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Gigantischer zeitlicher Rahmen

Untertitel
Alexander Reischert erklärt das „Sujet“ auf dem pragmatischen Weg
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Alexander Reischert: Kompendium der musikalischen Sujets – Ein Werkkatalog, Bärenreiter-Verlag, Kassel 2001, 2 Bde., zus. 1417 S., € 148,00, ISBN 3-7618-1427-5

Als er gegenüber Freunden und Kollegen seine Absicht erklärte, die Musik aus vier Jahrhunderten nach Stoffen ordnen zu wollen, sei er zumeist müde belächelt worden, erzählt der Autor und Herausgeber. Aber das beeindruckte Alexander Reischert wenig, schwebte ihm doch die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches vor Augen. Zweierlei sollte sein stolzes Vorhaben erleichtern. Zunächst ein Verlag, der von Zweck und Nutzen eines solchen Lexikons überzeugt war und seinem Autor freie Hand ließ, und dann die technischen Hilfsmittel bis hin zum Internet, die eine lückenlose Dokumentation sicherten.

Der Bärenreiter Verlag hatte vor gar nicht langer Zeit ein ähnliches Projekt, das „Lexikon der Programmmusik“ von Klaus Schneider, realisiert, dessen Inhalt sich in minimaler Teilmenge mit Reischerts Kompendium deckt. Zu klären war vor diesem Hintergrund, was ein Kompendium von Sujets denn eigentlich umfassen sollte und wo seine Grenzen zu ziehen waren. Vorbilder dazu gab es zwar in anderen Fachrichtungen wie der Literaturwissenschaft, wo Elisabeth Frenzels 1962 erschienenes Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte mit dem Titel „Motive der Weltliteratur“ kurz nach Erscheinen zu einem Standardwerk avancierte. Aber Friedrich Leipoldts 1985 unternommener Versuch, im Rahmen seines „Lexikons der musischen Künste“, die Idee auf bildende Kunst und Musik zu übertragen, blieb höchst lückenhaft.

Was nun aber als Sujet zu bezeichnen ist und in welchem Ausmaß es sich auf ein musikalisches Werk beziehen lässt, bedarf der Definition. Reischert wählt den pragmatischen Weg. Er führt ein bestimmtes Werk unter einem Begriff auf, wenn das Sujet in seinem Titel benannt ist oder seine Zielrichtung ausdrücklich vom Komponisten zum Ausdruck gebracht wurde. Niemanden wird es verwundern, dass somit der Hauptanteil von Reischerts Material aus szenischen Werken besteht, deren Titel schon allein den Hinweis auf ihren Inhalt vermitteln. Die Interpretation auf reine Instrumentalmusik dagegen bleibt problematisch. Wie weit nähert sich ein kammermusikalisches Werk überhaupt dem in seinem Titel bezeichneten Sujet? Ist in Rolf Riehms „Toccata Orpheus“ für Gitarre solo die mythologische Gestalt gemeint oder ein abstrahierender Gedanke, der mit den Handlungen des Orpheus in irgendeinem losen Zusammenhang steht? Wie steht es mit dem Siegfried-Sujet? Ist Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ wirklich auf den Held seines Musikdramas bezogen oder verselbstständigt sich das musikalische Material nicht vielmehr zu einer Instrumentalfantasie mit anderen Schwerpunkten? Eine Wertung, in welcher Art und Intensität der jeweilige Stoff umgesetzt wurde, kann das Handbuch nicht liefern. Gänzlich scheitert der Suchende, wenn er versteckte Sujets in größeren Werkzusammenhängen suchen will, die einen eigenständigen Sinnzusammenhang bilden. So ist selbstverständlich Helmuth Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ unter dem Haupt-Sujet des Märchens von Hans Christian Andersen aufgeführt, nicht aber die eingeschobene Beschreibung eines Vulkanausbruchs von Leonardo da Vinci. Reischert zieht Grenzen und muss sie ziehen. Auch in der problematischen Bezeichnung der Werktitel. Die werden in der Regel in der Originalsprache und in der Form abgedruckt, in der das jeweilige Werk seinerzeit zur Uraufführung gelangte. Das kann für den Nutzer zu Irritationen führen, wenn der Komponist später einmal den Titel geändert haben sollte.

Gigantisch ist allein der zeitliche Rahmen, den Reischert abzudecken versucht. Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme historischer, mythologischer, literarischer und religiöser Sujets seit dem 17. Jahrhundert. Der Autor führt die Schlagworte alphabetisch auf und ergänzt die Zusammenstellung durch ein Personen- und Stoffregister. Nach den ausnahmslos lesenswerten, überaus griffig formulierten Einführungen ins jeweilige Thema werden die Einträge chronologisch nach Entstehungsjahren geordnet, wobei Daten zur Uraufführung, Drucklegung und zum Verbleib des Notenmanuskriptes sowie Aufführungsdauer beigefügt sind. Reischert hat unterschiedliche Quellen benutzt, zu denen allgemeine Fachlexika wie die MGG ebenso gehören wie das „Lexikon der biblischen Personen“ und natürlich die Internet-Recherche zur Werk-Auffindung.

Das Sujet, so scheint es Reischert zu interpretieren, lässt sich nur auf ein musikalisches Werk beziehen, wenn es im Titel genannt wird oder aber als geschlossener Begriff darauf zu beziehen ist. Inhalte oder Bezüge, die sich auf historische Personen beziehen, ohne ausdrücklich im Titel genannt zu sein, fallen durch den Rost der Dokumentation. So die berühmte Kantate „Seid nüchtern und wachet ...“ von Alfred Schnittke, die viele Jahre vor seiner „Faust“-Oper entstand und sich just auf die Gestalt des Doktors aus dem Spies´schen Volksbuch bezieht. Reischert nennt die Oper, nicht aber das Vokalwerk. Das überaus umfangreiche, übersichtlich gestaltete Werk ist von unschätzbarem Wert für den Praktiker. Programmgestalter, Dramaturgen, Radio-Leute und nicht zuletzt auch Laien werden einen großen Nutzen daraus ziehen.

Selbstverständlich ist eine Arbeit wie diese niemals abgeschlossen und – das zeichnet sie wegen ihres engen Bezuges auch zur Gegenwartsmusik aus – schon bei Erscheinen veraltet. Um sein Kompendium stets aktuell zu halten, eröffnen Autor und Verlag ein Internet-Forum unter der Adresse „www.musiksujets.de“. Hinweise und Korrekturvorschläge werden entgegengenommen. Bis zum Redaktionsschluss hat die Seite allerdings noch keine Errata oder Ergänzungen verzeichnet.

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