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Hörer und Nichthörer in der Legitimationsdebatte: Nach seiner Kritik an der „Leichtigkeitslüge“ nimmt Holger Noltze nun das Musikland Deutschland als Ganzes in den Blick

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Holger Noltze: Musikland Deutschland? Eine Verteidigung. Musik in der Gesellschaft. Gütersloh, Verlag Bertelsmann Stiftung 2013, 99 S., ISBN 978-3-86793-431-2, € 16,00

Hätte es noch eines weiteren Beleges für die Akzeptanzkrise des „klassischen“ musikalischen Erbes in Deutschland bedurft, die Holger Noltze in seiner neuen Streitschrift konstatiert – das Rundfunkorchester-Bashing der BILD hat ihn kürzlich geliefert (siehe hierzu Martin Hufners „Cluster“ auf Seite 9). Umgekehrt machen die allfälligen Abwehrreflexe deutlich, dass auch an Noltzes Ausgangspunkt für dieses „dünne Buch zu einem großen Thema“ einiges dran ist: Wer in der Legitimationsdebatte gegen den schleichenden Verfall des Musiklands Deutschland eintreten will, braucht Argumente, die über trotzige Statements à la „Oper muss sein“ hinausgehen. Und gute Argumente erfordern ein Nachdenken, das – so Noltze – in Zeiten eines nach medialer Aufmerksamkeit schielenden Aktionismus zu kurz kommt.

Im ersten Abschnitt seines Buches, das nun den gesamten Problemkomplex inspiziert, von dem die in seiner vorherigen Publikation angeprangerten „Leichtigkeitslügen“ einen Teilaspekt darstellen (siehe nmz 11/2010), schildert Noltze kurz und prägnant die bekannten Krisen-Indizien: von den kommunalen Finanzmiseren über die demografische Entwicklung bis zum Verschwinden des Bildungsbürgertums. Spätestens ab 2025, so die stichhaltigen Prognosen der Experten, dürfte in einem schrumpfenden Markt der legitimierende Faktor Publikum als Argumentationsbasis mehr und mehr abhandenkommen. Die Folge könnte ein Wegbrechen der Musikangebote in der Breite sein, übrig blieben einige wenige „Leuchttürme“.

Nachdem Noltze im zweiten Teil manches vornehmlich an Kinder und Jugendliche gerichtete Musikvermittlungsangebot als fehlgeleitete „Ersatzhandlung“ für den erodierenden schulischen Musikunterricht kritisiert und die Tendenz zur gegenseitig sich auf die Schulter klopfenden Binnenperspektive entlarvt hat, geht er die gemeinhin für den Erhalt der Musiklandschaft vorgebrachten Argumente durch: Die Stichworte Persönlichkeitsentwicklung, Transferwirkungen, Bildungsgut, Umwegrentabilität, oder Musik als schöner Selbstzweck erweisen sich freilich, sobald man sie (wie Noltze es zu Recht tut) differenziert betrachtet, als unterschiedlich gut geeignet, die „außerhalb der Konsensgemeinschaften“ schwierige Kommunikation zugunsten der Sache Musik zu beeinflussen.

Das scheint auch der Autor zu spüren und integriert sie deshalb zusammen mit der Bestandsaufnahme des ers­ten Teils in die abschließenden Thesen und eine Sieben-Punkte-Agenda. Neben wenig überraschenden (Stärkung des Musikunterrichts und der Breitenförderung, Unterschätzung des Standortfaktors) und etwas vagen Schlussfolgerungen („Haltung“ als Kategorie der Musik und ihrer Vermittlung, Veränderungspotenzial der Musik als Kunst), lassen zwei Aspekte aufhorchen: die Betonung und Differenzierung der gesellschaftlich relevanten „Effekte“ des Musikmachens und -erlebens sowie die Forderung nach einer „Nichthörer-Forschung“. Denn Noltze hat ganz Recht: Erst wenn wir genau wissen, warum so viele Menschen sich nicht für das interessieren, was der klassische Musikbetrieb anzubieten hat, kann begonnen werden, diesen und damit die Gesellschaft zu verändern.

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