Briefwechsel Arnold Schönberg – Alban Berg, hrsg. v. Juliane Brand, Christopher Hailey u. Andreas Meyer (Briefwechsel der Wiener Schule, Bd. 3), Schott, Mainz u. a. 2007, 2 Bde., LII, 657 S., XIII, 655 S., Abb., € 69,95, ISBN 978-3-7957-0546-6
Als gälte es, keine Zeit zu verlieren: „Lieber Herr Berg, ich freue mich, dass Sie sich ordentlich erholt haben. Nun recht fest an die Arbeit, und bald!“ Mahnende Worte des Lehrers an den Schüler. Arnold Schönberg schreibt an Alban Berg.
Es ist der Beginn eines in mehrfacher Hinsicht faszinierenden Briefwechsels. Die ersten vier Jahre dieser von 1906 bis 1935 dauernden Kommunikation enthalten meist Spärliches, Terminabsprachen, Honorarforderungen, Einladungen. Dann, Mitte Juni 1911, wird Berg erstmals ausführlicher, er gestattet Einblicke ins Private; klagt über Asthma, das ihn sein Leben lang plagen sollte; berichtet von seiner Lektüre der Wagner’schen Autobiographie, die er „ein Denkmal unerhörtester Künstlerleiden“ nennt. Eine Antwort des Meisters auf diese Bekenntnisse hat sich nicht erhalten. Bezeichnend daher Bergs Eingeständnis wenige Wochen später: „Verzeihn Sie, lieber, verehrter Herr Schönberg die umständlichen Sätze, die kein Ende nehmen.“ Zweierlei wird hier deutlich: Bergs ehrliche, in den Folgejahren fast bedingungslose Begeisterung, ja sein Gehorsam gegenüber Schönberg, und die Erkenntnis, dass sein Stil, seine Ausführungen zur Weitschweifigkeit neigen.
Für Alban Berg bieten die Briefe eine Art von essayistischer Plattform, hier breitet er aus, was er auszusprechen sich nicht traut. Das geschriebene Wort wird ihm zum Medium der Selbsterkundung, hier öffnet er die Tore zu seiner Gedankenwelt, hier kann er seinen Hang zum Grübeln ausleben. Schönberg dagegen ist ein völlig anderer Typ von Briefschreiber. Mit knorriger Kürze, mitunter in noblem Befehlston geht er auf Bergs Impulse ein. Schönberg folgt meist dem Gebot der Knappheit, er konzentriert sich aufs Wesentliche: „Mir sollte man es, wenn ich einen Brief schreibe, so anrechnen, wie ich sage, dass man es einem Reichen anrechnen soll, wenn er etwas gibt (…). Einem Reichen ist es eine sehr große Ueberwindung und macht ihm gar kein Vergnügen.“
Es sind alles in allem 810 Dokumente – Briefe, Telegramme, Postkarten –, die die Herausgeber zusammengetragen und auf glänzende Weise kommentiert haben. In mehr als 2.100 Anmerkungen, die nicht gebündelt im Anhang, sondern benutzerfreundlich am jeweiligen Seitenende als Fußnoten platziert wurden, finden sich die wichtigsten Erklärungen: Namen, Datierungen, Verweise, Werkbezeichnungen. Die editorischen Verdienste von Juliane Brand, Christopher Hailey und Andreas Meyer erstrecken sich auch auf das knapp 50-seitige Vorwort und auf den Anhang mit einem umfassenden, biographisch erklärenden Personenverzeichnis sowie einem Register.
Dieser Briefwechsel lässt uns nicht nur in die Erfinderköpfe zweier Komponisten schauen, sondern liefert zugleich Erkenntnisse über den damaligen Zeitgeist, über das kulturelle Leben in Wien (etwa die mentalitätsprägende Bedeutung von Kaffeehäusern), aber auch über das Ausgeliefertsein gegenüber der politischen Entwicklung der 30er-Jahre. Aus seinem amerikanischen Exil schreibt Schönberg Anfang 1935, dass er einen Entwurf zur „Gründung eines ‚Schutzbundes für geistige Cultur’ entworfen“ habe, eine Art Verteidigungsbündnis, das von einem „Kampffond“ genährt werden soll: „Denn es scheint ums Ganze gehen zu sollen! In allen Ländern! Wie nach der Niederwerfung der Französischen Revolution, wo es 50 Jahre gedauert hat, bis zum Sieg des Liberalismus. Es scheint, dass wir etwas Ähnliches erleben sollen!“
Längst hat sich das Verhältnis der beiden gewandelt, die Zeit der Entfremdung nach November 1915 ist überwunden, aus der Lehrer-Schüler-Beziehung hat sich eine innige Freundschaft entwickelt, die sich nicht nur in der Wendung zum „Du“ niederschlägt. Zwar bleibt auch jetzt Berg der Redseligere, doch auch Schönberg ist zu größerer Offenheit fähig, bereit, seinen Kollegen als Partner anzuerkennen. Zu Bergs 50. Geburtstag schreibt der elf Jahre ältere Schönberg: „Du, der als einziger unserer Sache allgemeine Anerkennung zu gewinnen imstande warst. Es ist unsere gemeinsame Sache“. Dies ist wohl mehr als nur eine Replik auf Alban Bergs Widmung seiner „Lulu“ an Schönberg: „Nimm sie, bitte, nicht nur als ein Produkt jahrelanger, Dir zu innerst geweihter Arbeit entgegen, sondern auch als eine Dokumentierung nach außen hin: die ganze Welt – und auch die deutsche – soll in der Zueignung dieser Deutschen Oper erkennen, daß sie – wie mein ganzes Schaffen – beheimatet ist in dem Bezirk deutschester Musik, das für ewige Zeiten Deinen Namen tragen wird.“ Schönberg ahnt, nachdem er auch in den Vereinigten Staaten erfahren hat, dass dort eine Grundskepsis gegenüber seiner Musiksprache herrscht, wie schwer sich seine Werke auch künftig verbreiten lassen. Ein wenig trotzig bekennt er 1934: „Ich weiss seit langem, dass ich Verbreitung des Verständnisses für mein Werk nicht erleben kann und meine vielgerühmte Standhaftigkeit ist eine Zwangslage und stützt sich auf den Wunsch, es dennoch zu erleben. Ich habe mein Ziel weit genug gesteckt, um sicher zu sein dass Widerstrebende und selbst Entgegenstrebende einmal dorthin gelangen müssen.“
Dieser Briefwechsel, Teil der großen Edition „Briefwechsel der Wiener Schule“, ist ein großer Wurf, ein Meilenstein in der Musikgeschichtsschreibung, zumal ein Großteil der hier versammelten Dokumente bislang unzugänglich war – eine teils beklemmende, gelegentlich erheiternde, mal verkrampfte, zunehmend aber unbefangenere, aber immer sehr menschliche Innenschau zweier unterschiedlicher Künstler, die gemeinsam gerungen haben: miteinander und füreinander.