Joseph Wölfl, wie die eigene Namens-Schreibweise lautet, ist unverdient als Komponist bis heute nur einem engeren Kreis von Musikfreunden bekannt, obwohl aus seinem Schaffen in den zurückliegenden Jahren bereits einiges auf CD erschienen ist (2 Symphonien, Streichquartette, Klaviersonaten). Eine im August 2011 gegründete Internationale Joseph Woelfl-Gesellschaft hat sich die Aufgabe gestellt, eine Gesamtausgabe der musikalischen Werke zu veröffentlichen, wozu das vorliegende, in seiner Aufmachung repräsentative Verzeichnis als quellenkundliche Grundlage gedacht ist.
Dem Werkverzeichnis ist eine umfangreiche Biographie in deutscher und englischer Sprache vorangestellt. Hier nur ein kurzer Abriß: Wölfl wurde am 24.12.1773 in Salzburg-Mülln als Sohn eines Spital-Verwaltungsdirektors geboren. Er wurde Violinschüler von Leopold Mozart und Klavierschüler von Nannerl Mozart. Als Kapellknabe der fürstbischöflichen Hofmusik erhielt er wohl auch Unterricht von Michael Haydn. Von 1786-1788 studierte Wölfl an der Salzburger Benediktiner-Universität. 1790 ging er nach Wien. Dort empfahl ihn Mozart als Klavierlehrer an den Fürsten Oginski in Warschau. Daß er selbst Schüler Mozarts war, ist nicht belegt und wenig wahrscheinlich. 1795 kehrte Wölfl nach Wien zurück und trat erfolgreich als virtuoser Pianist und Komponist hervor. Ab 1799 unternahm er ausgedehnte Konzertreisen. In den Jahren 1801 bis 1805 trat er hochgeachtet in Paris mit Opern und Instrumentalkompositionen hervor. Ab 1805 lebte er bis zu seinem frühen Tod am 21. Mai 1812 in London, wo der Hauptteil seiner Werke entstand.
Das Werkverzeichnis, Ergebnis einer weltweit mit bewundernswertem Einsatz durchgeführten Erfassungsaktion, wird durch eine systematische und eine chronologische Liste der Kompositionen eröffnet. Das „Chronologische Werkverzeichnis im Detail“ bringt nach dem Titel ausführliche Incipits, nennt Entstehungszeit, Autograph (wenn nachweisbar), Erstausgaben und unter „Kritische Neuausgabe“ die vorgesehene Werkgruppe in der geplanten Gesamtausgabe in 60 Bänden. Die Frage ist, ob nicht eine Auswahlausgabe leichter realisierbar und ausreichend wäre?
Der Abschnitt „Verzeichnisse“, gemeint sind Fundort oder Fundorte, nennt jeweils die betreffenden Bibliothekssigla mit Signaturen und Titelformulierungen. Von Fall zu Fall werden Verlagsanzeigen, Konzertanzeigen, Aufführungen, Eintragungen in Lexika angeführt. Besonders zu begrüßen ist, wo nach gewiesen, die komplette Wiedergabe zeitgenössischer Rezensionen. Das Verzeichnis nennt 69 Opusnummern, z. T. dazu solche eingeschoben mit Buchstaben-Exponenten, sowie 243 Einträge von Werken ohne Opuszahl (WoO): Der Vermerk „derzeit (bzw. bislang) nicht zugänglich“ findet sich bei 40 Werknummern, „bislang nicht auffindbar“ bei zwei, und „verschollen“ bei fünf Einträgen. Die leicht mißverständlich aufzufassende Formulierung „derzeit nicht zugänglich“ will besagen, daß hier bisher keine Quelle aufgefunden werden konnte.
Das Werkverzeichnis vermittelt einen detaillierten Überblick über das überraschend umfangreiche Schaffen Wölfls. Im Vorwort wird betont, daß es „als Ausweis des status quo der Woelfl-Forschung anzusehen“ ist. Es hätte allerdings übersichtlicher und knapper gestaltet werden können, würde man sich etwa an der Anlage des Köchelverzeichnisses orientiert haben. Einzelstücke oder Bearbeitungen aus größeren Opera und Sammlungen sind unter jeweils eigenen Werknummern verzeichnet und nicht unter der Hauptnummer zusammengefaßt. Nicht wenige Werke erscheinen mit komplettem Incipit doppelt, wie die Trois Quatuors op. 4 (Autograph und Druck Magasin de Koseluch) auch als op. 5a (Druck Hoffmeister), oder mehrfach, wie eine vierhändige Klaviersonate in Ausgaben dreier verschiedener Verlage als op. 17, op. 69 und WoO 63o. Abweichungen, etwa die Hinzufügung von Tempohinweisen in WoO 63o, hätten unter einem einzigen Eintrag vermerkt werden können. Werk-Zusammenhänge werden oft nur durch Nachschlagen deutlich. Nicht genannt ist die Übereinstimmung WoO 109 Vier Walzer mit WoO 31 Nr.1, 3, 10 und 12. Bei den Einträgen erscheinen in WoO sowohl Originalwerke, wie auch Bearbeitungen von Wölfl und solche von fremden Autoren. Eine getrennte Übersicht bietet nur das Systematische Werkverzeichnis.
Auf Details soll hier anstelle einiger Zusätze und Berichtigungen nicht eingegangen werden: Op. 56 b ist zu streichen. Der genannte einzige Nachweis bei Eitner „3 Sonates … oe. 56 [Musikfr. Wien]“ beruht laut Mitteilung vom Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (A-Wgm) offensichtlich auf einem Irrtum. Eitners. Die „Méthode de piano … op.56 ist dort vorhanden. Die Überschrift „Bearbeitungen von WoO 2 für Klavier“ auf S. 215 vor WoO 6a ist zu streichen. Richtig steht sie vor WoO 6b (Aria des Kilian). Bei WoO 6a und 6d handelt es sich nicht um Bearbeitungen für Klavier, sondern um Einzel-Nummern aus der Partitur WoO 6. Eine Einzelanführung erübrigt sich. Ein Eintrag bei WoO 6 würde genügen. Das „Hungarian“-Thema WoO 42a ist identisch mit Op. 34 I,3 (B&H 1807) und Op. 37c I,3 (London, Clementi) sowie mit dem Thema des 2. Satzes von Carl Maria von Webers Andante und Rondo Ungarese für Alt-Viola und Orchester (komp. 1809). Möglicherweise stützten sich Weber und Wölfl auf dieselbe Vorlage. Die identischen Variationen op.38a I,3 und WoO 88 würden im geplanten Neudruck laut Angabe doppelt erscheinen (JWEA VIII/2 und XV/1).
Für zwei „derzeit nicht zugänglich“ bezeichnete Werkeinträge können Fundorte nachgetragen werden: WoO 110 Walzer für Klavier (Druckexemplar 1943: Karlsruhe, Hochschule für Musik) ist identisch mit WoO 31 Nr.1 und WoO 109 Nr.1. Fundort der Sonate à quattre mains … œuvre II, Hummel, WoO 111, ist NL-Uim.
Als lang fällige, verdiente Ehrenrettung für den Komponisten Joseph Wölfl ist das vorliegende Werkverzeichnis der Musikwelt willkommen, von Nutzen gleichermaßen für die Musikpraxis, wie auch die Musikwissenschaft, doch seine Anlage hätte man sich konziser, folgerichtiger und damit überschaubarer gewünscht.
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