgte aus dem Verlagsbereich ausfindig machen. Einige von ihnen starben auf der Flucht oder in Konzentrationslagern, während viele ihre Tätigkeit im Ausland fortsetzten. Als wichtigstes Aufnahmeland erwies sich Großbritannien, dessen Musikverlagswesen Persönlichkeiten wie Adolf Aber, Hermann Benjamin, Otto Blau, Kurt Eulenburg, Otto Fürstner, Max Hinrichsen, Alfred Kalmus, Ernst Roth, Richard Schauer und Erwin Stein wesentlich verbesserten und internationalisierten. Sie trugen zur Verbreitung der ihnen vertrauten mitteleuropäischen Musik, etwa von Béla Bartók, Gustav Mahler und Richard Strauss, bei, förderten aber auch britische Komponisten. So wurde Erwin Stein zum wichtigsten Mentor Benjamin Brittens. Anders als für Interpreten erwiesen sich die USA für Verleger als weniger attraktiv, was an der schlechteren Urheberrechtssituation und dem abweichenden Repertoire lag. Dennoch konnte Hans Heinsheimer den Musikverlag Schirmer zu beträchtlichen Katalogerweiterungen bewegen. Hatte der Leipziger Peters-Verlag sich vor allem um klassische Meister verdient gemacht, so wurde die C. F. Peters Corporation New York unter Max Hinrichsen zum Verlag von John Cage, Elliott Carter, John Cowell, Lou Harrison und anderer Avantgardisten.
Dank der Kompetenz und Tatkraft der aus ihrer Heimat geflohenen Musikverleger blühte diese Branche im Ausland auf. Die von den Nazis begonnene Aushöhlung des deutschen Musikverlagswesens führte der Bombenkrieg grausam weiter. Vor allem Leipzig erlitt immense Verluste. Dennoch gab es auch hier keine „Stunde Null“. Denn trotz Krieg und trotz Entnazifizierungs- und Restitutionsverfahren behielten Hans C. Sikorski und Johannes Petschull innerhalb der Branche die gewichtige Position, die sie den Arisierungen verdankten. Zum gesamten Themenbereich ist, wie Sophie Fetthauer im Nachwort betont, noch viel Detailforschung zu leisten. Ihr gründlich recherchiertes Buch, zu dem auch Kurzbiographien verfolgter Verleger gehören, liefert dafür eine Grundlage.