Bernhard König: Musik und Klima, oekom Verlag/ConBrio Verlagsgesellschaft, München/Regensburg 2024, 518 S., € 36,00, ISBN 978-3-949425-04-2
Mit Musik die Welt retten?
Im gesamten Kulturbereich sowie in der Kulturpolitik gab es in den letzten Jahren auf verschiedenen Kommunikationsebenen zahlreiche Debatten um die Frage der Verantwortung angesichts der ökologischen Krise. Viel wurde und wird geredet, diskutiert – über kulturelle Nachhaltigkeit, Emissionsvermeidung oder ökologisches Verhalten innerhalb der Musikbranche. Aber ein Buch, das sich ernsthaft damit auseinandersetzt, inwiefern die Musikkultur tatsächlich von der Klima- oder besser ökologischen Krise betroffen ist und wie dieser durch reale Modelle einer Neustrukturierung des Musiklebens begegnet werden kann, gab es bisher – zumindest im deutschsprachigen Raum – nicht. So ist dem Komponisten Bernhard König nicht nur ein längst überfälliges Buch zu danken, sondern mehr noch eines, das sich dieser wahrhaft brennenden Thematik in einem umfassenden Nachdenkraum annimmt. Denn, wie König Vertreter des Club of Rome zitiert, geht es um nicht weniger als um die „radikale Neusichtung der Leitlinien unserer Zivilisation“ (S. 375).
Der schlichte Titel des Buches mit dem Reizwort unserer Zeit, „Musik und Klima“, verbirgt allerdings nicht nur den umfassenden inhaltlichen Radius und Anspruch, dem sich Bernhard König gestellt hat, sondern verbirgt auch seinen Erkenntnisgewinn. Schade, hier hätte man sich vom Verlag Adäquateres gewünscht. Im Kontext der vielfältigen Erscheinungen der Umweltkrise – von Artensterben und Gletscherschmelze über klimabedingte Flüchtlingsströme bis zu naturwissenschaftlichen und politischen Debatten um Wachstum und Suffizienz – diskutiert König die Notwendigkeit und Konsequenzen menschlichen Handelns innerhalb musikkultureller Prozesse. Das Literaturverzeichnis ist dementsprechend bewundernswert immens und divers. In vier Teilen – „Kann Musik die Welt schöner machen?“, „Können Töne etwas ausrichten?“, „Braucht Musik Wachstum?“ und „Können wir uns ändern?“, jeweils untergliedert in fünf beziehungsweise Letzteres in drei Kapitel, geht er zentralen Fragestellungen nach wie: Ist Musik Teil des (Wachstums)Problems oder wäre auch hier Suffizienz eine Lösung? Bedroht die ökologische Krise das musikalische Erbe? Kann Musik zur Lösung der Klimakrise beitragen? Dabei geht es ihm allerdings nicht um die Musik als Kunstform, sondern um erforderliche Veränderungen der Musikkultur, entwickelt aus der Perspektive der Suffizienz-Theorie.
Bemerkenswert ist, dass ein solches Buch nicht aus der Musikwissenschaft kommt, sondern von einem Komponisten. Von einem, der sich schon vor Jahren entschlossen hat, aus dem Neue-Musik-Kreislauf auszusteigen. Wohl gerade weil er den Wald trotz lauter Bäumen im Blick behalten hat, ist Bernhard König als Autor für ein solches Buch prädestiniert. Seit vielen Jahren widmet er sich der Anwendung zeitgenössischer Musik, ob durch Musiktheaterarbeit mit Behinderten und Kindern, Musizieren mit alten Menschen oder durch die Organisation des interreligiösen Kulturdialogs zwischen Christen, Muslimen und Juden in dem von ihm initiierten Verein TRIMUM.
Eine zentrale Frage des Buches lautet denn auch: Muss Musik angesichts der Umbrüche durch die Umweltkrise nicht auch wieder nützlich sein? Entsprechend des für das Buch typisch offenen Diskussionscharakters gibt es aber ebenso das Kapitel „Schützenswerte Freiheit“ – nämlich von Kunst. Dazu kommt, dass sich König seit mindestens fünf Jahren innerhalb der Klimakommunikation für die Musik engagiert: publizistisch, medial, organisatorisch in der Klima-Allianz Deutschland, mit landesweiten Workshops wie auch Musikprojekten. Als Startschuss dazu kann sein Aufsatz „Monteverdi und der Klimawandel“ von 2019 in dieser Zeitung bezeichnet werden.
„Musik und Klima“ ist als ein Buch konzipiert und geschrieben, das sich an möglichst viele Menschen richtet. Dieser Anspruch der Allgemeinverständlichkeit hat seine Vorzüge, aber auch Nachteile. So ist mit „Musik und Klima“ kein Fachbuch aus autoritärer Perspektive entstanden, sondern ein grundehrlicher Bericht aus persönlicher Betroffenheit. Daraus resultiert eine Erzählform, die eine möglichst breite Leserschaft ansprechen möchte. Ob die jedes Kapitel eröffnende Parabel vom kleinen Raubtier dabei allerdings hilfreich ist, bleibt sicher abzuwarten. Auch hätte ich mir angesichts der Bedeutung des Themas mehr erzählerische Fokussierung und Stringenz gewünscht. Aber durch Königs Schreibstil, der das Für und Wider seiner Argumentation erörtert, auch die Lücken seines eigenen Wissens offenlegt, werden die Leser zu ebenbürtigen Partnern eines keineswegs abgesicherten Erkenntnisgewinns, an dessen Unvollkommenheiten und Zweifeln der Autor sie teilhaben lässt. Das Buch besticht durch diese Wahrhaftigkeit.
Andererseits erhalten durch diesen Wunsch nach Allgemeinverständlichkeit ästhetische Kriterien wie „schön“ und „hässlich“ eine Dominanz, die für Musik und Kunst des 21. Jahrhunderts kaum noch Verbindlichkeit besitzen. Die sich bis zum Schluss des 518 Seiten starken Buches durchziehende Frage: „Kann Musik die Welt schöner machen?“, unterbindet ein Weiterfragen, was Musik – als Kunst – in diesen Zeiten der Ökologischen Krise tatsächlich leisten könnte und kann? Denn zweifellos verfügt die zeitgenössische Musik als Kunstform über ureigene musikalische Strategien und Kommunikationsfähigkeiten, um innerhalb der Klimatransformation zu einer wichtigen Stimme zu werden.
Zwei Überlegungen erscheinen mir in diesem Buch besonders wertvoll. Angesichts der Notwendigkeit, das „Verhältnis zwischen Menschsein und Weltsein“ (Andreas Weber) neu auszurichten, betreffen diese: erstens die Anregung zu eine neuen, zeitgemäßen Musikästhetik und zweitens zur Umstrukturierung des Musiklebens. Für eine Musik im Anthropozän des 21. Jahrhunderts schlägt König, angelehnt an den Philosophen und Soziologen Hartmut Rosa, den Begriff der „Resonanzästhetik“ vor; Musik selbst wird dann zum Resonanzraum kulturellen Handelns. Beides erscheint König unumgänglich, um erforderliche Reaktionen auf die Umweltkrise innerhalb von Musikkultur beschreiben und umsetzen zu können. Eine Resonanzästhetik wäre eng mit der Etablierung von offenen Räumen in Stadt und Land verbunden, in denen Musikmachen zum Anlass und Vehikel des Zusammenkommens, der Interaktion und des Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität, Religion und kultureller Herkunft wird. Wenn diese durch musikalische Aktionen und in wertfreier Resonanz zueinander und miteinander in Verbindung treten, würde daraus per se Vielstimmigkeit und Heterogenität resultieren.
Tritt an die Stelle von Wachstum, das auch das Musikleben bis heute prägt, Resonanz, könnte das zu einer neuen Lebendigkeit der gesamten Musikkultur führen. König skizziert, welche Bedeutung dabei sowohl Schulen und Musikschulen, das Chorwesen, die regionale Laienmusik und Musikhochschulen erhalten würden als auch die kommerzielle Musikkultur. Denn ein Resonanzverhalten stellt Gemeinschaftlichkeit, Zuwendung, Teilhabe, Vielstimmigkeit oder neue Interaktionsformen in den Mittelpunkt. Konzert- und Opernhäuser verwandelten sich als „Community-Häuser“ zu urbanen Begegnungsstätten, „in denen sich der kulturelle Reichtum der jeweiligen Stadt widerspiegelt“ (S. 430). Oder die Freie Musikszene könnte mit „Laboren zur Suffizienz“ (S. 436) zum Impulsgeber des ökologischen Wandels werden.
Bernhard Königs Buch ist für die abendländische Musikkultur ein Zukunftsentwurf, der das Potenzial hat, aktuelle Stagnationen zu überwinden. Es liegt nun an den Kulturverantwortlichen, diese Ideen aufzugreifen, umzusetzen und lebendig werden zu lassen, damit auch die Musik zu einem Teil der gesamtgesellschaftlichen Transformation werden kann.
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