Hauptbild
500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik. Theologie. Kulturgeschichte, hrsg. von Andrea Hofmann/Esther Wipfler, Schnell & Steiner, Regensburg 2024

500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik. Theologie. Kulturgeschichte, hrsg. von Andrea Hofmann/Esther Wipfler, Schnell & Steiner, Regensburg 2024

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Kirchenmusikgeschichte und -gegenwart

Untertitel
Umfangreicher Tagungsband zu fünfhundert Jahren Evangelisches Gesangbuch
Vorspann / Teaser

500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik. Theologie. Kulturgeschichte, hrsg. von Andrea Hofmann/Esther Wipfler, Schnell & Steiner, Regensburg 2024, 336 S., Abb., € 34,95, ISBN 978-3-7954-3813-5

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Mit den 500 im Buchtitel genannten Jahren ist der Zeitraum von der Herausgabe des ersten Gesangbuches der damals noch jungen Kirche (1524) bis zum heutigen Tag abgesteckt. Das erste „Gesangbuch“ war eher ein Heftchen, das – vielleicht auch primär aus wirtschaftlich-buchhändlerischen Interessen – acht Einblattdrucke von Chorälen zusammenfasste: das Achtliederbuch. Das Ende der 500 Jahre, das Jahr 2024, hat kein brandneues Gesangbuch – beispielsweise als materiellen Eckpfeiler des Jubiläumsjahres – vorzuweisen. Die gängigen Gesangbücher sind in der evangelischen (Evangelisches Gesangbuch) und katholischen (Gotteslob) Kirche 33 beziehungsweise 11 Jahre alt. Allerdings wird in der Evangelischen Kirche bereits ein neues Gesangbuch vorbereitet, das wohl 2028 erstmals in hybrider Form (gedruckt und online) erscheinen soll.

Äußerlich unterscheiden sich diese Bücher von ihrem Vorgänger aus dem Jahr 1524 deutlich – dem Heftchen stehen zwei umfangsstarke Bücher mit 535 beziehungsweise 684 Liednummern (gegebenenfalls plus regionale Sonderanhänge) gegenüber. Bei der Einführung des Evangelischen Gesangbuches, das nicht nur als gottesdienstliches Gesangbuch, sondern ausdrücklich auch für die Gruppen in der Gemeindearbeit konzipiert worden war, spottete das Kirchenvolk, dass es wegen seines Gewichts auch zur Selbstverteidigung für Mitglieder der Frauenhilfe auf dem abendlichen Heimweg tauge.

Interdisziplinärer Ansatz

Im März 2024 fand in Nürnberg – dem Ort, an dem Jobst Gutknecht das Achtliederbuch gedruckt hatte – auf Anregung und Veranlassung der Evangelischen Kirche in Deutschland eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „500 Jahre Evangelisches Gesangbuch 1524–2024“ statt. Das vorliegende Buch ist der dazugehörige Tagungsband, in dem fast alle Beiträge der Veranstaltung abgedruckt sind. Er ist gleichzeitig auch eine der wenigen Veröffentlichungen, die sich im Jubiläumsjahr mit diesem Thema beschäftigen. Dabei ist das Thema des Tagungsbandes durchaus interdisziplinär zu verstehen: Neben der Gesangbuchkunde sind hier Beiträge aus den Bereichen Hymnologie, Theologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Soziologie zu finden.

Ein erstes oberflächliches Durchblättern des Bandes macht stutzig – so viele Abbildungen aus „alten“ Gesangbüchern: Titelblätter, Noten, Portraits von Textdichtern. In ihrer Einführung betonen die beiden Herausgeberinnen, dass es nicht ihr Ziel ist, „die 500-jährige Geschichte des Evangelischen Gesangbuchs aus unterschiedlichen disziplinären und konfessionellen Perspektiven aufzuwerfen“. Auch fassen sie den Begriff „Gesangbuch“ sehr weit, verstehen als solches „nicht nur die offiziell eingeführten kirchlichen Gesangbücher“, sondern auch Sammlungen geistlicher Lieder für den Gebrauch im außerliturgischen Bereich.

Bild
500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik. Theologie. Kulturgeschichte, hrsg. von Andrea Hofmann/Esther Wipfler, Schnell & Steiner, Regensburg 2024

500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik. Theologie. Kulturgeschichte, hrsg. von Andrea Hofmann/Esther Wipfler, Schnell & Steiner, Regensburg 2024

Text

Vielfältige Perspektiven

Der Hauptteil des Buches gliedert sich in drei Sektionen mit elf Aufsätzen: 1. Geschichte und Entwicklung des Gesangbuchs, 2. Das Gesangbuch als Lebensbegleiter im Alltag und 3. Das Gesangbuch als Ausdruck konfessioneller, territorialer und kommunaler Identität. Die Aufsätze bilden einen bunten Blumenstrauß an Themen um das Gesangbuch, einer lesenswerter als der andere! Eher neu in diesem Zusammenhang ist der konfessionsübergreifende Blick auf das katholische Gesangbuch und das Thema „Frauen und ihre Gesangbücher“.

Auch wenn man immer wieder Hinweise darauf bekommt, dass es offensichtlich eine Gesangbuchtradition im 20. und 21. Jahrhundert gibt, so wird diese letztlich nicht in erwähnenswerter Weise thematisiert. Immerhin hat es der größte Teil der Lieder aus dem Achtliederbuch über 500 Jahre lang geschafft, auch in den neuesten Gesangbüchern vertreten zu sein. Die Lieder unserer Zeit scheinen – mit wenigen Ausnahmen – eher von großer Kurzlebigkeit zu sein.

Religiöse Auseinandersetzung?

Was macht Luthers Lieder so wertvoll und lässt eine höchst zeitgemäße, aber im Gesangbuch thematisch vollständig singuläre Choralstrophe wie EG 431,2 mit dem Text „Führ uns an atomarer Nacht vorüber, hilf der Hoffnung auf“ so unbeachtet stehen. Können wir die Probleme unseres Jahrhunderts so leicht in die Worte vergangener Zeiten kleiden? Haben wir keine eigenen Probleme und keine eigene Sprache dafür, die uns Christen in Zwiesprache mit Gott bringen können? Was für Gott gilt, das gilt sicher auch für die Menschen: „So spricht der Herr: Neu will ich machen Himmel und Erde. Niemand wird nach dem Alten sich sehnen, es ist vergessen“ (EG 429,1 und Offenbarung 21,1.5).

Bei der Zwiesprache zwischen den Menschen und Gott kommen wir dann zum anderen Manko des Buches. Es ist zu wissenschaftlich-elfenbeintürmig. Auch wenn im Buchtitel das Wort „Musik“ vorkommt, so dürften im Zusammenhang mit einem Gesangbuch auch einmal die Singenden, die christliche Gemeinde, vorkommen. Auch die musikalisch-interpretatorische und vor allem theologisch-interpretatorische Auseinandersetzung von Kirchenmusikern und Komponisten mit den Liedern scheint jenseits der reinen praktischen musikalischen Aspekte von Bedeutung. Ein Gesangbuch ist ein Instrument der tönenden Glaubensausübung – das darf man zumindest einmal in einer Randnotiz erwähnen!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!