Braucht Musik Vermittlung? Welche Musik braucht Vermittlung? Welche Vermittlung braucht Musik? Sollte sich jemand mit diesen Fragen auseinander setzen, so kann das Buch „Neues Hören und Sehen“ eine interessante Lektüre darstellen. Es kann allerdings sein, dass dabei weniger Antworten gefunden als viel mehr weitere Fragen aufgeworfen werden.
2008 startete die Kulturstiftung des Bundes das Projekt „Netzwerk Neue Musik“. Ziel war es, einen Fokus auf Neue Musik zu richten und ihre Präsenz im Kulturleben zu stärken. Auch junge Hörer sollten akquiriert und als Publikum gewonnen werden. Netzwerk Musik Saar war eines der 15 bundesweit ausgewählten Partner, die sich beteiligt haben. Das Projekt „strukturwandel – neues hören und sehen“ hat sich in vielfältiger Form im Bereich der Konzert- und Musikvermittlung engagiert und umfassend unterschiedliche pädagogische Initiativen gestartet, um Neue Musik jungen Hörern nahe zu bringen.
An der Hochschule für Musik Saar fand im September 2011 eine Tagung statt, die sich dem Thema „Vermittlungskunst“ widmete. Die Hochschule kooperierte hierfür mit dem Verband deutscher Schulmusiker Saar und der Hochschule für Künste in Bremen. Schwerpunkt der Tagung war es, Gelingen und Qualität pädagogischer Initiativen sowie ihre Nachhaltigkeit zur Vermittlung Neuer Musik zu diskutieren und zu reflektieren. Das vorliegende Buch enthält die Tagungsbeiträge und wurde durch Texte zur Reflexion weiterer Programmteile von „strukturwandel“ ergänzt.
Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis des Buches gibt bereits einen entscheidenden Eindruck zur Publikation: Über 20 Autoren berichten vom Gelingen und Misslingen unterschiedlicher Projektinitiativen, die sich um den Brückenbau zwischen jungen Hörern und Neuer Musik bemühten. Sie erzählen von engagierten Schülerinnen, Schülern, Jugendlichen und Kindern, die Werke zeitgenössischer Komponisten hörten oder selbst musizierten, Klangobjekte kreierten, selber komponierten, improvisierten, tanzten, mit Komponisten und Orchestern ins Gespräch gingen, in Verbindung mit Bildender Kunst traten, den Einsatz von Medien (Video, Audio) erprobten und vieles mehr. Die Zielgruppen waren unterschiedlich: Azubis der Mechatronik, Kindergartenkinder, Jugendliche und Schüler unterschiedlicher Schularten – ein Querschnitt junger Ohren aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen mit und ohne musikalischer Vorbildung. Manche Projekte waren auf eine Präsentation ausgerichtet, andere blieben im Klassenzimmer prozessorientiert. Auch die Bandbreite an Kooperationspartnern zeigt jede Menge Kreativität – etwa das SWR Sinfonieorchester, Opernhäuser, Konzerthäuser, Musikfestivals. Die Vielfalt ist beeindruckend.
Interessant ist es, die unterschiedlichen Fragestellungen und Ausrichtungen der Projekte zu ergründen. Wiedererkennungseffekte zu erzielen, Neugier und Interesse zu wecken gehörten zu den Zielsetzungen. Hemmschwellen sollten überwunden und experimentelle Erfahrungen ermöglicht werden. Oft ging es aber auch um eine Auseinandersetzung mit Lebenswelten, Fragen nach Abgrenzungen etwa zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Die Berichte der Projekte werden ergänzt durch Texte zur Historie und zur Frage nach der Qualität von Musikvermittlung.
Bei der Beurteilung der Qualität der Projekte und beim Ermessen von Nachhaltigkeit wird es allerdings schwierig. Werden finanzielle Weichen gestellt, um ein Projekt durchzuführen, so reicht das Budget meist zur Durchführung gerade aus. Eine weitreichende wissenschaftliche Evaluation ist weder personell noch finanziell zu stemmen. Bei der Frage der Nachhaltigkeit kommt als weitere Problematik hinzu: bräuchte es nicht eine Langzeitstudie, um ein nachhaltiges Interesse der heranwachsenden Ohren an zeitgenössischer Musik festzustellen?
So werden die Qualitätsfragen meist auf der Ebene der subjektiven Wahrnehmung der Projektleitenden und ihren Kooperationspartnerinnen und -partnern diskutiert. In ihren Beiträgen trauen sie sich auch, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen. Das macht die Projekte und ihre Leiterinnen und Leiter sympathisch und gibt den Veranstaltungen Bodenständigkeit.
Eine bessere Struktur der Inhalte wäre dem Verständnis der Lektüre zuträglich. Viele Puzzleteile ergeben ein sicher noch nicht vollständiges Bild eines Bemühens, das gleichzeitig grundsätzlich hinterfragt wird. Der Leser kann dennoch jede Menge Ideen erhalten, wie sich ein Projekt zur Vermittlung Neuer Musik gestalten lässt und Anregungen für neue Vorhaben bekommen.
Michael Dartsch, Sigrid Konrad, Christian Rolle (Hg.): Neues hören und sehen… und vermitteln. Pädagogische Modelle und Reflexionen zur Neuen Musik (Schriftenreihe Netzwerk Musik Saar, Bd. 7), ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 2012, 228 S., € 19,00, ISBN: 978-3-940768-34-6