Hauptrubrik
Banner Full-Size

Hartnäckiges Störelement in der Neuen Musik

Untertitel
Höre Hespos! Ein Arbeitsbuch mit vielen Wegen zur Musik und zum Hören
Publikationsdatum
Body

Höre Hespos! Der Komponist Hans-Joachim Hespos im Gespräch mit Tobias Daniel Reiser, Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin 2011, 115 S., CD, € 16,00, ISBN 978-3-940862-23-5

Wissen wir überhaupt, wie wir hören? Reflektieren wir diesen ganz konkreten Moment der Wahrnehmung von Tönendem eigentlich? – „in sich stille machen, in sich ruhig werden, bereit sein aufzunehmen, wahrzunehmen“, das ist für den Komponisten Hans-Joachim Hespos Voraussetzung für das Hören und bildet gleichzeitig die Einleitung zu „Höre Hespos!“, einem Buch aus Gesprächen des Musiktheaterpädagogen Tobias Daniel Reiser mit dem Komponisten, das im Berliner Simon Verlag für Bibliothekswissen erschienen ist. 

Der Satz des Komponisten überrascht nur, wenn man Hespos’ Musik bisher lediglich als hartnäckiges Störelement in der zeitgenössischen Musik wahrgenommen hat (was sich nach dem Lesen des Buches als falsch und richtig zugleich erweist, somit erneut irritierend). Denn das Hinhören lohnt: Alle seine Werke sind geprägt von intensivster Aufmerksamkeit für das augenblickliche Musikereignis, sei es für den extremst-extremen Punkt des Klangrisses im Zwei-Sekunden-Stück „stitch“ oder die durch Vorangegangenes auf ein Höchstmaß emotionalisierten Nach-Arien in SEILTANZ. Die Annäherung an den Komponisten, die für Reiser am Anfang auch das eigene Verständnis von Schöpfer und musikalischem Werk fördern sollte, erreicht in diesem Fall fast schon eigene künstlerische Qualität, denn nichts wäre im Fall Hespos langweiliger und auch abwegiger, als eine Form, bei der ein ahnungsloser Frager den seitenlangen Abhandlungen des hehren Künstlers gegenüberstünde. Reiser schafft es, den Leser mit an den Schreibtisch des Komponisten zu holen: Kapitel für Kapitel werden neue Hespos-Werke aufgeschlagen, anhand derer der Komponist Ansichten und Arbeitsweisen erläutert. Das Lesen dieser Werkstattgespräche bedeutet schon Vergnügen genug, denn allein Hespos’ Satzbildungen sind eine wahre Fundgrube von Kreativität, Irritation oder Provokation, was bereits einen nicht-mitdenkenden Konsum des Buches unmöglich macht. Reiser entschied sich aber auch, die angesprochenen Werke von Hespos gleich auf einer CD beizufügen, um „Höre Hespos!“ praktisch und parallel zu ermöglichen und damit einen weiteren Horizont zu öffnen. 

Das gelingt nicht immer, denn die Körperlichkeit des Hespos’schen Werks ist auf der CD fast weniger greifbar, als wenn der Komponist in kraftvoller Bildersprache etwa die „gehetzten Knüppelproduktionen“ der Musikindustrie kritisiert oder ein „puzzle-überschlag-verquer-tempo“ in einem seiner Werke beschreibt. Doch auch die CD ist nicht ohne Überraschungen hörbar – fast schon konsequent erscheint, dass auch die Trackliste „gestört“ ist und man so gezwungen wird, sich mit dem Dargebotenen zu beschäftigen. Der immanente Zusammenhang zwischen dem spielerischen Erforschen der Instrumente und der absoluten Aufrichtigkeit, die Hespos von sich selbst und seinen Interpreten und Zuhörern fordert, macht den Reiz des Buches aus: „Musik ist nicht harmlos“, konstatiert Hespos, beschreibt sich selbst als Täter und Widerständler und ... – wir blättern um – plötzlich geht es um das „Aufstaunen“, um die Permanenz von Staub und die unstillbare Neugier eines Kindes. Diese Spannung, dieses Nebeneinander von Widersprüchen und Extrema fordert Musik, fordert Kunst und Kreativität. Als solches ist hier ein wunderbares, mit vielen Details gespicktes Arbeits-Buch entstanden, das auch für Hespos-Neulinge viele Wege zur Musik und zum Hören zeigt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!