Marc Mönig: Die Pädagogik der Yamaha-Musikschulen. Darstellung, Hintergründe und Kritik, Wißner, Augsburg 2005, 203 S., Abb., Notenbeispiele, ISBN 978-3-89639-456-9
Allein in Deutschland unterhält der Weltkonzern Yamaha etwa 200 Musikschulen. In Theorie und Praxis bietet er ein ausgeklügeltes modulares Musik-Angebot, das schon im Säuglings-
alter erste Wurzeln schlagen soll (S. 11ff.). So verwundert das geringe wissenschaftliche Interesse an der Yamaha-Pädagogik, das sich vor allem in nur wenigen, zum Teil überholten Fachartikeln widerspiegelt. Hier setzt Marc Mönig an und bietet erstmalig im deutschsprachigen Raum einen ebenso umfassenden wie wissenschaftlich und journalistisch fundierten und professionellen Einblick. Aufgrund der spärlichen wissenschaftlichen Literatur recherchierte der Autor vor Ort, an der Quelle, und bekam so mannigfaltige Informationen aus erster Hand des Yamaha General Managements. Namhafte Professoren der Folkwang-Hochschule in Essen sowie der Hochschule der Künste in Berlin leisteten zudem wertvolle Hilfe. Knapp die Hälfte seines Buches (Kapitel II) verwendet Mönig, um die für viele überraschend vielschichtige Yamaha-Pädagogik deskriptiv zu erläutern: deren wirtschaftliche Einbindung in den Gesamtkonzern, die Organisation in Deutschland, deren Inhalte, Medien, Ziele und Methoden. Schon hier besticht Mönigs selbst auferlegte (S. 18/19), äußerst sachliche, objektive und tendenzfreie Vorgehensweise, die auch in wissenschaftlichen Kreisen durchaus nicht selbstverständlich ist.
Kapitel III behandelt die theoretischen Grundlagen des Lehrens und Lernens in der Yamaha-Pädagogik. Im Mittelpunkt von Kapitel IV steht das Verhältnis „Mensch – Musik“ sowie ein Vergleich der Yamaha-Pädagogik mit verwandten Konzeptionen. Frühkindliche Förderung und modularer Baukasten – In der gebotenen Kürze ist es nicht möglich, Mönigs vielschichtige, vernetzende und fein differenzierende Arbeitsweise angemessen zu würdigen. Daher hier nur zwei Beispiele – exemplarisch für die Ambivalenz, Dialektik und partiellen Widersprüchlichkeit der Yamaha-Pädagogik: „Frühkindliche Förderung“ und „Modularer Baukasten“. Yamaha hat die besondere Bedeutung einer ganzheitlichen, frühkindlichen Förderung klar erkannt und umgesetzt. (Hirn- und Wachstumsforschung unterstreichen vehement einen solchen Ansatz.) So bietet man für 4 bis 18 Monate alte Kinder ein vielseitiges, spielerisches und stark emotional gefärbtes Musikalisierungsprogramm, das auch nicht-musikbezogene Sinnerfahrungen (zum Beispiel Geruchssinn) impliziert (S. 55ff.).
Doch dahinter steht ein Begabungsverständnis, wonach jeder Mensch musikalisch (S. 39) und mit Hilfe von Yamaha musikalisch „zu begaben“ sei (S. 40). Damit stellt Yamaha die übliche Interpretation von „Begabung“ auf den Kopf und schiebt die genetische Dispostion unzulässig in den Hintergrund. Mit „einem Höchstmaß an Vorausplanung ... und Determination des Lernprozesses“ bekommt das Ganze auffallend prädeterministische und behaviouristische Züge (S. 144 ff.). Daraus resultiert eine weitgehend auf Imitation und Konditionierung fixierte „lern- und bildungstheoretische Vereinnahmung des Schülers durch die Yamaha-Pädagogik“. (S. 179) Für Lehrer und Schüler präsentiert Yamaha diverse gestufte und abprüfbare Baukasten-Systeme, die unterschiedliche Module aus der Musiktheorie und -praxis miteinander verknüpfen: Allgemeine Musiklehre, Gehörbildung, Literaturspiel, Improvisation, Gesang und anderes. Vieles erinnert an das englische „Associated Board of the Royal Schools of Music“ (abrsm). Eine in Deutschland leider so verbreitete rein instrumentale Ausbildung scheint damit ausgeschlossen. Doch bei näherer Betrachtung offenbaren sich deutliche Defizite und tendenziöse Meinungsmache – allen voran eine extreme stilistische Reduktion auf sinnlich leicht zu erfassende Kompositionen der Frühklassik. Seit dem Jahre 2000 kommt Pop-Musik als Wahlmöglichkeit hinzu. Eine solche Kanalisierung und Funktionalisierung unterstreicht die eingeengte Firmen-Philosophie von Musik als Kommunikationsmittel, als Träger einer „mehrheitsfähigen Massenpopularisierung“ (S. 174). Andere Epochen finden darin kaum einen Platz; atonale, elektronische oder experimentelle Musik werden strikt abgelehnt (S. 173ff.).
Ungeachtet durchaus schärferer Kritik (besonders in Kapitel IV und V) bleibt Mönig auch hier seiner ausgewogenen, wissenschaftlich sauberen Linie treu. Im Gegensatz zu Yamaha selbst versucht er nirgends, Komplexität zu simplifizieren, den Leser in eine bestimmte Richtung zu ziehen, Stimmung zu machen für oder gegen eine bestimmte Haltung beziehungsweise Position. In einem resümierenden Schlusskapitel bringt Mönig die Vor- und Nachteile Yamaha’scher Musikerziehung noch einmal auf den Punkt: „Der Yamaha-Pädagogik kommt ... auf der einen Seite das Verdienst zu, eine systematisch ausgearbeitete ... in weiten Teilen durchaus in sich schlüssige Konzeption vorgelegt zu haben.“ (S. 193) Auf der anderen Seite „wird die reale musikalische Wirklichkeit mit allen ihren Erscheinungsformen verkürzt und in eine systemimmanente, stilistisch verengte Wirklichkeit überführt“ mit der Gefahr, „Wirklichkeit zu ‚machen’, anstatt sie einzufangen, auf sie vorzubereiten.“ (ebd. – Christoph Richter.) Fazit: Ein sehr anspruchsvolles Buch auf hohem wissenschaftlichem Niveau! Eine Fundgrube für aufnahmebereite und -fähige Musiklehrer/-innen. Ein Vorbild für Forschende und Lehrende, die selbst publizieren.