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Robert Schlesinger: Gott sei mit unserm Führer – Der Opernbetrieb im deutschen Faschismus, Löcker Verlag Wien, 1997. 173 Seiten
Gegenstand und Schreibintention über-zeugen zunächst: Ein junger Historiker in Wien, begeistert von Opernpartien und historischen Stimmen, begreift, daß seine kostbare Schallplattensammlung aus den Umständen deutscher Annexion resultiert – und entsprechend drängen sich Fragen auf. In erster Instanz nach dem Schicksal und Verhalten der Geschätzten, von Dirigenten und Sängern der Wiener Staatsoper in der faschistischen Zeit. Was Robert Schlesinger diesbezüglich recherchiert, dürfte, so Wiens heutiger Staatsintendant Ioan Holender, bislang mehr ignoriert denn aufgearbeitet worden sein. Beispielsweise, wie Ruf und Konkurrenzfähigkeit der Oper von Berlin aus durch raffinierte Personalpolitik gelenkt, gesenkt und nach der Annexion wieder stabilisiert worden sind. Wie gründlich und widerstandslos schließlich das erste Haus der neuen „Reichsstadt“ einfunktioniert wurde in die Mechanismen der „völkischen“ Kulturpolitik. Etwas besserwisserisch sortiert der junge Autor die zum Großteil nicht Namenlosen unter den Solisten nach dem Grad ihres nationalsozialistischen Engagements. Spektakuläres bleibt in diesem Zusammenhang Ausnahmefall. Etwa der Weg des Clemens Krauss, der Wien schon 1934 in Richtung Deutschland verließ, um Furtwänglers Platz in Berlin einzunehmen, der sich nach 1938 von München aus erneut in seiner Heimat bewarb und schließlich 1945 in Wien das Befreiungskonzert zu Ehren der Roten Armee dirigierte. Den wenigen erklärten Nicht-Sympathisanten wie etwa Lotte Lehmann blieb nur der Weg ins Exil. Die Mehrzahl des Staatsopern-Personals (und auch des Publikums) entschied sich, so legt der Autor glaubwürdig dar, für einen vermeintlich apolitischen Weg, für eine stillschweigende Toleranz. Beweggründe und Verhaltensstrategien im Detail oder auch en masse genauer zu analysieren, daraus Schlüsse zu ziehen, Resultate wiederum zu diskutieren – all dies jedoch spart Schlesinger aus. Nicht einmal sein Erkenntnisinteresse ist klar formuliert. Aber wiewohl die Publikation für die Forschung kaum relevant werden mag, für ihre Leser im Parkett ist sie es gewiß. Letztere konfrontiert sie mit einigem Sprengstoff, bringt sie doch auch auf ihre deutlich populistische Art manche ungeliebte Wahrheit ans Licht. Um eine spezifische Klientel nicht vorab zu verstoßen, wird zunächst auf einer Sub-Ebene kommuniziert. Diverse schreiberische „Einschwing-Vorgänge“ auf den ersten Seiten scheinen solch einem „vertrauensbildenden“ Zweck geschuldet: Weder das anfängliche Sich-Berufen auf bestimmte gängige Opernpartien und die vorangestellte Theorie-Abwehr noch der haarsträubende Ritt durch die Soziologie und das unsägliche Philosophieren über die Eignung oder Nichteignung der Gattung zu Emotion und Politik stellen Kontakte zum gern unpolitischen Opernfreund her. Bewußt unscharf erscheint die Selbstbestimmung des Autors vor seinen möglichen Lesern als ihresgleichen: ein Opern-Narr. Offenbar ein entsprechendes Eingeweihtsein in die Kenntnis der Wertigkeit wichtiger Werke und Namen scheint die reale Bedingung zu sein, mit dem unwillkommenen Thema überhaupt zu beginnen. Dies vorausgesetzt, könnte Schlesingers insgesamt wenig differenzierte und wenig substantielle Publikation einiges mehr bewirken als manch schlüssige Theorie: konkret beim Wiener Opernbesucher nämlich freizulegen, was in Biographik, Fanclubs und der Gattungs-Mythologie an sich bis heute unpopulär, ja ein Tabu geblieben ist: zur Kenntnis zu nehmen, daß die Opernstars der 30er und 40er Jahre nicht nur auf alten Schallplatten, sondern auch in konkreter Zeitgeschichte am Wirken gewesen sind.