Christoph J. Bauer und Peter Brötzmann: Brötzmann – Gespräche, mit einem Essay von Christoph J. Bauer, Posth Verlag, Berlin 2012, 174 S., € 19,99, ISBN-13 978-3-944298-00-9
„Der kann keinen einzigen Ton richtig spielen!“ Die Ressentiments gegen den Wuppertaler Saxophonisten Peter Brötzmann waren oft übergroß. Wie kaum ein anderer des aufkommenden Free Jazz spaltete Brötzmann die überschaubare Jazzszene in verschiedene Lager. An seiner Person und Spielweise, die heute als „brötzen“ eine eigenständige Spielweise im freien Jazz bezeichnet, haben sich immer wieder heftige Debatten entzündet.
Als er mit dem Philosophen und Bewunderer Christoph J. Bauer in Berlin das Buch „Brötzmann Gespräche“ vorstellte, wurde deutlich, dass ihm derlei Widerpart heute offenbar abgeht.
Er hätte nichts ,gegen ein paar Unmutsäußerungen‘, war zu lesen. Diese Ignoranz geht auch auf einen Mangel an ernsthafter Auseinandersetzung über Ideen und Praxis des Freejazz und seine Protagonisten zurück. Bauers Gespräche mit Brötzmann schaffen hier etwas Abhilfe.
In mehreren Begegnungen gehen der Hochschulprofessor und der Musiker den gesellschaftlichen und historischen Entstehungsbedingungen des Freejazz nach.
In den Gesprächen, die vermutlich ziemlich exakt aus den Aufzeichnungen transkribiert worden sind, ist immer wieder von Kampf – als gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung, als künstlerischer Überlebenskampf und als individuelle Konfrontation zur persönlichen Entwicklung – die Rede. Schon früh hat sich Brötzmann mit seiner Rolle als weißer Musiker im Jazz auseinandergesetzt. Er hinterfragt seine Herkunft, stellt sie in Bezug zu schwarzen Musikern, betont die Bedeutung der gemeinsamen Verantwortung für „die zwei Stunden auf der Bühne (dass sie) funktionieren und dass da der Teufel los ist…“.
Kürzlich hat Brötzmann das renommierte „Chicago Tentet“ aufgelöst, „weil es sich manche in der Gruppe bequem gemacht haben“. Bauer bezieht sich immer wieder auf Konzerte und musikalische Praxis mit dem Tentet. Auflösung und Neuorientierung des unruhigen Freigeistes machen deutlich, dass sich Brötzmann (Kriegsjahrgang 1941) selbst nie ganz traut. Er muss sich immer wieder neu beweisen. Dass er dabei oft auf seine energische Spielweise reduziert wird, kritisiert er zwar, fühlt sich aber offenbar ausgesprochen wohl beim Bild des kämpferischen, ungebrochenen Mannes, der sich nie hat kaufen lassen. Während Bauer vielfach den Ideen eines gleichberechtigten Miteinanders nachgeht und fragt, ob es doch „ein richtiges Leben im falschen“ gebe, hinterfragt er die (Selbst-)Bilder kaum. Wenn Brötzmann erzählt, wie sie früher auf Tour kaum etwas ausgelassen hätten, bleibt völlig offen, mit welchem – wenig emanzipatorischen – Frauenbild die kühnen Kulturarbeiter Nacht für Nacht weibliche Fans angebaggert haben. In solchen Anekdoten und Rekursen auf früher liegt eine Schwäche des Gesprächsbandes. Immer wieder kommt es zwischen den Gesprächspartnern zu Kumpaneien.
Es wird wenig kritisch nachgefasst und gelegentlich schleicht sich ein altväterlicher Tonfall ein, der auch damals schon den Unmut der jungen Generation herausgefordert hat. Dieses überhebliche Geraune von den Erkenntnissen und Erfolgen, die heutzutage von nachwachsenden Jungen missachtet würden, kann einem auch bei einem Künstler ganz schön auf den Keks gehen, der maßgeblichen Einfluss auf Entwicklungen seiner Zeit hat.
Brötzmann hat ohne jeden Zweifel in vielerlei Hinsicht gewaltige Verdienste. Wie wenig andere Musiker seiner und nachfolgender Generationen hat er ästhetische und musikalische Postulate auf den Kopf gestellt, zertrümmert, wo es notwendig war, und die daraus erkämpften Errungenschaften auch immer kratzbürstig und lustvoll verfochten. Aus dieser Striktheit – und den alltäglichen Bemühungen ein richtiges Leben im falschen (kapitalistischen) Umfeld zu führen – ergeben sich zwangsläufig Widersprüche, die offen zu legen wiederum ein Verdienst Bauers ist. Bei aller Kritik, die Lektüre des schmalen Bandes ist auf jeden Fall lohnenswert. Für Leser/-innen, die mit vielen Namen nicht sofort etwas verbinden, ist das selbstverliebte Fachsimpeln der Beiden zwar bestimmt bisweilen nervig. Der Erkenntnisgewinn über soziale und politische Voraussetzungen des freien Jazz und über die Beziehungen zwischen europäischen und amerikanischen Musikern aber ist eindeutig größer. Denn, um mit einem Zitat Brötzmanns abzuschließen, „eine brutale Gesellschaft (…) provoziert natürlich eine brutale Musik“.