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Katerfrühstück im Schlumpfenland

Untertitel
Wie Ex-Manager Tim Renner die Branche zum Nachdenken bringt
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Tim Renner: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie, Campus Ver-lag, Frankfurt 2004, 303 S., € 19,90, ISBN 3-593-37636-9

Kaufen Sie dieses Buch! Bestellen Sie im Internet das Buch von Tim Renner und kaufen Sie als Zubehör eine Flasche Champagner (vom Weinhändler um die Ecke), eine kleine Auswahl leckerer Antipasti (vom italienischen Feinkosthändler nebenan), eine Kotztüte (im Flieger abgreifen), Kopfschmerztabletten, Salzbrezeln von Lidl, Müsli, Obst und ein Straßenbahnticket zu einem Park nahe Ihres Bankenviertels. Der ideale Zeitpunkt für die Lektüre ist ein sonniger Freitagmittag, neben Ihnen auf der Parkmauer breiten Sie Häppchen und Plastikgläser aus, das Handy drehen Sie auf volle Lautstärke (Klingelton: „Der Schlumpfentanz“). Stürzen Sie sich gut vermummt in eine Lektüre, wie Sie diese im Musikbusiness kaum abenteuerlicher finden können.

Tim Renner ist mit seinem Autorendebüt „Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie“ ein famoser Streich gelungen. Ich glaube das beurteilen zu können, weil mir das Wirtschaftsstudium den Konsum einer halben Bibliothek auferlegte und sich ein Außenstehender kaum ausmalen kann, wie verworren und langweilig sich Managementexperten in der Regel auszudrücken pflegen. Renner, der ehemalige Deutschlandchef des Branchenführers Universal, packt die Herausforderung vollkommen anders an. Er schreibt die Geschichte der Musikindustrie als hintergründige und spannende Reportage, voller Aha-Erlebnisse und unter Einbeziehung der eigenen Perspektive. Selbst komplizierte Sachverhalte wie Marketingkalkulation in Musikdiscountern kriegen Pfiff, wenn Renner dabei Schleier für Schleier rund um das eigentliche Kernthema lüftet.

Am Anfang steht „Das Paradies“. Tim Renner steigt Mitte der 80er bei Polydor als Junior Artist & Repertoire Manager ein und stürmt die Karriereleiter hoch. Noch zwanzig Jahre später überträgt dieses Kapitel die freche Vibration der Einstiegseuphorie. Renner sieht sich als Schlussläufer einer legendären Management-Staffel: Siggi Loch, Chris Blackwell, Ahmed Ertegun… Er preist Neonröhren, Sexualität und Abgrenzung und zitiert schließlich seine erste Entdeckung Element of Crime: „You fucked up your life, why don’t you smile?“.

Tim Renner erinnert an Fanzines, an Radiosender mit eigenverantwortlichen Redakteuren und an die massenhafte Infiltration des Mainstreams durch den Underground. Er beschreibt wie ihm die Augen bei der Arbeit zu leuchten begannen, man erlebt dieses Gefühl beim Lesen noch einmal nach und greift gefesselt und ohne aufzuschauen in die Schale mit den eingelegten Artischocken und zum Schampus. Manager eilen dem Feierabend entgegen und der Park beginnt sich zwischen den Strahlen der versinkenden Wintersonne zu füllen. Wir lesen vom Sündenfall und reiben uns die Augen bei der Erinnerung an eine Zeit, als die CD zu phantastischen Margen von 20 Prozent führte und die Musikindustrie zum Objekt von Spekulanten wurde. Anfang der 90er-Jahre wurden in allen Bereichen Manager und Controller installiert (die so genannte Professionalisierung), um die „Abläufe von starren, computerisierten Kalkulations- und Buchungsprogrammen abhängig zu machen, Zeitabläufe nach strikten und logischen Regeln zu steuern, die sich streng an Medien und Charts orientieren...“ Renner schlägt sich seitenlang mit Beraterfirmen herum, die ihre Daten im indischen Bangalore über Nacht erstellen lassen und protzigen Businessmeetings in Kanada, wo die Prognosen den Anforderungen angepasst werden wie einstmals in der Planungskommission der DDR. Das neue Formatradio und der Boom der Hit-Compilations bei den Fernsehsendern lassen den Aufbau von Künstlern mit dauerhaftem Wert nicht mehr zu. „Der Kollaps ist unausweichlich.“ Nach einer Flasche Champagner einsam im Laternenlicht werden Sie dieses Gefühl mühelos teilen.

Im folgenden Kapitel – das darf ich vorwegnehmen – wird Ihnen kalt und schließlich schlecht werden. Sie vermeiden den Einsatz der Kotztüte, wenn Sie es rechtzeitig zu den Sanitäranlagen eines naheliegenden Centers schaffen. Diese Zwischenstation passt gut zur Lektüre, denn das Kapitel „Die Vertreibung aus dem Paradies“ erzählt praktisch nur noch von Technik und den großen Kämpfen um die Verwertung im digitalen Zeitalter. Der Handel von Musikrechten von TV bis Handy wird schockierend detailreich offengelegt, Menschen kommen hier nur noch am Rande oder gar nicht mehr vor. Wenn Sie also beim Lesen auf einen Media Markt blicken und Ihren Magen mit Salzgebäck aus dem benachbarten Lidl beruhigen, liegen Sie genau richtig. Falls Ihnen dabei ein alkoholisierter Obdachloser in den Ohren liegt, erhaschen Sie einen Hauch vom Originalgefühl, das den Aufbau legaler Musiktauschbörsen prägte.

Es ist Zeit für das Bett und die Kopfschmerztabletten. Am Samstagmorgen reservieren Sie sich Zeit für ein gesundes Frühstück, denn das letzte Kapitel heißt „Inhalt – Kapital – Verantwortung“ (bitte nicht lachen, sondern Obst ins Müsli schneiden). Renner behauptet, dass Plattenfirmen in einer digitalen Welt überflüssig sind und Musiker ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen. Als Zeugen führt er Rammstein, Grönemeyer und viele andere Stars ins Feld, die sich der Musikgiganten nur noch zum Vertrieb ihrer Produkte bedienen und ansonsten Management, Produktion, Verlagsgeschäft und Marketing in eigener Sache betreiben. „Unser Vertrag war der Anfang vom Ende der Majors“, wird der Manager der Toten Hosen zitiert. Spätestens jetzt sind Sie nüchtern und sehr nachdenklich. Es stört Sie kaum, wenn sich das Buch auf den letzten Seiten zerfranst. Sie werden abwesend auf den Buchdeckel starren und beim Klingeln des Handys aus allen Wolken fallen. „Jawohl“, werden Sie zu sich selbst sagen, bevor Sie Ihren Anrufer begrüßen, „das neue Jahr bricht an, ich bin der Oberschlumpf und mein blaues Netzwerk wird die Menschheit zum Tanzen bringen!“

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