Doris Geller: Modulationslehre, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2002, 72 S., € 11,50, ISBN 3-7651-0368-3
Harmonielehre, Kontrapunktlehre und Tonsatz gehören zu den weniger beliebten, häufig isolierten, defizitären und Prüfungsangst verbreitenden musikalischen Disziplinen. In ihrer Modulationslehre befreit Doris Geller die Musiktheorie aus ihrem Ghetto-Dasein, indem sie die komplette Harmonielehre akribisch aufarbeitet, in den gesamtmusikalischen Kontext stellt und so tatsächliches musikalisches Verständnis weckt.
Die klare und transparente Gliederung folgt den drei klassischen Modulationsarten, nämlich „diatonisch“, „enharmonisch“ und „chromatisch“. Andere Varianten wie die „tonzentrale Modulation“ (nach Haba), Möglichkeiten einstimmiger Tonartwechsel oder die bekannte Dur-Moll-Durchlässigkeit einiger Akkorde sind hier thematisiert. Ein eigenes Kapitel über die vielfältigen Spielarten und Verwandtschaftsgrade freier Terzverwandtschaft und Mediantik wäre wünschenswert gewesen. Kapitel vier entfaltet Modulationen in tonalen und realen Sequenzen. Als besonders wichtiges und schlüssiges Modell musikalischer Formung findet die weitverbreitete barocke Quintfallsequenz besondere Beachtung.
Komplementär zur grob gerasterten Gliederung analysiert Geller die einzelnen Bausteine und Strukturen verschiedener Modulations-Modelle in feinsten Nuancierungen und erschöpfender Vielfalt. Dabei verliert die Mannheimer Professorin niemals den Blick für den Zusammenhang: harmonische Strukturen als Schlüssel für das Gesamtverständnis. Auch aus diesem Grunde besetzt sie ebenso wichtige wie zum Teil verwaiste Schnittstellen: zwischen Theorie und Praxis beziehungsweise Notenblatt und Instrument, zwischen strengem Satz und freier Improvisation, zwischen musikalischem Extrakt und lebendigem Kunstwerk. Dabei kommt dem Klavier eine besondere Bedeutung zu – nicht zuletzt getreu der bedeutsamen anthropologischen These „vom Greifen zum Be-Greifen“.
Auf 72 Seiten kann vieles nur skizziert und angedacht werden. Wertvolle Anregungen ermutigen zu weiterführenden, vertiefenden Studien und keinesfalls zu Kritik. Ein wenig getrübt wird das positive Bild durch einige inhaltliche und terminologische Unschärfen sowie sprachliche Mängel.
In einer chromatischen Modulation „verliert die Funktionalität“ nicht zwangsläufig „an Bedeutung“ (verbreitet: dominantische Wirkung durch „künstlichen“ Leitton). Ebenso wenig zwingend „haben die Verbindungen Rückungscharakter“ (S. 46). Im Gegenteil: Häufig anzutreffende Kombinationen aus chromatischen und diatonischen Fortschreitungen und liegenden Stimmen garantieren eine hohe melodische und harmonische Kontinuität.
Fazit: Trotz kleinerer Einschränkungen ist das Buch empfehlenswert: als profunde und gezielte Hilfe bei Prüfungsvorbereitungen in Harmonielehre und Tonsatz, als solide Basis für aufbauende und vertiefende Studien in freier Improvisation und Liedbegleitung, Formenlehre und Analyse oder historisch-stilistischer Differenzierungen im Sinne von Diether de la Motte, Thomas Krämer oder Ulrich Kaiser.