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Lehrer und Schüler an die Hand genommen

Untertitel
Ein neues Werk zur Gesangspädagogik beschreibt das große Thema Singen als Erfahrungsweg
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Renata Parussel: Die funktionale Gesangspädagogik, Die Rabine-Methode, September 2001, 175 Seiten, € 35,80 ISBN: 3-8311-2596-1

Renata Parussel: Die funktionale Gesangspädagogik, Die Rabine-Methode, September 2001, 175 Seiten, € 35,80 ISBN: 3-8311-2596-1 Ein mutiges Buch, das von reicher Erfahrung getragen ist – das ist der Haupteindruck dieses beachtlichen Werkes, das deutlich aus den inzwischen zahlreichen Veröffentlichungen zum theoretischen und pädagogischen Umfeld des Singens herausragt. Herausragt vor allem deshalb, weil es die Beziehung Lehrer – Schüler sehr genau unter die Lupe nimmt und weitgehend sehr konsequent neu definiert. Es nimmt Lehrer und Schüler – denn für beide ist es spannenderweise gleichermaßen geschrieben – liebevoll an die Hand und beschreibt das große Thema Singen nicht mit kalten, distanzierten, zu lernenden „Richtigkeiten“, sondern als Erfahrungsweg. Und bei diesem Weg sind Schüler und Lehrer ein Paar, das gemeinsam Erfahrungen macht. Der Lehrer weiß zwar mehr und hat auch mehr Erfahrung, aber der Unterricht darf, und das ist die entscheidende Hauptthese des Buches, niemals ein Monolog sein, niemals eine asymmetrische Beziehungsstruktur „der eine weiß, der andere nicht“ aufweisen. Denn das „missachtet die sensible und kreative Persönlichkeit des Schülers“, der dabei lediglich ein „Objekt der Formung“ ist.

Grundsätzlich empfiehlt das Buch größte Vorsicht bei Nachahmungen oder Klischees, denn Erfahrungen müssen von jedem Einzelnen selber gemacht werden, sowohl vom Schüler als auch vom Lehrer. Und die Verantwortung des Lehrers ist groß. Parussel steht bei allem Verständnis für den Lehrer eindeutig aufseiten des Schülers, denn um seine Entwicklung geht es ja und seine persönliche Integrität hat stets im Vordergrund zu stehen. Die Autorin spricht im Zusammenhang mit schlechtem Unterricht von psychischem und körperlichem Missbrauch. Sie findet in einem Abschnitt, der an den Schüler gerichtet ist, klare und unmissverständliche Worte, die allerdings auch vom Schüler ein waches (und verändertes) Bewusstsein fordern: „Lieber Schüler, du hast dich blenden lassen durch Empfehlungen Dritter und dich nicht von deiner Intuition leiten lassen.(...) Du hattest den Hauptschlüssel in die Hände eines anderen Menschen gelegt. (...) Wie viele Jahre Arbeit kostete es dich, ... aufs neue in Kontakt mit deinem Talent zu kommen!“ Die Rolle des Gesanglehrers ist für die Autorin klar definiert: „Den perfekten Gesanglehrer gibt es nicht. Es gibt nur den Menschen, der mich respektiert als Mensch und mir Orientierung gibt und zum Anwalt meines Gesangs wird, bis ich in der Lage bin, es selbst zu sein.“

Als angenehm und den Charakter des Buches sehr bestimmend empfindet man beim ersten Durchblättern, dass fast keine Frequenzkurven, Tabellen, Flussdiagramme unter anderem abgedruckt sind; lediglich einige aufs Wesentliche reduzierte Grafiken unterstützen optisch das im Text Gesagte. Das Inhaltsverzeichnis macht neugierig. „Die Gesangspädagogik braucht neue Beziehungsformen“, „Der Dialog in den Übungen“ oder „Der Sänger findet seine Identität“ zeigen den neuen Denkansatz. Natürlich äußert sich die Autorin bei der Darstellung der Grundzüge der Rabine-Methode, ein weiterer Hauptaspekt des Buches, zu Atmung, Vokaltrakt, Kehlkopf, zur Verwendung von Bildern oder zur pädagogischen Systematik. Und es macht Spaß, das Buch dann irgendwo aufzuschlagen und anzufangen zu lesen. Die Darstellung ist interessant gemacht, man findet den Grundgedanken im Text dargestellt und fundiert und verständlich erläutert, daneben dann aber auch gleich „Briefe“ an den Schüler und den Lehrer („Lieber Schüler“ und „Lieber Lehrer“ überschrieben), die das Thema aus anderer Sicht noch einmal aufgreifen. Und das nicht belehrend von oben herab, sondern liebevoll unterstützend auf gleicher Ebene. Auch fließen, wie die Autorin schreibt, die Erfahrungen der Würzburger Gesanglehrergruppe „Voice“ ein. Die Gruppe trifft sich seit zehn Jahren wöchentlich, um gemeinsam mit den Schülern Konzerte zu veranstalten, zu musizieren und Unterrichtsstunden gemeinsam zu beobachten, die Pädagogik und die Schülerentwicklungen gemeinsam zu diskutieren, kurz, Intervision auf hohem Niveau langfristig zu betreiben. Entstanden ist diese Gruppe aus den Ausbildungsseminaren von Professor Eugen Rabine, Weimar, dem Begründer der funktionalen Gesangspädagogik, der auch das Vorwort zu dem Buch beisteuerte. Rabine legt den Absolventen seiner vierjährigen berufsbegleitenden Ausbildung zum „Certified Rabine Teacher“ (CRT) sehr ans Herz, den weiteren Entwicklungsweg als Gesanglehrer gemeinsam mit anderen zu beschreiten. So entstand unter anderem die Gruppe in Würzburg, aus deren Erfahrung viel in das Buch einfließt. Neben vielen interessanten und spannenden Denkanstößen, Anekdoten, Fragen und sehr persönlichen und auch emotionalen Stellungnahmen der Autorin enthält das Buch unter anderem ein umfängliches Glossar, das die verwendeten Fachausdrücke erläutert. So entsteht eine klare Begriffsbildung und damit eine gemeinsame Sprache.

Mit einer gewissen hämischen Freude liest man im Kapitel über die Verwendung von Bildern, welche falschen Bilder von all den anderen Gesanglehrern verwendet werden, selbstverständlich nie von einem selbst. Damit man sich aber auch wirklich an der eigenen Nase fassen kann und das Ganze keine billige Polemik wird, hat die Autorin sehr anschaulich begründet, was die Wirkung eines Bildes ist und warum seine Verwendung in welchem Zusammenhang sinnvoll ist oder auch nicht.

Insgesamt ist es ein lesenswertes Arbeitsbuch sowohl für den Lehrer als auch für den Schüler. Ein Buch, das man aufgrund seines neuen Ansatzes, seiner zeitgemäßen Darstellung und seiner von der Liebe zum Schüler und zur Kunst getragenen Durchdringung des umfänglichen Fachgebiets immer wieder gern zur Hand nehmen wird.

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