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Unter den Vorzeichen einer neuen Ästhetik

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Musik, Neue Sachlichkeit und die Problematik der Gattungszuordnung
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Der spektakuläre Erfolg der 1927 in Leipzig uraufgeführten Oper „Jonny spielt auf“ beruht vor allem auf der Vermittlung eines Amerika-orientierten Lebensgefühls der 20er-Jahre, das Ernst Krenek auf die Bühne transportierte. Diese persönliche Erfahrung, dass Musik schlagartig eine breite Öffentlichkeit erreicht, führte Krenek auf eine zunehmend veränderte Einstellung der Komponisten zur Außenwelt zurück, ein Phänomen das mehr oder weniger verbindlich dem Schlagwort „Neue Sachlichkeit“ zugeordnet wird.

Nils Grosch: Die Musik der neuen Sachlichkeit, Metzler Verlag, Stuttgart 1999, 288 Seiten, 68 Mark. Der spektakuläre Erfolg der 1927 in Leipzig uraufgeführten Oper „Jonny spielt auf“ beruht vor allem auf der Vermittlung eines Amerika-orientierten Lebensgefühls der 20er-Jahre, das Ernst Krenek auf die Bühne transportierte. Diese persönliche Erfahrung, dass Musik schlagartig eine breite Öffentlichkeit erreicht, führte Krenek auf eine zunehmend veränderte Einstellung der Komponisten zur Außenwelt zurück, ein Phänomen das mehr oder weniger verbindlich dem Schlagwort „Neue Sachlichkeit“ zugeordnet wird. Seit Mitte der 20er-Jahre kursiert der Begriff „Neue Sachlichkeit“ in verschiedenen Kunstbereichen – gefasst wird weniger spezifisch künstlerische Produktion, als vielmehr der herrschende Zeitgeist gesellschaftlicher und kultureller Aufbrüche. Ihren Ursprung nimmt die Neue Sachlichkeit in der bildenden Kunst, als unter selbiger Namensgebung 1923 in Mannheim Gustav Hartlaub eine Ausstellung jener Kunstrichtungen zusammenstellt, die sich stilistisch nicht mehr mit dem Expressionismus in Verbindung bringen lassen. Doch welche Musik lässt sich der Neuen Sachlichkeit zuordnen? Musikkritiker entfachen seinerzeit facettenreiche Diskussionen – zu einem einheitlichen Begriffsverständnis kommt es nicht.

Nils Grosch hat sich in einer umfassenden Studie mit dieser bislang wenig beachteten Phase deutscher Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auseinander gesetzt. Hier wird deutlich, dass der musikwissenschaftliche Blick primär eine gesteigerte Funktionalisierung von Musik konstatiert, die Bedeutung der Rezeption aber weitgehend ausblendet. Ideellen Ausgangspunkt für das Komponieren in den 20er-Jahren birgt die Einbeziehung von Publikum und Öffentlichkeit – die in der deutschen Romantik wurzelnde Ästhetik individualistischer Kunst bildet nicht mehr den Nährboden musikalischer Produktion, vielmehr sehen sich die Komponisten mit einer populär werdenden Form von Massenkultur konfrontiert. Auch in der Musik weicht der auf Ausdrucksintensität zielende Werkbegriff einer verstärkten Wechselbeziehung zwischen Musik und Publikum, ohne sich vom Kunstanspruch wirklich distanzieren zu wollen.

Ins zentrale Blickfeld konkreter Analyse rückt Grosch Komponisten der Berliner Novembergruppe, die sich als eine der einflussreichsten Künstlervereinigungen der Weimarer Republik 1918 formiert. Max Butting, Hanns Eisler, Ernst Toch, Kurt Weill und andere belegen den Bruch mit tradierten Formen von Kompositionsverständnis, Wahrnehmung und Wirkung. Unter den Vorzeichen einer neuen Ästhetik wird nicht mehr für den Konzertbetrieb komponiert, das Spektrum sogenannter Gebrauchsmusik umfasst Theater-, Radio- und Filmmusik, Arbeiterlieder und Agitprop. Die Lektüre reizt um so mehr, als der Autor jede nähere Werkbetrachtung vor dem Hintergrund ihrer politischen wie sozio-kulturellen Rahmenbedingungen anschaulich darstellt.

Das Genre Zeitoper, in der sich die ästhetischen Ideen der Neuen Sachlichkeit als Assoziation von Gegenwart und Realität am deutlichsten verbinden, diskutiert Grosch anhand von Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ und Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ Nachgespürt wird der musikhistorischen Tragweite dergestaltigen, von der Operette inspirierten Theaters hinsichtlich ihrer stilistischen Merkmale und Wirkungsweise. Obwohl die Zeitoper Hitlers kulturpolitischen Restriktionen zum Opfer fällt, ist nicht zu vergessen, dass mit ihr die Grundsteine der amerikanischen Musicalkultur gelegt werden.

Am 17. Januar 1929 wird Franz Schrekers Suite für Kammerorchester überregional im deutschen Rundfunk gesendet – sie markiert zugleich den Beginn einer Reihe von zahlreichen Rundfunk-Kompositionsaufträgen, die unter anderem an Kurt Weill, Paul Hindemith, Eduard Künnecke oder Ernst Pepping vergeben wurden.

Ein sogenanntes radiophones Komponieren berücksichtigt charakteristische Strukturen von Hörverhalten, kennt aber keinerlei übergreifende spezifische Merkmale, wie der dritte Teil in Groschs Studie aufzeigt. Diese Form der Anbindung von Musik an eine breite Öffentlichkeit zielt auf eine massenkommunikative Ästhetik des Komponierens.

Die vorgestellten Beispiele originaler Rundfunkkompositionen verdeutlichen zugleich die Problematik einer Gattungszuordnung, werden doch die Dimensionen musikalischer Wahrnehmung durch das Medium Rundfunk von den Komponisten in unterschiedlichen Kontexten reflektiert.

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