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Verfertigung einer Faszination

Untertitel
Dieter Hildebrandt hat den ewigen Kassenschlager „Ode an die Freude“ gründlich untersucht
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Dieter Hildebrandt: Die Neunte. Schiller, Beethoven und die Geschichte eines musikalischen Welterfolges, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2005, 367 S., Abb., € 24,90, ISBN 3-466-20585-3

Sie mobilisiert die Massen, ob in China, Bad Münstereifel oder New York. Wo Beethovens Neunte auf dem Programm erscheint, geraten die Menschen in Festtagsstimmung, schwärmen aus, um dem Ereignis beizuwohnen. Die Neunte tönt überall, als Europahymne oder auf dem Handy. Musik wird Kult. Musik wirkt wie Mode. Doch ist sie zeitlos. Was ist dran an diesem Zauber um die „Ode an die Freude“?

Verwundertes Kopfkratzen

Analysen und Untersuchungen zu diesem Thema sind so alt wie die Neunte selbst. Schon bei der Uraufführung kratzten sich einige verwundert den Kopf: eine Sinfonie mit Chor und Solisten? Aus den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind zwei umfangreiche Arbeiten zu erwähnen. Sechs Jahre nach Andreas Eichhorns Studie „Beethovens neunte Symphonie. Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption“ erschien 1999 in Frankreich ein Buch unter dem Titel „La Neuvième de Beethoven. Une histoire politique“ – Beethovens Neunte, eine politische Geschichte. Darin zeichnete der Musikwissenschaftler Esteban Bach die Geschichte dieser Sinfonie von ihren Anfängen über ihre Rezeption bei Berlioz und Wagner bis hin zur Umformung durch Lenny Bernstein 1989 als „Ode an die Freiheit“ nach.

Ähnlich geht auch Hildebrandt vor. Allerdings nimmt er Schiller mit ins Boot seiner Untersuchung: „Dieses Buch versucht sich an einer Neugewinnung aus den Anfängen. Es geht der allmählichen Verfertigung einer Faszination nach, versucht sich an der Beschreibung einer Kultkarriere. Es ist kein musikwissenschaftlicher Versuch und kein Beethoven-Hymnus und will auch keine Andacht vor dem eben erst erklärten Nimbus des ‚Weltkulturerbes‘ verrichten. Es tastet sich an die Kräfte heran, aus denen sich die sensationelle Wirkungsgeschichte herleiten läßt. An etwas, was hier das Schiller-Beethoven-Komplott genannt werden soll.“ Was Hildebrandt im Vorwort als Ziel vorgibt, löst er auch ein. Gewiss ließen sich einige Ungenauigkeiten anführen, falsche Orchesterbezeichnung etwa oder Irritationen in der Namensorthographie; auch stellen wir fest, dass, je näher Hildebrandt die Gegenwart ins Visier nimmt, seine Ausführungen zur Rezeption der Neunten mit immer größeren Lücken behaftet sind. Aber vielleicht liegt das sogar in der Natur des Themas.

Denn Hildebrandt packt die „Ode“ bei ihren Wurzeln an. Knapp die Hälfte seines Buches ist im steten Wechsel den Entstehungsgeschichten des Schillerschen Textes und der Sinfonie Beethovens gewidmet. Lediglich die zweite Hälfte gilt der Rezeption. Die erfreulich knapp gehaltenen Anmerkungen befinden sich gebündelt am Ende des Bandes, dessen Handhabung ein – ebenfalls fehlerhaftes – Register erleichtert. Im Ganzen aber ist es ein Buch zum Verlieben. Hildebrandt versteht sich aufs Plaudern – das wissen wir aus seinen bisherigen Publikationen. Nicht im Sinne des Einfach-so-Dahingesagten, sondern verstanden als kultivierte Unterhaltung.

Lust am Erzählen

Immer wieder zeigt sich Hildebrandts Lust am Erzählen und dies in Verbindung mit der Genauigkeit in inhaltlichen Fragen. Als Beispiel möge jene Stelle dienen, in der Hildebrandt auf das Verbot zu sprechen kommt, mit dem Herzog Carl Eugen seinem Zögling Schiller das „Comödien“-Schreiben verboten hat. In kunstvoll dialektischer Weise fasst Hildebrandt die persönliche Situation Schillers damals und die Rezeption durch die Nachwelt zusammen: „Mit diesem Verbot verhalf Carl Eugen Schiller zum wichtigsten Entschluß seines Lebens. Er katapultierte ihn hinaus ins Elend und in den Ruhm, in die notdürftigste Existenz und in die Überlebensgröße, in den Status des Outlaws und in den Rang des Klassikers.“
Ein Vorteil Hildebrandts ist sicher seine Außen-Perspektive: Er darf den Finger auf die Wunden der Musikwissenschaft legen, wenn er Beispiele aus vertrackt-verklausulierten Analysen zitiert und dann zu dem knappen Schluss kommt: „Solche hochgestochene Metaphorik spiegelt eine elementare Verlegenheit.“

Wenn Hildebrandt der Frage nachgeht, ob an dem Gerücht, wonach Schiller seinen Text eigentlich „Ode an die Freiheit“ nennen wollte, etwas dran sei, entwirft er ein feines philologisches Netz, gespickt mit Details aus der Forschung und Thesen des gesunden Menschenverstandes. Spannend wie ein Krimi.

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