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Eigenständige Sprachgebilde

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Die Texte des Komponisten Rolf Riehm reichern das Wort zur Kunst mit kritischer Masse an
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Zur Kunst gehört die Kunst, über sie zu sprechen. Gut, wenn dem Komponisten auch diese Möglichkeit zu Gebote steht. Und so kommen sie denn zustande, all die Werkkommentare und Werkstattgespräche, program lines und Künstler-Interviews.

Gebrauchstexte, von denen niemand genau weiß, wie hoch deren Gebrauchswert ist. Dass sie einen haben müssen, darauf deutet der Umstand, dass man sie auch nach Jahren wieder ans Licht holt, um sie vor neuen Leseraugen auszu­breiten, losgelöst von den sie ursprünglich verursachen­den Werken und Aufführungen. Geschehen jetzt auch im Fall des Frankfurter Komponisten Rolf Riehm, dessen „Werkkommen­tare“ aus beinahe fünf Jahrzehnten der Herzschlag einer bei Schott erschienenen Text-Porträt-Publikation geworden sind. Für eine Handvoll Riehm-Freunde um Heraus­geberin Marion Saxer war klar, dass dieser Fundus gehoben werden muss. „Nicht als Quellentexte einer künftigen, orthodoxen Riehm-Exegese“, wie Saxer, ganz im Sinne Riehms, betont. Als was dann? An dieser Stelle bleibt die Auskunft etwas nebulös. Saxer schwankt, ob sie die stets pointiert wortschöpfenden, zu keinem Zeitpunkt ins Konventionelle fallenden Riehm-über-Riehm-Kommentare nun als „eigenständige Sprachgebilde“ in einen besonderen Ausstellungsraum zum Bestaunen freigeben will oder ob hier letztlich doch dem Riehm-Exegeten mit recycelten „Quellentexten“ neu eingerichtete Futterplätze aufgezeigt werden sollen, die „neue Fragestellungen zu seinem Komponieren erschließen“ helfen.

Natürlich ist dies eine künstliche Differenz. Der „Riehm-Exegese“ ist mit diesem Band ja nur deshalb ein starkes Werkzeug an die Hand gegeben, weil der Wort-Künstler Rolf Riehm hinter dem Ton-Künstler gerade nicht zurücksteckt. Befremdlich sind insofern auch nicht die so wunderbar kühn zwischen den Gattungen und Stilen springenden Texte mit ihren biografischen Reminiszenzen, werkanalytischen Einsprengseln – wenn man sich überhaupt über etwas wundern kann, dann darüber, dass sich die Riehm-Herausgeberin wundert über dessen „Neigung zur Anhäufung elaborierter Fremd­wörter, eigensinniger Wort-Neubildungen oder umgangssprach­licher Wendungen bis hin zu Schroffheiten“. Soll das heißen, all dies müsste eine künftige Riehm-Exegese wegrationalisieren? Umgekehrt doch wohl: Jeder Versuch diskursiver Darstellung von Kunst muss das Wort zur Kunst mit kritischer Masse anreichern und auch ohne einen Bogen zu machen um die alte (von Riehm sehr gepflegte) Sekundärtugend Wahrhaftigkeit.

Das kreative Resultat erscheint deshalb für gewöhnlich wie Dux und Comes. Etwa wenn Riehm seinen Gefühlen nach einem Flug über den Irak in zweifacher Weise Luft macht: Als 2007 entstan­denes Stück „Ton für Ton (weiße Straßen Babylons)“ für Kontra­bassklarinette. Und als Werkkommentar zur „Inkohärenz von Wirklichkeit“. „Der augenblicklich stattfindende Krieg: Ich sehe nichts von ihm, weiß aber, dass er sich genau unter mir abspielt. Das ist nicht unter ein Erfahrungslabel zu bringen. Landläufig würde man sagen, das sei alles total irreal.“ Die parallel bei WERGO erschienene Porträt-CD macht dieses „Paradoxon“ glücklicherweise überprüfbar, versteht Theo Nabicht das ihm gewidmete Werk tatsächlich aus dieser Riehm-Erfahrung: „Alles ist extrem weit weg.“ Was wiederum Stichwort ist für die überraschend weite Entfernung zwischen Riehm-Album und „rolf riehm – texte“. Wie die eine Hand, die nichts von der anderen weiß. Drei von vier Riehm-Kompositionen („lenz in moskau“, „im nachtigallental“, „au bord d’une source“) fehlen im Buch (ohne Komponisten-Kommentar geblieben?), zugleich ist der eindringlich-eindrückliche Werkkommentar zu „Ton für Ton (weiße Straßen Babylons)“ im CD-Booklet substituiert zugunsten einer objektivierenden Werkparaphrase eines Riehm-Exegeten und -Freundes.

Das Problem dabei: Die Subjektivität, die Eigenständigkeit der Komposition hängt an der subjektiven, eigenständigen Komponisten-Erfahrung. Umgekehrt: Ohne diese hängt jene in der Luft wie Riehm beim Flug über ein fernes Kriegsgebiet. Der Komponist zu den „Elementen“ solcher „schweren Fassbarkeit“: „Wie und wo ich auch hingelange, ich habe nichts außer desperaten Krümeln in der Hand.“ Hier allerdings kann man Entwarnung geben: Mit Riehms Texten hat Marion Saxer den lesenden Musikfreunden ein schönes, weil nachdenkliches Buch in die Hand gegeben. Voller „eigenständiger Sprachgebilde“. Wie es sein muss.

Rolf Riehm: Texte. Hg. von Marion Saxer, Schott Verlag, Mainz 2014, 300 S., € 24,90, ISBN 978-3-795708-68-9

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